Die zum ersten Mal auf Landesebene angetretene AfD hat sich für viele Wähler tatsächlich als Alternative zu den bisherigen Parteien erwiesen und in allen drei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielt. Zwar hatten die Demoskopen die Entwicklung der AfD in den Umfragen schon gemessen und vorgewarnt, die Ergebnisse waren dann aber in allen drei Ländern nochmals höher.
Die Wahlergebnisse
In Baden-Württemberg verdrängte die AfD mit 15,1% die bisherige Regierungspartei SPD (12,7%, -10,4) mit Abstand auf den vierten Platz. Die eigentliche Sensation im Südweststaat ist jedoch, dass die Grünen (30,3%; +6,1), deren sehr gutes Ergebnis 2011 mit dem Reaktorunfall von Fukushima erklärt worden war, nun die CDU (27,0%; -12,0) als stärkste Partei ablösten. Das ist das schlechteste Ergebnis der CDU seit der Existenz des Landes. Der traditionelle Koalitionspartner der CDU, die FDP (8,3%; +3,0) konnte ihr schlechtes Ergebnis von 2011 wieder deutlich verbessern.
In Rheinland-Pfalz kam die AfD auf 12,6%, was in dieser Höhe nicht erwartet worden war. Die noch größere Überraschung war aber der Ausgang des Wettstreits zwischen der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und ihrer Herausforderin Julia Klöckner (CDU), die über lange Zeit in den Umfragen deutlich vorne gelegen hatte. Der Trend der letzten Wochen lief aber gegen die CDU, die an die AfD verlor und für die SPD, die von ihrem bisherigen Koalitionspartner Grüne ganz erhebliche Stimmenanteile gewann. Am Ende konnte die SPD (36,2%; +0,5) ihr bisheriges Ergebnis überraschend gut behaupten und die CDU (31,8%; -3,4) auf Abstand halten. Die Grünen (5,3%; -10,1), die vor 5 Jahren 10,8 Prozentpunkte gewonnen hatten verloren nun wieder fast genau so viel und liegen nun noch hinter der FDP (6,2%; +2,0), die wieder in den Mainzer Landtag einzieht.
In Sachsen-Anhalt, dem kleinsten der drei Bundesländer, wurde die AfD mit 24,2% mit großem Vorsprung vor der Linkspartei (16,3%; -7,3) zweitstärkste Partei. Die mit Verlusten siegreiche CDU ist mit 29,8% (-2,7) – nach den heute geltenden Maßstäben für Stimmenveränderungen- nicht so weit entfernt. Die SPD (10,6%; -10,9) wurde durch die Wähler halbiert, während die FDP (4,9%; +1,0) knapp scheiterte.
Die Linke blieb in den beiden westlichen Bundesländern jeweils unter 3% und was ein weiteres Mal zeigt, dass die Partei nur in den neuen Bundesländern wirklich heimisch ist.
In allen drei Ländern haben die Parteien der bisherigen Ministerpräsidenten am besten abgeschnitten, ohne dass deren bisherige Koalitionen fortgeführt werden können.
Bündnisse mit nur zwei Parteien wären in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz denkbar oder Koalitionen aus drei Parteien wie es von vorn herein nur in Sachen-Anhalt möglich ist. Die bisher am häufigsten geschlossene Koalition zwischen CDU und SPD, also eine Große Koalition, ist nur noch in Rheinland-Pfalz möglich. In den anderen Ländern hätten SPD und CDU keine Mehrheit. Alleine dies zeigt, wie sehr die Parteienlandschaft durcheinander gewirbelt wurde.
Der Wahlerfolg der AfD
Am häufigsten ist der Wahlerfolg der AfD am Wahlabend mit der Ablehnung der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel durch diese Wähler erklärt worden. Und in der Tat zeigen ja auch die Ergebnisse der Vorwahlbefragungen, dass die Anhänger der AfD in weitaus stärkerem Maße als die Anhänger der anderen Parteien über große Probleme mit Flüchtlingen in ihrer Wohngegend berichten, ein Ansteigen der Kriminalität als Folge dieser Situation befürchten und eben auch Angst vor Kriminalität durch Flüchtlinge haben.
Diese Verunsicherungen und Stimmungen alleine hätten aber wohl nicht ausgereicht um so viele Wähler zum Wechsel zu einer neuen Partei zu motivieren. Dazu bedurfte es weiterer Anstöße, die vor allem vom Vorsitzenden der CSU, dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, beigesteuert wurden. Nun muss man wissen, dass Horst Seehofer von den Anhängern der AfD im Sympathie-Ranking besser beurteilt wird als jeder andere Spitzenpolitiker und die CSU die einzige Partei ist, die von den Anhängern der AfD geschätzt und positiv beurteilt wird (Politbarometer Februar 2016 der Forschungsgruppe Wahlen). Seehofers Kritik an der Flüchtlingspolitik Merkels legitimierte die Befürchtungen und Ängste und wirkte daher wie ein Brandbeschleuniger für die Kritik der AfD an der Politik Merkels. Der nun seit Monaten andauernde Streit zwischen Merkel und Seehofer zeigt die beiden Schwesterparteien in dieser Sache als zutiefst zerstritten, was die Wähler erfahrungsgemäß verunsichert und abstößt. Für den Wechsel von früheren CDU-Anhängern zur AfD war Seehofer daher sicher sehr hilfreich.
In allen drei Ländern ist die Wahlbeteiligung gestiegen: In Baden-Württemberg um 4,1 Prozentpunkte auf 70,4%, in Rheinland-Pfalz ebenfalls auf 70,4% (+8,6) und in Sachsen-Anhalt um 9,9 Punkte auf 61,1%. Die Wahltagbefragungen der Forschungsgruppe Wahlen weisen nun bedeutende Gewinne der AfD von denjenigen aus, die 2011 wahlberechtigt waren, damals aber nicht gewählt haben. In den beiden westlichen Ländern gilt das in etwa für jeden dritten Wähler in dieser Gruppe, in Sachsen-Anhalt sogar für jeden zweiten.
Bei den meisten Wahlen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems gab es in den letzten Jahren einen Rückgang der Wahlbeteiligung, der aus systemischen Gründen stets bedauert und dann meist mit der Politikverdrossenheit der Bevölkerung erklärt wurde. Die bei allen drei Wahlen jetzt mögliche Beobachtung legt nun die Schlussfolgerung nahe, dass manchen Nichtwählern in diesen Ländern bisher eine für sie wählbare Partei fehlte.
Aus welchen politischen Lagern die Wähler der AfD kommen, kann auf Grund der Wahltagbefragungen jetzt etwas genauer bestimmt werden als nur auf der Basis von Umfragen vor der Wahl. In den beiden westlichen Ländern liegen sehr ähnliche Bewegungen vor. Ohne es genau quantifizieren zu können, weil sich das auch bei der Qualität dieser Daten verbietet, ist zu sehen, dass unter den AfD-Wählern frühere CDU-Wähler am häufigsten anzutreffen sind. Zulauf hat die AfD aber auch von den früheren Wählern aller anderen Parteien. Im Prinzip gilt das auch für die AfD-Wähler in Sachsen-Anhalt, nur dass in diesem Land auch die Linke viele Stimmen an die AfD verloren hat. Neben früheren CDU-Wählern stellen frühere Linke-Wähler die zweitgrößte Gruppe unter den heutigen AfD-Wählern. Damit liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die AfD bei dieser Wahl in einem generellen Sinne auch als Protestpartei diente.
Die Wahltagbefragung erlaubt auch genauere Aussagen über die demografische Struktur der Wähler einer Partei, als dies mit klassischen Befragungen möglich ist. Die sehr viel größere Anzahl der Befragten und die Befragung direkt nach der Stimmabgabe führen zu einer besseren Datenqualität als bei den herkömmlichen Umfragen.
Das Wahlverhalten der Geschlechter ist bei der Stimmabgabe für die CDU und die SPD sehr ähnlich. Die Grünen werden dagegen schon immer von den Frauen häufiger gewählt als von den Männern. Bei der AfD ist es nun genau umgekehrt wie bei den Grünen. So kommt die AfD in Baden-Württemberg bei einem Landesergebnis von 15,1%, bei den Männern auf 18,3% und bei den Frauen auf 11,7%. Ähnliches gilt auf dem durch das Landesergebnis vorgegebenen Niveau auch für die anderen Länder. Stets erhält die AfD von den Frauen ein etwas schwächeres Ergebnis, bleibt aber mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz zweistellig. Die gleichzeitige Betrachtung der Stimmabgabe der Geschlechter in den verschiedenen Altersgruppen zeigt in allen Ländern das gleiche Muster. Die AfD wird besonders häufig von den Wählern bis zum Alter von 59 Jahren gewählt, von den Männern stets häufiger als von den Frauen. Ab dem Alter von 60 Jahren gehen die Ergebnisse der AfD zurück, unter den Frauen stärker als unter den Männern. Mit Blick auf die Berufszugehörigkeit der Wähler zeigt sich in allen drei Ländern, dass die AfD von den Arbeitern besonders häufig gewählt wird und in den übrigen Berufsgruppen schwächer abschneidet als im Landesergebnis. In Sachsen-Anhalt erhält die AfD aber in allen Berufsgruppen mindesten 20% und erzielt bei den Selbständigen ebenfalls ein überdurchschnittliches Ergebnis.
Der Wahlerfolg der Grünen und das Debakel der CDU in Baden-Württemberg
2011 wurde der damalige Wahlerfolg der Grünen in Baden-Württemberg mehr oder weniger ausschließlich mit dem Reaktorunglück in Fukushima erklärt. Der von der Bundeskanzlerin damals hastig beschlossene Ausstieg aus der gerade verlängerten Nutzung der Kernenergie unterstrich diese Interpretation. Die Bundesregierung wollte den Grünen die Nutzung der Kernenergie als Wahlkampfthema wegnehmen. Schon 2011 gab es Stimmen, die vor einer monokausalen Interpretation des Erfolgs der Grünen warnten. Fünf Jahre später hat die CDU mehr als doppelt so viele Stimmenanteile verloren wie 2011 und die Grünen sind Mehrheitspartei geworden. Dass die Grünen in Rheinlandpfalz und Sachsen-Anhalt gleichzeitig Stimmenanteile verloren und um ihren Einzug in ihren Landtag bangen mussten, unterstreicht den Ausnahmecharakter des Wahlerfolgs der Grünen in Baden-Württemberg.
Dieser Wahlerfolg der Grünen trägt das Gesicht ihres Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Mit ihm haben die Grünen einen Ministerpräsidenten, der eine für das Land passende Politik ausgesprochen authentisch präsentiert. Kretschmann ließ sich dabei weder vom Koalitionspartner SPD noch von der Bundesebene seiner Partei stören. Er wusste, dass er für diese Rolle unentbehrlich war, was sich in seinen Bewertungen durch die Bevölkerung kurz vor dem Wahltag zeigte (Blitzbefragung der Forschungsgruppe Wahlen vor der Wahl). Den CDU-Anhängern war der Ministerpräsidenten der Grünen deutlich sympathischer als der eigene Spitzenkandidat Guido Wolf. Und bei der Frage nach dem gewünschten Ministerpräsidenten votierten 46% der CDU-Anhänger für Kretschmann und nur 41% für den eigenen Kandidaten. Eigentlich kann die CDU auf der nationalen Ebene froh sein, dass sich das Phänomen einer bürgerlichen, konservativen Grünen-Partei nur auf Baden-Württemberg beschränkt.
Die Stärke der Grünen beschreibt die Schwäche der CDU. Während sich die Grünen in der Rolle der führenden Regierungspartei rasch zurecht fanden, verhedderte sich die CDU in der ungewohnten Rolle der Opposition. Personalquerelen bei der Aufarbeitung der Wahlniederlage führten zu lähmenden Diskussionen darüber, wer die Partei in Zukunft anführen soll. In einem Mitgliederentscheid setzte sich schließlich der weithin unbekannte Landespolitiker Guido Wolf gegen den Bundespolitiker Thomas Strobl durch, der aber Vorsitzender der Landespartei blieb.
Es gibt sehr wahrscheinlich keinen Politiker, der bei der gegebenen Lage mit einem überragend gut bewerteten Ministerpräsidenten der Grünen und der Herausforderung durch die AfD in der Lage gewesen wäre, das Wahlziel der CDU wieder zur führenden Regierungspartei zu werden, hätte erreichen können. Bei besserem Erscheinungsbild des Spitzenkandidaten wäre es allenfalls möglich gewesen, die Verluste erträglicher zu gestalten, so wie dies Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz gelang, mehr aber nicht. Insofern befand sich Guido Wolf auf einer mission impossible.
Die FDP lebt noch
Der FDP wegen ihres Verfehlens der 5 Prozent-Hürde bei der letzten Bundestagswahl die Totenglocken zu läuten, war politisch wie journalistisch verfrüht. Die Politik der Großen Koalition hatte gezeigt, dass eine liberale Partei fehlt. Die Bundesspitze der FDP wird sich nun über den Erfolg in Baden-Württemberg und über das Abschneiden in Rheinland-Pfalz freuen. In Anbetracht der erkennbar großen Wechselbereitschaft der Wähler und der in Bewegung geratene Parteienlandschaft sind die Liberalen aber weit hinter ihren Möglichkeiten zurück geblieben.
Die Bedeutung von Landtagswahlen
Landtagswahlen sind im politischen System Deutschland wichtige Wahlen, weil sie die Zusammensetzung des für die Gesetzgebung wichtigen Bundesrats bestimmen. Für die Wähler sind Landtagswahlen aber nicht so wichtig wie Bundestagswahlen, was die inzwischen sowie so schon hohe Wechselbereitschaft beflügelt. Der Wechsel von einer Partei zu einer anderen fällt bei Landtagswahlen daher besonders leicht. Bei der Projektion der jetzt vorlegenden Landtagswahlergebnisse auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr sollte dies bedacht werden.
Wolfgang G. Gibowski ist einer der Gründer der Forschungsgruppe Wahlen, wissenschaftlicher Leiter der Wahlforschung des ZDF. Als stellvertretender Chef des Bundespresseamts unter Helmut Kohl galt er in den USA als “Kohls pollster”. Danach war er Staatssekretär in der Niedersächsischen Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Landes Niedersachsen beim Bund.