Als ab Ende der 1960er Jahre eine extremistische Minderheit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) in Gestalt von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und anderen dazu überging, die linksterroristische Rote Armee Fraktion (RAF) zu gründen und führende Repräsentanten eines kapitalistischen „Schweinesystems“ zu ermorden, wurde insbesondere einigen (links-)intellektuellen Vordenkern und Unterstützern der APO seitens zahlreicher Politiker und Journalisten vorgeworfen, sie seien geistige „Wegbereiter des Terrorismus“. Im Fokus der Kritik stand namentlich Heinrich Böll. Er hatte in einem Spiegel-Essay mit dem Titel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ für mehr Verständnis für deren Taten und mehr Menschlichkeit im Umgang mit der inzwischen inhaftierten RAF-Terroristin plädiert. Wörtlich war in Bölls Essay aus dem Jahr 1972, nachdem die RAF bei mehreren Anschlägen schon zahlreiche Personen getötet hatte, unter anderem zu lesen: „Es ist eine Kriegserklärung von verzweifelten Theoretikern, von inzwischen Verfolgten und Denunzierten, die sich in die Enge begeben haben, in die Enge getrieben worden sind und deren Theorien weitaus gewalttätiger klingen, als ihre Praxis ist.“
In seiner „Rede zur Nation“ anlässlich der Entführung und Ermordung Hans Martin Schleyers im Jahr 1978 durch die RAF kritisierte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die „Sympathisanten“ der RAF in der deutschen Bevölkerung, die deren Taten mit einem „mehr oder weniger ausgeprägten Verständnis“ begegneten und sie verharmlosten. Dass es sich dabei keineswegs um ein gesellschaftspolitisches Randphänomen handelte, bestätigt unter anderem der Historiker und ehemalige Führungskader des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), Gerd Koenen. In seiner ebenso lesenswerten wie informativen Studie über „Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1978“ (Buchtitel: Das rote Jahrzehnt) verweist er unter anderem auf eine im Jahr 1971 durchgeführte Meinungsfrage, „wonach jeder zwanzigste Bundesbürger bereit war, gesuchte Untergrundkämpfer zu beherbergen, jeder fünfte ihnen ein Handeln aus ‚politischer Überzeugung‘ attestierte. Und jeder vierte Bundesbürger unter dreißig Jahren zeigte ‚gewisse Sympathien‘ für die Rote Armee Fraktion.“
Nicht wenige dieser RAF-Versteher und -Helfer zählten schon damals zum (links-)intellektuellen Establishment der Bundesrepublik oder waren auf dem besten Weg, in dieses aufzusteigen, um von dort aus über die folgenden Jahre und Jahrzehnte das geistige Leben in Deutschland nachhaltig zu beeinflussen und zu prägen. Einige von ihnen haben sich, wie etwa Volker Schlöndorff oder Peter Schneider, inzwischen öffentlich zu ihren Jugendsünden bekannt und von ihnen distanziert. Schlöndorff outete sich in einer sehenswerten filmischen Dokumentation seines Stiefsohnes Felix Möller über die Verstrickungen seiner Mutter Margarethe von Trotta und seines früheren Stiefvaters mit der RAF gar als ein Fan Angela Merkels (Filmtitel: Sympathisanten. Unser Deutscher Herbst). Andere schweigen zu diesem Thema lieber in der Hoffnung oder auch Gewissheit, dass inzwischen ohnehin Gras über diese „bleierne Zeit“ gewachsen ist.
Entscheidend war in diesem Zusammenhang unter anderem, dass es den APO-Aktivisten gelang, die gegen sie gerichteten Vorwürfe erfolgreich abzuwehren. So solidarisierten sich 1972 zum Beispiel vierzehn namhafte (west-)deutsche Schriftsteller in einem offenen Brief mit ihrem Kollegen Heinrich Böll, in dem sie schrieben: „Die unterzeichneten deutschen Schriftsteller warnen vor einer abermaligen Zerstörung der Keime einer freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland unter dem Vorwand ihrer Verteidigung. Die Verfolgung von definierbaren Straftaten wie Bombenanschlägen und sonstigem Terror ist eine Sache, die Diskriminierung politischer Gesinnungen ist eine vollständig andere.“
Vor diesem Hintergrund musste der Versuch, die mit der RAF mehr oder weniger offen sympathisierenden und sie teilweise aktiv unterstützenden (Links-)Intellektuellen für deren kriminellen Taten in Haftung zu nehmen, um so die gesamte systemkritische Bewegung zu diskreditieren, zwangsläufig scheitern. Ihr Insistieren auf die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Gesinnungsfreiheit fiel auf fruchtbaren Boden, da die RAF von Politik und Behörden trotz ihrer unzweifelhaften Herkunft aus der APO gerade nicht als politische, sondern als kriminelle Vereinigung ins Visier genommen, verfolgt und schlussendlich besiegt wurde. Die RAF-Mitglieder wurden durch dieses Vorgehen auch bei ihren intellektuellen Sympathisanten zusehends entmythologisiert und schließlich als bloße Verbrecher isoliert.
Der SPD-Politiker Michael Roth und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnen die AfD gar als den „politischen Arm des Rechtsradikalismus“, so als gäbe es zwischen der Parteiführung und den Mördern in Kassel und Halle direkte Verbindungen und Absprachen zwischen einem bewaffneten und einem politischen Arm, wie man sie zum Beispiel von den baskischen oder irischen Unabhängigkeitsbewegungen oder auch von islamistischen Bewegungen im nahen Osten kennt. Die AfD wäre nach dieser Logik ein Kind rechtsradikaler Terrorgruppen, die inzwischen von Millionen ebenso rechtsradikaler Anhänger und Mitglieder in den Bundestag und die Landesparlamente gewählt worden ist.
Ob diese von zahlreichen Politikern, Medienvertretern und Terrorismusexperten präferierte Strategie zu den vorgegebenen Zielen einer Verhinderung rechtsextremer Gewalttaten und des Verschwindens der AfD aus den Parlamenten führen wird, ist indes äußerst fraglich. Anstatt die rechtsextremen Gewalttäter, wie einst die RAF, als gewalttätige Outlaws zu isolieren, werden sie als integraler Bestandteil einer breiten, international aktiven politischen Bewegung beschrieben. Damit werden sie in ihrem Selbstbild bestätigt, die zur revolutionären Tat entschlossene Vorhut dieser Bewegung zu sein und bei ihren Gesinnungsgenossen und Anhängern entsprechend aufgewertet. Ein solches Selbstbild prägte auch die frühe Phase der RAF und deren Wahrnehmung durch ihre Anhänger und Sympathisanten. Es trieb ihr zunächst weitere zu Gewalttaten bereite Mitglieder zu, wurde dann aber unter der Führung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt von den verantwortlichen Politikern und zuständigen Strafverfolgungsbehörden nachhaltig zerstört.
Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, wenn einzelne Vertreter dieser Parteien rechtsextreme Gewalttaten dafür zu nutzen versuchen, einen politischen Gegner zu schwächen, für dessen Aufkommen sie indes selbst mit verantwortlich sind. Gespeist wird der neue rechtspopulistische Gegner, wie der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer in seiner Studie über „Autoritäre Versuchungen“ zeigen konnte, nämlich von drei Entwicklungen, die er als gesellschafts- und wirtschaftspolitische „Entsicherungen“ kennzeichnet. Genannt werden von ihm neben der zunehmenden Bedrohung durch den islamistischen Terror, die nach wie vor schwelende Banken- und Finanzkrise sowie die anhaltenden Migrationsbewegungen aus Ländern der Dritten Welt Richtung Europa und Deutschland. Sie alle bedrohen mehr oder weniger unmittelbar die Lebensumstände breiter einheimischer Bevölkerungsschichten und werden von ihnen nicht nur als Kontrollverluste über die eigene Lebensführung wahrgenommen, sondern auch als selbst verursachten Kontrollverlust der politischen Klasse gewertet. Gründe dafür gibt es mittlerweile genügend, wenn Politiker zum Beispiel die Banken beim Zocken mit den Einlagen ihrer Sparer frei gewähren lassen, bei bankrotten Ländern anhaltende Insolvenzverschleppung betreiben oder den massenhaften Missbrauch des Asylrechts zur Arbeitsmigration nicht unterbinden.
Demgegenüber stehen die an die Bürger ebenfalls immer lautstarker herangetragenen Erwartungen der Politik, die mit den von Heitmeyer genannten „Entsicherungen“ einhergehenden Risiken, denen sich problemlos noch weitere hinzufügen ließen, einfach in Kauf zu nehmen. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Vorgehen im Herbst 2015 mit der Aussage der Bundeskanzlerin „Wir schaffen das“. Laut einer im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten Dokumentation hatte sie am Ende einer Dienstreise durch die deutsche Provinz in der Küche ihrer Berliner Wohnung allein entschieden, aus den Armuts- und Kriegsgebieten des nahen und mittleren Ostens sowie aus Afrika hunderttausende Asylbewerber nach Deutschland einwandern zu lassen, ohne deren Identität überprüfen zu lassen. Ein politisch bewusst herbeigeführter Kontrollverlust, der nicht nur in der Geschichte der Bundesrepublik seinesgleichen sucht.
Angesichts der jüngsten rechtsextremen Gewalttaten gewinnen derzeit vielmehr diejenigen Kräfte in den etablierten Parteien und Medien Oberwasser, die schon immer darauf setzten, das Gespenst des Rechtspopulismus mit Hilfe der Nazi-Keule erschlagen zu können. Dass sie dabei nicht nur politische Funktionäre, sondern breite Bevölkerungsschichten treffen und die politische Polarisierung im Land weiter vertiefen, nehmen sie dabei ebenso in Kauf wie das Risiko, dass selbsternannte „Antifaschisten“ (Antifa) in ihrem „Kampf gegen Rechts“ dazu ermutigt werden, den politischen Gegner nicht nur verbal anzugreifen und zu verletzen. Schon die Mitglieder der RAF waren der Überzeugung, sie müssten einen wieder aufkeimenden Faschismus in der Bundesrepublik mit der Waffe in der Hand bekämpfen. Wenn die Aktivisten der heutigen Antifa seitens vieler Politiker und Journalisten jeden Tag zu hören bekommen, nicht nur in Deutschland stünde in Gestalt rechtspopulistischer Parteien der Faschismus wieder vor der Türe, stellt sich die Frage, ob derlei Botschaften ohnehin schon fanatisierte politische Irrläufer nicht dazu ermuntern, die Zeit für gekommen zu halten, erneut zum bewaffneten Kampf nicht nur gegen Sachen, sondern gegen Personen überzugehen.
Gewollt oder auch ungewollt geistige Brandstiftung für radikale Auswüchse politischer Bewegungen zu betreiben, ist somit keineswegs ein Privileg rechtspopulistischer Parteien, sondern begleitet bis heute auch die Geschichte linker bzw. links-grüner Bewegungen und Parteien. Von daher ist es sicherlich ein besonderer Treppenwitz der Geschichte, wenn heute zum Beispiel Claudia Roth, die zur grünen Vizepräsidentin des Bundestags avancierte, ehemalige Managerin der linksradikalen Rock Band Ton Steine Scherben, die sich unter anderem durch einen Song für den von der Polizei erschossenen RAF-Terroristen Georg von Rauch einen Namen gemacht hat, angesichts des Attentats in Halle mit Verweis auf die AfD sagte: „Wir haben ein Problem und wir haben einen Brandbeschleuniger und der sitzt im Bundestag und in den Landtagen.“ Die in solchen Äußerungen zum Ausdruck kommende politische Bigotterie ist keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal von Claudia Roth. Sie prägt das gesamte links-grüne Juste Milieu von heute, soweit es sich noch aus einstigen Protagonisten und Mitläufern einer mehrere Jahrzehnte zurückliegenden politischen Bewegung zusammensetzt, deren Sympathien für linken Terror, wie wir nicht nur von Gerd Koenen wissen, sich in vielen Fällen keineswegs nur auf die geistige Ebene beschränkte. Wer im Glashaus sitzt, sollte auch in diesem Fall besser nicht mit Steinen auf andere werfen.