Tichys Einblick
DIE SICHT EINES ASYLEINWANDERERS AUS AFRIKA

Ein Platz an der Sonne – nicht so heiß wie in Afrika

Ein belebter Platz in Stuttgart, die Sonne scheint, die Menschen freuen sich und ich freue mich auch. Ich setze mich neben einen schwarzen Mann auf eine Bank, wir kommen ins Gespräch.

Getty Images

Sein Deutsch ist extrem lückenhaft, so wechseln wir bald ins Englische. Der junge Mann kommt aus Gambia und ist seit drei Jahren hier. Er erzählt, dass er auf ein Asylverfahren wartet. Einen Sprachkurs (A1) hat er gemacht, jetzt langweilt er sich ein bisschen. Gott sei Dank ist es hier nicht so drückend heiß wie in Gambia. Überhaupt ist Deutschland ein schönes Land, es liegt nicht überall Müll herum. Und wenn welcher da ist, wird er über Nacht weggeräumt.

Warum er denn hier sei, frage ich neugierig. Na ja, meint er, sein Vater hat zwei Frauen, insgesamt hat er neun Geschwister und Arbeit haben davon zwei. Die anderen sind froh, wenn sie ab und zu einen Gelegenheitsjob bekommen. Im Laufe der Jahre wurde das Geld immer knapper, die Geschwister immer mehr. Also beschloss der Vater, dass er nach Deutschland aufbrechen solle. Und wenn es gut gehe, könne er ja die Geschwister nachholen.

Mercedes Benz

In Libyen fand er problemlos einen Schlepper, mit dem er nach Italien übersetzte. Dort kaufte er sich eine Zugfahrkarte nach Stuttgart. Da, so hatte er gehört, ist Mercedes Benz, und das ist seine Lieblingsautomarke.

Ich spendiere meinem neuen Bekannten eine Flasche Bier vom Kiosk. Wir stoßen an und er meint, Allah schaut gerade nicht her, also Cheers.

Hier im Asylbewerberheim gehe es ihm gut, erzählt er gut gelaunt. Nur die Araber machen Probleme, halten sie sich doch für etwas Besseres und sehen auf die Schwarz-Afrikaner herab. Araber könnten sich jederzeit Pässe aus Syrien kaufen. Die Deutschen merkten das ja nicht. Aber bei seiner schwarzen Hautfarbe würden selbst die Deutschen bemerken, dass er nicht aus Syrien sei. Aber so sei es nun einmal.

Putzfrauen

In seinem Heim sind 70 „Flüchtlinge“ (refugees), da es Putzfrauen gäbe, klappe alles ganz gut. Die „Flüchtlinge“ seien ja fast alles Männer, fürs Putzen seien ja von Gott die Frauen gemacht. Und das haben die Deutschen hervorragend organisiert.

Ja die Deutschen können ganz gut organisieren, aber warum er sich denn als „Flüchtling“ bezeichne, so frage ich. Schließlich gibt es ja keinen Krieg in Gambia. Illegaler Einwanderer (illegal immigrant) wäre doch richtig.

Ja, da möge ich recht haben, meint er, aber wichtig sei doch, dass es ihm in Deutschland gut gehe. Hier in Deutschland hat er zum ersten Mal in seinem Leben ein eigenes Zimmer, kann sich jederzeit beim Arzt behandeln lassen und bekommt noch Bargeld obendrauf. Von seinen 350 € überweist er jeden Monat per moneygram 75 € nach Gambia. Das sind in Gambia drei Monatslöhne, meint er. Wenn meine Geschwister einmal einen Job haben, dann bringen sie höchstens umgerechnet 25 € im Monat nach Hause. Wenn ich zur Tafel gehe und dort meine Lebensmittel hole, kann ich sogar 100 € im Monat überweisen. Da freut sich meine Familie.

Humanität

Das ist wahre Humanität von Deutschland, so spricht er. Natürlich wäre es besser, wenn ihm die Deutschen gleich 320 € nach Gambia überweisen würden und er dort bei seiner Familie bliebe. Das wäre  sogar ein Gewinn für Deutschland, denn dann müsste nicht noch ein Zimmer bezahlt werden und der Arzt in Gambia ist auch billiger.

Ich werfe ein, dass ich mich freue, dass er die Humanität der Deutschen so schätze und frage, welche Gegenleistung er denn erbrächte. Nun kommt das Gespräch merklich ins Stocken. In Deutschland gäbe es doch schon alles, meint er dann zögernd. Oh, antworte ich, man könnte ja zum Beispiel den Müll, der hier auf dem Platz liegt, einfach auflesen und in die Papierkörbe werfen. Man könnte seinem Sozialarbeiter sagen, dass man gerne seinen großzügigen Gastgeber unentgeltlich unterstützen würde. Es ist ja so, sage ich, dass viele Deutsche inzwischen sehr verärgert sind, dass hier jährlich 40 Milliarden ihrer Steuermittel ausgegeben werden, um illegale Einwanderer aus Afrika und den arabischen Ländern zu finanzieren. Das wäre doch tägliche unentgeltliche Arbeit ein schönes Zeichen gegenüber den Gastgebern und würde bestimmt die Stimmung auf beiden Seiten verbessern.

Ich frage ihn, was sein Vater machen würde, wenn dieser einen armen Gast für drei Jahre aufnehmen würde, ihn verköstigte und seine Arztrechnungen bezahlte und dieser aber auch gar keine Gegenleistung erbrächte.

Er würde ihn rausschmeißen, meinte der junge Mann trocken. Sehen Sie, so sage ich, das stellen sich viele Deutsche auch so vor, und der junge Mann nickt verständnisvoll.

Ach wie schön ist Gambia

Gambia sei ein schönes Land, meint mein neuer Freund. Inzwischen kommen viele Frauen aus Europa und viele auch aus Deutschland, um sich in Gambia einen Liebhaber zu halten. Die Gigolos sagen dann, was die deutschen Frauen hören wollen, von Liebe und so, und wenn sie wieder weg sind, kehren sie mit viel Geld zu ihren Ehe-Frauen zurück. Eigentlich ein gutes Geschäft. Die Gambier bekommen Geld und die Europäerinnen haben endlich mal einen richtigen Mann. Die deutschen Männer verhalten sich ja eher wie Frauen. Das würde mir als Frau auch auf die Nerven gehen. Die Frau will doch einen Mann und nicht noch eine Frau.

In Gambia gibt es schöne Strände und einige Sklavenforts der Amerikaner. Da hake ich gerne ein und ich frage, wer denn auf Sklavenjagd gegangen sei. Weder die Amerikaner noch die Engländer hätten ja dazu das Know How gehabt. Das weiß der junge Gambier: Es waren unsere Könige und arabische Sklavenjäger, die Mitglieder unserer Familie versklavt haben. Die Amerikaner haben nur gekauft, was auf dem Markt war.

Und die Ironie der Geschichte: Die Nachfahren der Sklaven leben heute gut in den USA, sie haben also von der Sklaverei ihrer Vorfahren profitiert. Wenn meine Vorfahren versklavt worden wären, wäre ich heute Amerikaner und bräuchte nicht von Gambia nach Deutschland ziehen.

Und eines muss ich zugeben: Wir waren zwar englische Kolonie, aber wenn uns die Engländer nicht ihre fortgeschrittene Kultur gebracht hätten, hätte sich bei uns gar nichts entwickelt.

Ja bemerke ich, auf meinen Reisen durch westafrikanische Länder, habe ich oft Ähnliches gehört. Allerdings weigern sich die Deutschen, solche Gedanken überhaupt zu denken, denn das würde ihren Kult um die Schuld und ihr permanent schlechtes Gewissen womöglich unsinnig erscheinen lassen.

Versonnen sitzen wir in der Sonne und hängen unseren Gedanken nach. Der eine den einen, der andere den anderen, und wenn wir im jeweils anderen Land geboren wären, hätten wir vielleicht gehandelt wie der andere.

Am nächsten Tag stellt mir mein gambischer Freund seine Schwester vor. Zu meiner Überraschung ist sie seit 18 Jahren in Deutschland. Und seit dieser Zeit arbeitet sie auch in der Küche eines Restaurants als Hilfskraft. Allerdings spricht sie immer noch nur gebrochen Deutsch, so dass wir bald ins Pidgin-Englisch Gambias wechseln. Wer Afrika etwas kennt, der weiß auf diesem Kontinent liegt die Last der Arbeit auf den Schultern der Frauen. Die Männer sind oft dem Alkohol verfallen, oder sie sind damit beschäftigt, ihre polygamen Traditionen zu leben und Kinder zu erzeugen.

Dies hört sich hier und heute seltsam sexistisch an, aber jedem sei einmal angeraten, durch Afrika zu reisen und dort seine Erfahrungen zu machen. In Afrika sind Frauen die eigentliche Stütze ihrer Familie und ihrer Dörfer. Sie bestellen die Felder, machen die Hausarbeit, versorgen Mann und Kinder. Dummerweise sind aber die afrikanischen Männer als Einwanderer hier. Die Frauen bleiben in Afrika. Vielleicht wäre es besser, es wäre umgekehrt.

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