Tichys Einblick
Interview

Ökonom Daniel Stelter: Wir erleben mehrere Autokrisen gleichzeitig

Für die deutsche Autoindustrie kommt es knüppeldick. Selbst wenn die großen Hersteller die kommenden Krisen bestehen, werden die Auswirkungen für Deutschland nachteilig sein, sagt der Ökonom Daniel Stelter. Für Anleger ist Vorsicht angebracht.

Getty Images | Stefan König

TE: Jahrzehntelang war das Auto der deutschen liebstes Kind und auf die heimischen Hersteller waren nicht nur die stolz, die dort ihr Geld verdienten. Jetzt sind die Autokonzerne nicht nur an den Aktienbörsen abgesackt, sondern erleben wie kürzlich auf der IAA sogar eine Protestwelle. Wie tief reicht die Krise des deutschen Autos und was bedeutet das für das Land?

Daniel Stelter: Wir erleben mehrere Krisen des Autos gleichzeitig in Deutschland. Unter anderem eine Strukturkrise, begründet durch den technologischen Wandel – weg vom Verbrennungsmotor hin zum Elektromotor. Jeder große Strukturwandel, das zeigt die Geschichte, bedeutet für bestehende Unternehmen die Gefahr, ihn nicht zu überleben. Die deutsche Autoindustrie, wie auch die anderen wichtigen Industriezweige Deutschlands, Maschinenbau, Chemie, Pharma, gab es schon im Kaiserreich. Manche alte Branchen wie Photographie und Unterhaltungselektronik sind schon weitestgehend verschwunden. Den Computer haben wir zwar erfunden, aber das Geschäft machen andere. Die deutsche Autoindustrie jedenfalls hat es in mehr als einem Jahrhundert geschafft, die bestehende Technologie immer weiter zu optimieren. Doch jetzt kommt eben ein ungeheuer gefährlicher Strukturbruch. 

TE: Ist dieser Strukturbruch hin zum Elektroantrieb Folge politischer Vorgaben – Klimaschutz, Energiewende – oder käme der auch ohnehin?

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Daniel Stelter: Beides. Er ist natürlich einerseits Folge von deutscher Politik. Der politische Druck gegen den Verbrennungsmotor macht sich sehr stark bemerkbar. Aber dazu kommt: Die Wettbewerber außerhalb Deutschlands, nicht zuletzt in China aber auch zum Beispiel die französischen Hersteller, setzen auf Elektromobilität, weil sie unsere deutschen Hersteller in der Verbrennungstechnologie nicht schlagen können. Bei einem Elektro-Auto fallen alle die Elemente weg, die deutsche Autos relativ erfolgreich gemacht haben: die optimierten Verbrennungsmotoren und Getriebe etwa. Was also bisher differenzierend war, ist es künftig nicht mehr. Dazu kommt: Elektroautos sind auch kostengünstiger zu produzieren. 

TE: Und wenn die deutschen Unternehmen diesen Wandel gut bewältigen?

Daniel Stelter: Selbst dann gibt es einen erheblichen Arbeitsplatzverlust. Weil Elektroautos weniger komplex sind, brauchen sowohl die Automobilwerke selbst als auch die Zulieferer weniger Leute. Übrigens auch die Werkstattbetriebe, wenn keine Verbrennungsmotoren mehr repariert werden müssen. Es gibt da also über die großen Automobilunternehmen hinaus noch Multiplikator-Effekte. Für den Standort Deutschland ist der Effekt des Strukturbruchs in jedem Fall negativ. 

TE: Sind die jüngsten Meldungen über Stellenkürzungen bei Continental und Opel und anderen schon dadurch zu erklären?

Daniel Stelter: Ich will zu diesen konkreten Fällen nichts sagen. Ich habe ja zu Anfang schon gesagt: Ich sehe mehrere Ebenen der Krise des Autos in Deutschland. Die jetzigen Entlassungen sind wohl eher Wirkungen einer Konjunkturkrise, die jetzt mit der Strukturkrise zusammenfällt. Wir hatten in den vergangenen Jahren einen künstlichen Boom durch das billige Geld und eine weltweit steigende Verschuldung. Es ist nun klar sichtbar, dass wir eine weltweite Rezession bekommen. Und in Europa reagieren Deutschland, Schweden und die Schweiz nunmal am sensibelsten auf die Weltkonjunktur aufgrund ihrer Exportausrichtung. In diesen drei Ländern kollabieren gerade die Einkaufsmanagerindizes und andere Konjunkturindikatoren. Für die Autoindustrie kommt hinzu: Die Chinesen haben sich in den letzten Jahren auch sehr stark verschuldet. Und jetzt versuchen sie von dieser Abhängigkeit vom billigen Geld wegzukommen, und da sinkt die Nachfrage nach deutschen Autos.

Dass die deutsche Automobilindustrie so stark war und noch ist, liegt vor allem darin, dass hier die besonderen Fähigkeiten von Ingenieuren vorhanden waren, um die wichtigsten Teile wie Motoren und Getriebe zu bauen. Wenn diese Bestandteile mit dem Strukturbruch hin zur Elektromobilität wegfallen, dann entfällt für die großen Automobilhersteller auch die Notwendigkeit hier in Deutschland zu investieren. Denn dann richten sie sich lieber an den größten Märkten aus: USA und China. Wenn wir also ein anderes Spielfeld haben, auf dem die besonderen deutschen Qualitäten im Automobilbau keine Rolle mehr spielen, dann geht es nur noch um die Mengen der Produktion. Und da sind China und die USA im Vorteil. Wenn die historischen Gründe dafür wegfallen, dass wir in Deutschland in dieser Industrie so stark waren, dann fällt auch der Grund weg, in Deutschland zu produzieren. Der Strukturbruch wird also auch bei den deutschen Herstellern zur Tendenz führen, die Produktion noch mehr ins Ausland zu verlagern. 

TE: Zumal das Image dieser Hersteller hierzulande ohnehin extrem gelitten hat. 

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Daniel Stelter: Ja. Diese Dämonisierung des Autos und der individuellen Mobilität hierzulande führt noch zusätzlich dazu, dass Firmenlenker sich wohl kaum für ein technologiefeindliches Deutschland als Standort entscheiden werden, wenn mit Elektroantrieb und Brennstoffzellen ein ganz neues Spiel beginnt. Wir müssen uns klar machen, dass eigentlich die Automobilproduktion nur in Deutschland ist, weil sie historisch hier gewachsen ist. Wir sind in Deutschland gerade dabei, einer Industrie, die ohnehin in hohem Maße gefährdet ist durch den technologischen Umbruch, gesellschaftlich und politisch den Saft abzudrehen. Auch durch eine Klimaschutzpolitik, die völlig ineffizient ist, sehr viel kostet, aber dem Klima wenig nutzt. 

TE: Welche weiteren Krisen sehen sie noch?

Daniel Stelter: Dazu kommen dann noch politische Krisen mit ökonomischen Folgen, wie der Brexit. Großbritannien ist der zweitgrößte Auto-Markt in Europa. Die Risiken des Euro muss man auch noch dazu bedenken. Ohne die wirtschaftliche Stärke Deutschlands währe der Euro sicher längst schon Geschichte. Eine schwächelnde deutsche Autoindustrie hat nicht nur große Auswirkungen auf ganz Deutschland, sondern damit auch auf die gesamte Eurozone. 

TE: Welche Branche könnte denn in die Bresche springen und Beschäftigung bieten für all die Menschen, die künftig keine Autos mehr bauen und reparieren werden?

Daniel Stelter: Die Wind- und Solarbranche wird es schon mal nicht werden. In der Solarbranche ist die Beschäftigung zunächst hochgeschossen auf über 130 000 Menschen. Doch jetzt sind es kaum mehr 30 000. Die anderen Arbeitsplätze sind nun in China, wo man schneller auf Volumen und Skaleneffekte gesetzt hat. Für die Windenergie gilt dasselbe. Gerade baut ja auch Vestas 500 Arbeitsplätze ab. Die Idee der Politik, mit der Energiewende neue Arbeitsplätze zu schaffen, funktioniert also nicht. 

Eine Problem ist außerdem: Unsere Innovationen sind stark konzentriert auf den Automobilsektor. Und dort wiederum, wenn man sich die Patente genau ansieht, eher auf die Verbesserung des Alten als auf die Schaffung von Neuem. Es kommt also alles zusammen: Konjunkturkrise, Strukturkrise, Eurokrise und eine Politik, die den Schaden größer macht, statt ihn zu minimieren. Merkel selbst hat bei einem Europäischen Rat einmal gesagt, sie sehe schwarz für die europäische Automobilindustrie. Aber dann sollte man doch was dagegen tun. Tut sie aber nicht. 

TE: Was kann man als Anleger daraus folgern? Schnell Autoaktien abstoßen?

Ich selbst habe keine Banken-Aktien, weil die Bankenkrise ungelöst ist. Und ich habe keine Auto-Aktien. Zu spekulativen Zwecken kann man das natürlich kurzfristig wagen. Generell ist es für deutsche Anleger ratsam, ihre Vermögenswerte nicht zu sehr auf Deutschland zu konzentrieren. Ich rate, den Anteil an Vermögen außerhalb Deutschlands und am besten auch außerhalb der Eurozone zu erhöhen, global zu investieren. 


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