Tichys Einblick
Vorgeschmack auf den Niedergang

Bei Maischberger: Armut in Deutschland – Lächeln mit herunterhängenden Mundwinkeln

Wie kann man in diesem Land alt werden, ohne reich zu sein, wie es sich lebt, wenn die Rente nicht reicht, wie es morgen aussehen wird, wenn die Babyboomer die Arbeit niederlegen, so sie denn welche hatten.

Screenshot ARD

Schön, dass Sandra Maischberger wieder sitzen darf, ihre Talkshowausflüge ins Sommerloch mit neuem Stehformat und Schnellraterunden sind vorbei. Nicht, dass die Moderatorin Krücken gebraucht hätte, aber manchmal ist es einfach besser, bei den Leisten zu bleiben und die harsche Kritik von links am etablierten Format einfach dort liegen zu lassen. Wer hätte das über die Jahre schon für möglich gehalten, dass eine Sendung wie die von Maischberger in den Ruch geraten würde, Rechts zu befeuern angesichts von Sendungen, die keine Gelegenheit ausgelassen hatten, klarzustellen, welchen politischen Auftrag die Öffentlich-Rechtlichen zu erfüllen haben.

Aber kommen wir zum Thema der aktuellen Sendung, kommen wir zur Armut in Deutschland, zur Frage, wie man in diesem Land alt werden kann, ohne reich zu sein, wie es sich lebt, wenn die Rente nicht reicht, wie es morgen aussehen wird, wenn die Babyboomer die Arbeit niederlegen, so sie denn welche hatten.

Der tapfere TE-Autor Oswald Metzger muss sich ein enges Sofa mit SPD-Vorsitz-Bewerber Ralf Stegner teilen und in Laufe der Sendung scheint die Sitzfläche dieses Möbels immer enger zusammenzuschrumpfen, aber nicht etwa, weil sich die Kontrahenten näher gekommen wären, eher, weil die Distanz zwischen den beiden größer wird, das Sofa aber sein Format nicht anpasst. Erstaunlicherweise fliegen die Fetzen nie so stark, wie man es hätte vermuten können. Metzger wird es am Ende der Sendung sogar gelingen, den Sozialdemokraten einmal ganz freundlich anzulächeln. Nun ist der TE-Autor jahrzehntelang Vollblutpolitiker gewesen. Wenn es also jemand neben Stegner aushalten könnte, dann vielleicht einer wie er.

Der hat es wirklich nicht leicht in der Sendung und zu diesem Thema, wenn er mit seiner Position den anderen geladenen Gästen quasi gegenüber sitzt. Ja, Metzger ist besonders zahlenfest, alleine das isoliert ihn schon von den anderen Eingeladenen, die dieses Thema fernsehgerecht lieber gefühlig angehen wollen. Metzger muss Stegner mehrfach dran erinnern, dass es dessen Partei war, die Hartz4 eingeführt und die Agenda 2010 durchgesetzt hat, die in der Runde als Verursacher allen Übels identifiziert wurden. Und Ralf Stegner distanziert sich jedes Mal brav von der SPD von gestern. Also von einer SPD, die noch Volkspartei war?

Wenn es erhellende Momente in dieser späten Sendung (Sendezeit bis Mitternacht) gab, dann sticht einer besonders hervor: Dieser Ralf Stegner kann lächeln. Das alleine ist noch keine Sensation, aber der Politiker kann es mit herunterhängenden Mundwinkeln. Oswald Metzger nutzt die Nähe, wendet den Kopf und schaut Stegner immer ganz direkt an, während der spricht. Das ist nun nicht nur höflich, sondern auf so einem schmalen Sofa in seiner zwangsläufigen Distanzlosigkeit schon eine Art Angriff, interpretiert man das wachsende Unwohlsein des Sozialdemokraten richtig.

Aber die beiden Herren diskutieren nicht alleine. Ein weiterer ebenfalls nicht mehr ganz so taufrischer Herr ist mit von der Partie, der einem schon ein bisschen leid tun kann, wenn er offensichtlich Hörgeräte tragen muss, die so modern sind, das sie im Verborgenen bleiben, was für Träger solcher Hörhilfen sehr angenehm ist, wenn aber die Kameraschwenks im Studio immer wieder um die Köpfe herumschwirren und diese versteckte Hilfe gnadenlos mit ins Bild nehmen. Nein, ein Hörgerät ist keine Schande, aber der langjährige ZDF-WISO-Moderator Michael Opoczynski hätte auf diese persönlichen Einblicke möglicherweise gerne verzichtet. Jenseits aller politischen Zuordnungen ist der Wirtschaftsexperte in der Runde eine ruhige und Verständnis vermittelnde Erscheinung.

Gute Eigenschaften, wenn drei Generationen von Frauen eingeladen sind, welche die Rolle der Volksvertreter einnehmen sollen. Nein, klarer: Die hier das Volk sein sollen. Gisela Quenstedt ist Rentnerin, die ihr Leben klang gearbeitet hat, aber zur Tafel gehen muss, weil die Miete alleine die Hälfte der schmalen Rente von etwas mehr als eintausend Euro auffrisst. Und die wohl auch lange in Teilzeit war bzw. ihrem Mann in dessen Selbstständigkeit unterstützt hat. Merke hier: Arbeit ist nicht gleich Arbeit, wenn nicht voll eingezahlt wurde.

Oswald Metzger wird später daran erinnern, dass solche hohen Mieten insbesondere in städtischen Ballungsgebieten so häufig seien, aber er kommt oft nicht durch mit seinem trockenen Realismus, wo die Runde sich doch verabredet zu haben scheint, gemeinschaftlich gefühlig zu sein. Es geht hier um Anteilnahme und Emotionen, da stört es nur, wenn nüchterne Zahlen die Probleme doch relativieren bzw. verifizieren helfen. Ralf Stegner muss die Zahlen auch kennen, aber seine Bemühung in dieser Sendung dreht sich darum, irgendwie eine Gegenposition zu Metzger zu entwickeln, aber es gelingt ihm kaum. Also soll die sachferne Emotion seine Gegenposition sein.

Heike Orzol ist eine ehemalige Leiharbeiterin, die an der Supermarktkasse gearbeitet hat und sich um ihre Rente sorgt. Die älteren Frauen haben beide Kinder groß gezogen, die von Frau Quenstedt, so erzählt sie ohne Scheu vor der Kamera, sind heute beide auf Hartz4. So ist auch die Jüngste in der Damenrunde aufgewachsen: Die achtzehnjährige Sahra-Lee Heinrich wird vorgestellt als eine, die es quasi von der Tellerwäscherin zur Millionärin bringen könnte. Oder anders: Trotz des Hartz4-Hintergrundes kann sie ein Einser-Abitur vorweisen und hat sich also aus dieser Armutsspirale befreit, wenn sie nun ein Studium beginnt. Sympathisch, aufgeweckt, eine, um die man sich keine Sorgen machen muss. Aber keineswegs die Regel, wenn die Biografien vieler HArtz-4-Empfänger heute immer öfter eine Familienerbschaft sind. Unnötig zu erwähnen, dass der Anteil von Migranten hier überproportional hoch ist. Metzger erzählt die Zahlen auch dazu, aber es wird nicht aufgegriffen, so als wären es schmutzige Fakten, die doch nur die aufwallende Gefühligkeit in der Runde stören.

Die junge Frau Heinrich ist zweifellos ein echtes Erzähltalent. Sie schafft es die Runde minutenlang mit ihrem eloquenten Vortrag zu fesseln – immerhin ordnet Maischberger ein, dass dieses Talent nicht aus der Wiege kommt, sondern ein stückweit auch ein gelerntes ist, wenn Sahra-Lee Heinrich irgendwann im Verlaufe der Sendung als angehende grüne Politikerin vorgestellt wird (Grüne Jugend). Es sitzen in der Runde der Ex-Grüne Metzger, der dunkelrotgrüne Stegner und die frischgrüne Heinrich. Grüner geht’s ja kaum. Auch wenn es beim TE-Autor ein Altgrün ist.

Bei den Damen aus dem Volke muss man sich zudem die Frage stellen, warum da keine Herren sitzen. Das hätte man auch gerne gehört, wie das ist, wenn man zwar eine vernünftige Rente zusammengearbeitet hat, wenn sich aber eine oder mehrere Frauen aus einer oder mehrer Ehen verabschiedet haben und jede für sich ihren Teil abgebissen haben vom Eingezahlten. Nicht, dass das nicht oft gerecht wäre, aber es gehört eben zur Wahrheit dazu, dass die gesellschaftlichen Umstände ihren Teil dazu beigetragen haben, früher sich selbst versorgende Bedarfsgemeinschaften auseinanderzureißen, die dann jede für sich aufgestockt werden müssen, alleine schon deshalb, weil nun zweifacher Wohnraum zur Verfügung stehen muss. Nie zuvor in der Geschichte des Landes gab es so viele Singlehaushalte. Übrigens nicht einmal nach Kriegsende waren es mehr, als so viele Männer nicht mehr heimgekehrt sind und die Menschen im zerbombten Deutschland zusammenrücken mussten.

Oswald Metzger weist noch auf einen weiteren in der Debatte wichtigen Sachverhalt hin: Wer heute zwei oder mehr Kinder hat und einer einfachen Vollzeittätigkeit nachgeht, der ist fast automatisch Aufstocker, hat also theoretisch ein Anrecht auf Zuzahlung. Der Autor hier kann das mit vier Kindern bestätigen, selbst bei einem guten Verdienst und wenn die Ehefrau zuhause arbeitet und die Kinder rundum versorgt, wäre ein Aufstockungsantrag immer möglich gewesen. Heißt im Klartext: Wer diesen Antrag nicht stellt, der ist automatisch unterhalb der Armutsgrenze, denn diese einen Millimeter zu überschreiten, hat sich Sozialhilfe ja zur Aufgabe gestellt.

Hier wäre es übrigens generell einmal interessant, zu erforschen, wie hoch heute noch die Zuwendungen von bereits Rente empfangenden Eltern und Großeltern an ihre Kinder und Enkel sind. Denn, und auch das stellt Metzger fest, der überwiegenden Zahl von Rentnern geht es aktuell noch gut, wenn nur wenige Prozente aufstocken müssen und von diesen auch noch einige aus Scham ganz darauf verzichten und lieber Flaschen sammeln bzw. zur Tafel gehen wie Frau Quenstedt, die vor ihrem ersten Besuch dort erst dreimal um den Block gefahren ist, bis sie sich hineingetraut hat – heute fällt es ihr leichter. Sie hat einmal die Unterstützung der Tafel ausgerechnet und ist auf über einhundert Euro im Monat gekommen, die sie so einsparen kann. Ob sie ihren beiden Hartz-4 empfangenden Söhnen auch noch den einen oder anderen Euro der schmalen Rente zuschiebt? Jedenfalls erzählt sie freimütig, dass sie das Regenwasser auf dem Balkon einfängt und für die Klospülung benutzt und damit ihre Wasserrechnung auf wenige Euro drücken konnte.

So bleibt man dann etwas ratlos zurück und fragt sich, was erst werden wird, wenn sich die Massenzuwanderung fest im Sozialhilfesystem eingerichtet hat, wenn der Familiennachzug umfänglich angekommen ist, wenn der Nachwuchs geboren und also neue Generationen von Empfängern auf der sprichwörtlichen Matte stehen. Und vor allem: Wenn diese umweltzerstörerische deutsche Wirtschaft abgewickelt und nicht einmal mehr ansatzweise das Geld da ist, diese Empfänger zu bedienen.

Was wird dann sein, wenn die große Ernüchterung angekommen ist, wenn die Party vorbei ist? Wird der Treck einfach dorthin weiter ziehen, wo es noch etwas zu holen gibt oder wird es Verteilungskämpfe geben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können? Ralf Stegner möchte viel mehr Geld verteilen, so lange es noch geht und ohne Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen. Aber wo dieses Geld herkommen soll, sagt er nicht. Er lächelt lieber nichtssagend und mit herunterhängenden Mundwinkeln. Mehr Symbolismus geht ja kaum noch.

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