Die Würde des Görli ist unantastbar. Kommerz soll dem edlen Grün fernbleiben. Dagegen gilt die Frage nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten für untergetauchte Migranten als durchaus berechtigt. So lässt sich das Kreuzberger Meinungsklima von heute – zumindest dessen lautstärkerer Teil – zusammenfassen. Andere Stimmen, die von nächtlichem Krawall, Prügeleien und wachsender Aggressivität erzählen, drohen in der sich selbst affirmierenden Berliner Stadtwildnis und ihrer hypertrophen Toleranz für die Abweichung unterzugehen.
Torsten Akmann (SPD), seit 2016 als Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport tätig, will den Görlitzer Park nun einzäunen lassen, um ihn nachts schließen zu können und so zumindest einigermaßen für Ordnung und Ruhe zu sorgen. Bei einem Gang durch die Grünanlage hatte er zuvor feststellen müssen, dass sich dort fast nur Dealer, aber kaum Familien aufhalten. Die linksliberale taz erklärte den Vorschlag sogleich zum Windei, das angesichts der rot-grün-roten Mehrheit im Berliner Stadtparlament nicht auf Zustimmung hoffen könne. Der Neu-Berliner Akmann wusste vielleicht noch nichts von der eingewurzelten Angewohnheit der hauptstädtischen Polit-Szene, jeden Mini-Fortschritt solange zu torpedieren, bis der Status quo wieder gesichert ist.
Berliner Ruinenarchitektur des hohlen Zahns
Die Parkanlage selbst gehört zu der für West-Berlin typischen Ruinenarchitektur des hohlen Zahns und dem dazu passenden Städtebau. Nachdem der klassizistische Bau des alten Görlitzer Bahnhofs in den sechziger Jahren gesprengt wurde (die Anwohner protestierten damals), diente das Areal zunächst noch halbwegs industriellen Zwecken, Kohlenhalden und Güterverkehr. Erst in den achtziger Jahren wünschte sich die örtliche Hausbesetzerszene ein schöneres Viertel und setzte den Ausbau zu einer amorphen Grünfläche mit verstreuten Betonelementen durch – von einem Park im französischen oder auch nur englischen Sinn kann man sicher nicht sprechen. (Bei den Parks am Berliner Süd-, West- oder Nordende schaut es übrigens nicht viel besser oder ästhetischer aus, zum Teil sogar im mancherorts herausgeputzten Tiergarten. Viel Schwund ist da und leider zu wenig Gartenbaukunst. Die Belle Époque – aus dieser Zeit stammt ein Großteil der Bauelemente – verfällt hier ganz buchstäblich Tag für Tag.)
In Kreuzberg greifen Spezialisten wie die Sprecherin des sogenannten »Parkrats« Anna Bernegg unterdessen zum therapeutischen Parkaufenthalt, wie die Welt berichtete. Trotz eigenem Unwohlgefühl sucht Bernegg mittlerweile »bewusst« die Konfrontation mit dem Ursprung ihrer Beunruhigung. So entstehen die »schönen Abende« im Görli, bei denen man die geschäftigen Drogendealer offenbar nach Kräften ausblendet oder zum pittoresken Detail im Abendrot des Okzidents verklärt. Mancher Anwohner erkennt sogar moralische Stärke in den jungen Westafrikanern: Sie verdienen sich ihre Turnschuhe selbst, warten nicht auf Papas Taschengeld. Zudem müssen sie ja ihre Schleppergebühren abarbeiten, stünden »total unter Druck«, übrigens auch durch ihre Familien, die auf frisches Geld aus Europa warten. Da ist es natürlich verständlich, dass man am Abend mal laute Musik anmacht, wenn sich im Laufe des Tages wieder kein Job gefunden hat.
Pittoreske Details im Abendrot des Okzidents
Im Kommentarbereich des Welt-Artikels geht die Rechtfertigung der unguten Zustände teils noch weiter: »Ein Flüchtling Mitte 20, ohne Schulbildung und Ausbildung ist möglicherweise für die großen Drogenhändler der ideale Arbeitnehmer«, vermutet ein Nutzer namens »Ralf S.« dort. Die »Frage nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten für untergetauchte Flüchtlinge« hält er deshalb für berechtigt. Also Drogendealer als Opfer: der Nachfrage von Groß- nach Kleindealern zum einen, des Jobmangels für nicht-dokumentierte Grenzübertreter zum anderen. Andere Leser können sich über so viel »Empathie und Mitgefühl« für Rechtsbrecher nur noch wundern. Manch einer stellt gar die böse Frage, inwieweit der Senat von seiner Toleranz profitiert: Berlin als Partymetropole wäre ohne diese Zustände wohl weniger interessant.
Ein zerfasernder Pluralismus regiert – wo bleibt das Gemeinsame?
Das etwas zu sehr pluralistische Motto (»keine Gruppe darf diskriminiert werden«) erinnert dabei vage an die typische Antwort der derzeitigen CDU-Führung auf die Vokabel »konservativ«: Keine der drei Unions-Säulen – christlich-sozial, liberal und konservativ – dürfe dominieren, hört man da uniform, zumindest wenn die Kanzlerin und ihr breiteres Gefolge sprechen. Dabei ist klar, dass wirklich konservatives Denken zwischen dem allfälligen Kult der Deutschland-AG – egal ob nun privatwirtschaftlich oder staatsdirigistisch aufgebaut – und der gelegentlich noch christlich verbrämten Sozialpolitik kaum noch vorkommt.
Ähnlich schlecht steht es mit der angeblich gewollten Gleichberechtigung der Gruppen im Görlitzer Park. Der bürgerliche Parkbesucher sieht sich einer Allianz von ›Anwohnerräten‹ und Drogengewerbe gegenüber (tatsächlich halten die im Park engagierten, weitgehend linksgestrickten »Initiativen« eine strukturelle Mehrheit im »Parkrat«). Zu aller Anfang müsste man wohl die Frage stellen, ob es eine Gleichberechtigung von Rechtsbrechern überhaupt geben soll, kann oder darf. Nach Meinung von Lorenz Rollhäuser, auch er ein Sprecher des »Parkrats«, muss das Dealen jedenfalls nicht aufhören. »Nö, nö«, sagt Rollhäuser, niemand habe etwas dagegen, wenn »an drei, vier Stellen im Park Cannabis verkauft« werde. »Das stört ja niemanden.« *Ironie ab* Natürlich ist es nicht nur Cannabis, um von der Umfeldkriminalität zu schweigen.