Ein Schüler fragte: »Meine Eltern lehrten mich, nicht zu lügen, sondern stets die Wahrheit zu sagen. Das Leben aber lehrt mich, bei Gelegenheit zu lügen. Wie verhält es sich nun mit der Lüge, ist sie gut oder böse?«
Der Meister antwortete, indem er eine Geschichte erzählte: »Ein Mann saß auf der Spitze eines Berges. Er überblickte das Tal, er sah in sein Dorf hinein, er sah sein Haus und seine eigenen Kinder spielen.
Da, plötzlich, erkannte er aus der Entfernung, dass ein gefährlicher Räuber sich dem Haus näherte.
Er war zu weit entfernt, um etwas Drohendes zu rufen, und was sollte er auch rufen? Auch wenn er sich hurtig auf den Weg machte, würde er viel zu spät ankommen. Was also tun? Der Räuber kam, so sah er aus der Ferne, seinem Haus näher und näher!
Der Mann sah um sich herum Felsbrocken liegen. Er dachte: Wenn ich einen dieser Felsbrocken löse und ins Tal rollen lasse, wird er gewiss den Räuber erwischen, und dann wird der Böse von meiner Familie ablassen.
Gedacht, getan! Der Mann löste einen Felsbrocken und stieß ihn an, auf dass dieser ins Tal rollen und den Räuber erwischen möge.
Doch, oh weh! Der Felsbrocken rollte los, aber er rollte nicht allein!
Der Felsbrocken stieß weitere Felsbrocken an, und die stießen wieder weitere Felsbrocken an, und diese wiederum weitere. Eine Armee wütender Felsbrocken donnerte ins Tal.
Die hinabstürzenden Felsen begruben das Dorf, samt dem Haus des Mannes, seiner Familie, und seinem Bruder, der von langer Reise zurückgekehrt war und keineswegs ein Räuber war, wenn auch von den Strapazen der Reise etwas zerzaust.
Anders als der Felsbrockenwerfer dachte, war er nicht allein gewesen auf dem Berg. Man hatte ihn gesehen. Man brachte ihn vor Gericht, um für die Folgen seiner Tat geradezustehen.
Er verteidigte sich: Ich wusste nicht, dass der eine Felsbrocken weitere lösen würde! Ich meinte, da sei ein Räuber! Ich habe es in bester Absicht getan!«
Der Meister nahm die Kanne vom Ofen und goss dem Schüler und sich neuen Tee ein, dann sagte er: »So ist es auch mit der Lüge. Du magst in bester Absicht lügen, doch wenn du die Folgen deiner Lüge falsch einschätzt, trifft dich große Schuld. Und selbst wenn deine Lüge zum gewünschten Ziel führt, so giltst du doch für immer als Lügner. Selbst wenn jener Mann tatsächlich einen Räuber und nicht seinen Bruder aus der Ferne erblickt hätte, und selbst wenn er den Räuber tatsächlich genau getroffen hätte, so gälte er dennoch ab da als gefährlicher Felsbrockenwerfer, dem man besser nicht traut. Sag nicht, du habest die Lügenlawine nicht gewollt, du hast sie in Kauf genommen, als du die erste kleine Lüge erzähltest.
Du fragst also, ob du lügen darfst. Die eigentliche Frage, die Frage hinter der Frage, lautet doch: Willst du einer sein, der lügt? Willst du ein Lügner genannt werden? Willst du ein Lügner sein?«
Wer denn nun?
Im deutschen Dauerwerbewahlkampf, den man »öffentliche Debatte« nennt, durften wir diese Wochen eine extra amüsante Flunkerei des Staatsfunks erleben, die sie »still und heimlich« überspielen wollten. Leser werden sich an jenen Biomarkt-Kapitalisten und Grünen-Politiker erinnern, der öffentlichkeitswirksam die »AfD-Hirse« auslistete, als ob Bio-Hirse »unrein« sei, wenn der herstellende Bauer das falsche Parteibuch hat (siehe »Deutschlands Einheit und die neue Mauer«). Mittlerweile haben eine ganze Reihe von Guten und Gerechten die »unreine« Hirse aus dem Sortiment genommen, der linksgrüne Konsum-Mob feiert sich selbst (taz.de, 10.10.2019).
Der Staatsfunk drehte einen Bericht darüber, oder das, was man beim GEZ-TV für »Berichte« hält. Es lief am 14.10.2019 in »ZDF heute – in Deutschland«. Der Beitrag beginnt mit den Worten »Malte Reupert steht hinter jedem Erzeugnis, das er verkauft…« und geht so weiter. Es wirkt wie eine Werbesendung für einen AfD-hassenden Grünen-Politiker mit Biomarkt-Kette.
Innerhalb des Beitrags wurde eine Kundin mit ihren Sorgen interviewt, als spräche sie für alle Kunden, explizit als sei sie stellvertretend. Was sie sagte, hörte sich nach schräger Gehirnwäsche an, doch ich habe mir die Mühe gemacht, nicht nur den schwer erträglichen Sermon zu transkribieren, sondern auch die zwei Passagen davor:
Marcus Schilka (Vorstand Bauernbund Brandenburg): Deswegen würde ich auch an alle appellieren, einen Schritt zurück zu treten, und ganz einfach den Verbraucher entscheiden zu lassen.
Sprecher aus dem Off: Im Leipziger Bio-Markt haben sich die Verbraucher entschieden, sie stehen hinter der Entscheidung des Geschäftsführers.
Monika Lazar (Kundin): Wenn es von jemandem mit so einer Einstellung, also ’nem AfD-Mitglied, der eben auch in Funktion ist, hergestellt wird, dann möchte ich das eben auch nicht kaufen, und deshalb ist es gut, dass es eben hier auch nicht angeboten wird, ansonsten laufe ich ja Gefahr, dass ich es dann kaufe, und [mit künstlich-dramatisch angeekelt verzogenem Gesicht:] AfD-Hirse will ich nicht essen.
Nun sollte ich auch die Quelle meines Transkriptes angeben, doch es gibt zwei Versionen. In der ersten Version wurde Monika Lazar als »Kundin« angegeben. Es wurde darauf hingeführt, dass sie quasi für »die Kunden« spricht – Details dazu etwa bei achgut.com, 15.10.2019. Dieser Beitrag hat mehrere medien-ethische Probleme.
Dank Social Media und freier Medien wurde bald publik, dass die angebliche »Kundin«, die sich so vor der Unreinheit der »AfD-Hirse« zu ekeln scheint, in Wahrheit eine Bundestagsabgeordnete der Grünen ist – eine linksgrüne 150-Prozentige, im »Kampf gegen Rechts«, wohl mit Sympathien für die Ex-Stasi-Stiftung, im heißen Kampf gegen »Hate Speech« et cetera (siehe etwa monika-lazar.de, 3.3.2016). Im Staatsfunk wird sie eben als die von der AfD-Hirse angeekelte »Kundin« verkauft.
Nachdem man in den Sozialen sowie Freien Medien davon hörte, nahm das ZDF den Beitrag erst still und heimlich offline, um ihn etwa einen Tag später wieder hochzuladen. Der Inhalt ist wohl derselbe, doch bei Lazar steht jetzt »Bundestagsabgeordnete« drunter. – Ein Zyniker würde eine perfide Strategie vermuten: Zur besten Sendezeit propagandistisch mit der Wahrheit jonglieren, und wenn man erwischt wird, es aber die breite Masse nicht mehr interessiert, kurz kommentarlos löschen und dann das kleinste mögliche Detail korrigieren. Selbst bei der »korrigierten« Version wird natürlich weiterhin nicht erwähnt, dass auch der bärtige Biomarkt-Chef, der im Bericht so auffallend gut wegkommt, ein Grünen-Politiker ist – es wäre auch eh egal, gesendet ist gesendet (siehe etwa tichyseinblick,de, 15.10.2019).
Das sind die Seiten im diesem Streit: Auf der einen Seite der Staatsfunk, sowie ein Öko-Profiteur, der die Arbeit anderer Leute an konsum-moralistische Öko-Kunden verkauft (oder auch nicht), und eine manipulativ auftretende Politikerin der Vielflieger-Partei, die als »Kundin« verkauft wird – auf der anderen Seite ein Diplomlandwirt, über den Sie übrigens bei moz.de, 29.1.2014 nachlesen können, mit welchem Aufwand er Bio-Hirse in Deutschland heimisch machte.
Kundin zur besten Sendezeit
Was ist eine »Lüge«? Eine Lüge ist eine mit Absicht ausgesprochene Unwahrheit. Im Text »Darf man über „Lügen“ reden?« argumentiere ich, dass man auch von lügenden Systemen reden kann. Wenn etwa eine Redaktion so aufgestellt ist, dass sie immer wieder Unwahrheiten produziert, die einem bestimmten Zweck dienlich sind, dann liegt ein lügendes System vor, selbst wenn kein einzelner am System beteiligter Mensch bewusst lügt.
Wer je mit Journalisten in Kontakt kam, ahnt durchaus, dass es realiter in mancher lügenden Redaktion einige Individuen gibt, die sehr wohl wissen, dass sie in der einen oder anderen Form lügen, aber die schlicht auf das Einkommen aus ihrer Lügenarbeit angewiesen sind und nichts anderes können als diesen Job.
Manche wissen durchaus, dass sie die Wahrheit mehr als Problem denn als Maßstab behandeln, aber sie reden sich ein, sie würden einem »höheren Zweck« dienen. Die ganze Wahrheit zu sagen, das wäre nur »Wasser auf die Mühlen der Falschen«. Es soll Journalisten geben, die das alte ethische Dilemma zitieren, ob man lügen dürfe, wenn ein Verfolger an der Tür klopft, und fragt, ob man den Unschuldigen bei sich beherberge (siehe Kant: »Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen«).
Warum sollte ein Mensch – oder eine »Wahrheitsbehörde« – nicht lügen? Weil es »moralisch schlecht« ist, zu lügen? Nun, wie ich in den Relevanten Strukturen ausführe, hängt die Deutung einer Handlung als »Gut« oder als »Böse« davon ab, welche Struktur(en) sie stützt oder schwächt, und wie relevant einem diese Strukturen sind.
Wenn Medien und Politiker darin gleich schalten, dass der »Kampf gegen Rechts« das höchste der moralischen Ziele sei, dann ist es in deren Moral logisch und zwingend, alle anderen Werte wie Rechtsstaat, Demokratie und Wahrheit dafür aufzugeben. Und es muss ein »Kampf« sein. Von Hitlers »Mein Kampf«, über den Kampf der USA gegen »die Kommunisten« im kalten Krieg bis hin zum »Kampf gegen Rechts« dient die Ausrufung eines maximal gefährlichen Kampfgegners dazu, das Volk auf seiner Seite zu vereinen und nebenbei manches eigene politische Versagen zu überdecken (siehe dazu auch das entsprechende Unterkapitel im Abschnitt »Populismus« von Talking Points).
Anders als alle Pastoren und viele Ethiker meine ich nicht, dass irgendetwas anderes »metaphysisch böse« sei, nicht die Lüge, nicht das Knutschen vor der Ehe und vermutlich nicht einmal die AfD-Hirse (werden wir uns einmal darüber bewusst, was in anderen Kulturen alles als metaphysisch böse angesehen wurde und wird – es ist absurd, doch denen erschien und erscheint es als ganz selbstverständlich).
Das Problem mit der Lüge ist, dass sie gleich mehrere Strukturen angreift und irreparabel beschädigt, die für uns sowohl relevant sind (unsere Existenz hängt davon ab), als auch sich relevant anfühlen (sie sind uns gefühlt wichtig). Die öffentliche Lüge von Relotius von Fake-Kunden bekräftigt Tag für Tag auch den Verdacht der bravsten Bürger, dass »die da oben« eh alle lügen. Die öffentliche Lüge entfremdet den Bürgern von den Menschen, denen er vertrauen sollte, ihn mit wahren Informationen zu versorgen. Die öffentliche Lüge beschädigt die öffentliche Debatte. Martin Schulz mag unter den SPD-Clowns einer der extra-schrägen sein – eine ganz eigene Leistung – doch als er Merkels Debattenverweigerung einen »Anschlag auf die Demokratie« nannte (siehe etwa sueddeutsche.de, 25.6.2017), hatte er nicht vollständig Unrecht. (Es folgten damals dennoch die für Haltungsjournalisten und andere Kinder der Bildungskatastrophe typischen Erregungen, weil man Metaphern und Sprachbilder wie »Anschlag« wörtlich nimmt – was für eine Eselei.)
Wie stoppen?
Ich habe keinen Zweifel, dass alle Staatsfunker, die daran beteiligt waren, die Grünen-Abgeordnete als »Kundin« zu verkaufen, ein reines Gewissen haben. Vielleicht ist die Information irgendwo »verloren gegangen« (was einem etwas über die Prioritäten beim ZDF sagt), oder man fand (ganz zu recht), dass die »moralische« Wirkung ein klein wenig geschmälert würde – es macht wenig Unterschied.
Ein Problem an der Lüge ist, dass der Lügner nicht absehen kann, was er alles bewirkt. Ein Relotius log ja durchgehend im »moralischen« Sinn, und es wurde als eine Art von »Lügenlawine« von vielen Meinungsmachern und Mitläufern gern verbreitet, ausgezeichnet und in den linksgrünen Lügenhimmel gelobt. Wenn man sich die fanatisierten, gehirngewaschenen Kommentare im Internet durchliest, von Bürgern, die ZDF und andere Publikationen erfolgreich aufgepeitscht haben, dann ahnt man, dass die erstens längst nicht mehr überblicken, was ihre Schrägwahrheiten alles bewirken, dass zweitens diese Lügenlawine noch lange rollen wird, und man fürchtet drittens, dass sie diese Lügenlawine wollen – einige in brachialem Zynismus, einige weil sie glauben, ein paar Lügen seien hinzunehmen im Kampf für das Gute – wo gehobelt wird, da fällt die Wahrheit.
Können wir die Lügenlawine stoppen? Ich bin nicht sicher, und doch versuche ich es. Wir können uns in Sicherheit bringen, wir können versuchen, unsere Kinder davor zu bewahren. (Ich weiß, welcher Indoktrination die Kinder an manchen Schulen ausgesetzt sind. Es ist bitter und nicht einfach für Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollten, und sich jetzt gezwungen sehen, sie morgens zur Gehirnwäsche abzugeben.)
Die Lawine wird sich auslaufen, wird ihre Kraft verlieren, aber noch ist es nicht soweit.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.