Der Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano, der an der Universität Bremen Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtstheorie und Rechtspolitik lehrt, hat am 29. September diesen Jahres in dem juristischen Online-Journal VerfassungsBlog unter dem Titel „Rechte und Rechtswissenschaft“ einen gewiß nicht nur für Rechtswissenschaftler höchst irritierenden Artikel veröffentlicht. Wer bei diesem Titel vermutet, es ginge in dem Artikel im juristischen Sinne um Rechte in der Rechtswissenschaft, sieht sich schnell eines Besseren belehrt. Der Artikel beginnt mit der Feststellung: „Die Rechte drängt in die gesellschaftliche Mitte. Diese Entwicklung macht vor Recht und Rechtswissenschaft nicht Halt, erfährt aber bislang zu wenig Beachtung. Das ist gefährlich, denn längst sind rechte Netzwerke am Werk, die ihr Weltbild ins Recht und in die Rechtswissenschaft hineintragen.“
Der Präsident des Deutschen Hochschullehrerverbandes (DHU), Bernhard Kempen, hat sich in dem Streit, der sich mittlerweile auf einen Konflikt zwischen Baberowski und zwei Studentinnen zugespitzt hat, die im Senat der Universität mit höchst unlauteren Mitteln gegen ein von Baberowski initiiertes, inzwischen gescheitertes Projekt zur Gründung eines Zentrums zur Erforschung von Diktaturen vorgegangen sind, auf die Seite von Baberowski gestellt. Er hat dabei von einer „Rufmordkampagne“ gesprochen und davor gewarnt, dass mit derlei politischen Aktivitäten gegen einzelne Hochschullehrer die Wissenschaftsfreiheit bedroht sei.
Als Jurist weiß Fischer-Lescano natürlich, dass solche Urteile keine Urteile über richtig oder falsch, sondern nur über rechtlich zulässig oder nicht zulässig sind. Im von ihm abgehandelten Fall Baberowski steht allerdings außer Zweifel, dass er das Urteil auch als eine Bestätigung der sachlichen Richtigkeit des von den Studenten erhobenen Vorwurfs wertet. Baberowski ist seinem Verständnis nach ein Vertreter „rechter Wissenschaft“, deren Vordringen an deutschen Universitäten es laut Fischer-Lescano dringend zu bekämpfen gilt. Denn: „Die reale Gefahr für Recht und Gesellschaft lauert da, wo rechte Praxen in den Apparaten, in der Justiz, in den Sicherheitsbehörden, in der Gesellschaft, in der Rechtswissenschaft Anschluss finden, wo rechte Ideologie salonfähig wird, wo rechtes Recht sich in konkreten juristischen Aktionen zur herrschenden Meinung formen kann.“
Offen formuliert wird allerdings das Ansinnen, „rechte Wissenschaft“ als verfassungswidrig zu deklarieren. Fischer-Lescano schreibt dazu: „Was als Plädoyer für die Verteidigung der Freiheit der Wissenschaft begann, entpuppt sich als Versuch, die Wissenschaft zur verfassungsfreien Zone zu erklären. Wenn Wissenschaft so frei ist, dass sie auch frei von den verfassungsrechtlichen Zumutungen des Friedensgebots, des Diskriminierungsverbots, der Rassismusächtung ist, dann degeneriert die Wissenschaft vom Ort freier Rede zum Hort verfassungswidriger Umtriebe.“ Wissenschaftliche Kritik an den inhaltlichen Essentials des linken/grünen Mainstreams soll, gänzlich unabhängig von jeglicher inhaltlichen Bestimmung dieser Essentials, offensichtlich mit dem Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit überzogen werden, um die seit den 1970er Jahren erkämpfte linke/grüne Vorherrschaft an den Universitäten zu retten.
In Erwägung gezogen wird von Fischer-Lescano gemäß dieser Sichtweise als weitere Waffe im „Kampf gegen Rechts“ ein erneuter Radikalenerlass, wie er zu Zeiten der linksradikalen Studentenbewegung ergangen ist. Diese Waffe hält er, ohne dies näher zu begründen, allerdings nicht für wirklich geeignet, vermutlich um nicht in den Geruch zu kommen, sich in seinem Kampf gegen „rechte Wissenschaft“ des Mittels des Berufsverbots bedienen zu wollen, das in den 1970er Jahren unter anderem gegen Wissenschaftler erfunden wurde, die der linksradikalen Studentenbewegung nahe standen. Stattdessen wirbt er unter Berufung auf einen der wissenschaftlichen Ideengeber dieser Bewegung, den Nestor der „Kritischen Theorie“, Theodor W. Adorno, recht scheinheilig für eine „offensive Auseinandersetzung“ mit den von ihm inkriminierten „Unpersonen“ mit den Worten: „Die Dinge beim Namen zu nennen, das ist die Aufgabe der Wissenschaft. Und darum muss wehrhafte Demokratie an den Universitäten bedeuten, dass wir es nicht zulassen, dass autoritäre Ordinarien unter dem Deckmantel der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit ihre autoritären Vorstellungen einer Tabuisierung von Kritik durchsetzen.“
1969 sah Adorno sich gezwungen, seine Vorlesungen einzustellen. Als am 31. Januar 1969 Studenten in das Institut für Sozialforschung eingedrungen waren, um kategorisch eine sofortige Diskussion über die politische Situation durchzusetzen, riefen die Institutsdirektoren – Adorno und Ludwig von Friedeburg – die Polizei und zeigten die Besetzer an. Adorno, der immer ein Gegner des Polizei- und Überwachungsstaats gewesen war, litt unter diesem Bruch seines Selbstverständnisses. Er musste als Zeuge vor dem Frankfurter Landgericht gegen Hans-Jürgen Krahl, einen seiner begabtesten Schüler, aussagen. Adorno äußerte sich dazu in einem Brief an Alexander Kluge:
„Ich sehe nicht ein, warum ich mich zum Märtyrer des Herrn Krahl machen soll, von dem ich mir doch ausdachte, daß er mir ein Messer an die Kehle setzt, um mir diese durchzuschneiden, und auf meinen gelinden Protest erwidert: Aber Herr Professor, das dürfen Sie doch nicht personalisieren.“
Das Ganze mündete unter anderem in Adornos Vorwurf des „Linksfaschismus“ gegenüber den Studenten, die in diesen Jahren ja keineswegs nur gegen ihn mit Besetzungen und anderen Aktionen vorgingen. Der Vorwurf selbst stammte ursprünglich von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1967 gegenüber der damals aufkommenden Außerparlamentarischen Opposition (APO). Ihm schloß sich Adorno angesichts der Ereignisse an seinem eigenen Institut 1969 in einem Briefwechsel mit Herbert Marcuse ausdrücklich an, bevor er kurz nach diesen Ereignissen im Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt starb.
Adorno kann von Fischer-Lescano daher mit Blick auf die Causa Baberowski und weiterer, ähnlich gelagerter Fälle wohl schwerlich für seinen „Kampf gegen Rechts“ an den deutschen Universitäten vereinnahmt werden. Dafür kannte Adorno als deutscher Jude und Wissenschaftler, der vor den Nazis ins amerikanische Exil fliehen musste, viel zu gut die Praktiken der SA aus den Jahren vor und nach 1933, an die er sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland gänzlich unerwartet im Jahre 1969 nicht nur anlässlich seines eigenen Falles wieder erinnert sah. Sicher ginge es ihm heute, würde er noch leben, wieder genau so.