Auf ihrem jüngsten Landesparteitag beschlossen die baden-württembergischen Grünen, das einzige Land, in dem sie bisher einen Regierungschef stellen, dass bis zum Jahr 2030 der motorisierte Individualverkehr in den Innenstädten um 50 Prozent (!), in der Fläche um immerhin ein Drittel reduziert werden soll. Radikale Forderungen haben in Zeiten von Greta Thunberg Konjunktur – auch bei Grünen Regierungsparteien. Angesichts der Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur eines Flächenlandes wie Baden-Württemberg steht die radikale Forderung in einem krassen Gegensatz zu den objektiven Möglichkeiten einer flächendeckenden ÖPNV-Abdeckung. Wie sollen viele Hunderttausende Pendler zu ihren Arbeitsplätzen kommen? Wie der tägliche Bedarf – vom Einkauf bis zu Freizeitaktivitäten – befriedigt werden können? Busse und Bahnen von morgens 5 Uhr bis Mitternacht in der Fläche im Stundentakt! So stellen sich die Grünen die Welt im Ländle bis zum Jahr 2030 vor. In den Verdichtungsräumen wird der Halb- bzw. Viertelstundentakt angestrebt.
Die Wahrheit ist immer konkret und manchmal auch schlicht entlarvend. Seit nunmehr acht Jahren regieren die Grünen in Baden-Württemberg. Sie stellen den Verkehrsminister. Obwohl die „Verkehrswende“ seit Jahren auf der Grünen Agenda steht, hat sich die Aufteilung der Verkehrsströme im Land so gut wie nicht verändert. Selbst im Großraum Stuttgart nimmt das Auto den mit Abstand größten Anteil im Modal Split ein. Selbst da, wo attraktive öffentliche Verkehrsangebote bestehen, nutzen viele lieber ihr eigenes Fahrzeug. Ist es reine Bequemlichkeit? Sind es die angeblich hohen Kosten der ÖPNV-Tickets, die abschreckend auf autofahrende Pendler wirken?
Durch regelmäßige Marktforschungserhebungen objektiv gesichert ist immerhin, dass das Preis-/Leistungsverhältnis des ÖPNV von allen abgefragten Merkmalen immer die schlechteste Bewertung erhält. Auf einer Skala von 1 – 5 rangiert der Fahrpreis mit 3,5 ganz unten – also deutlich im Bereich der Unzufriedenheit. Dabei deckt der Öffentliche Verkehr bei weitem seine Kosten nicht. Obwohl die Fahrgäste sich übervorteilt sehen und ihr Urteil zu den zu hohen Fahrpreisen sehr klar ausfällt, sprechen die wahren Kosten der öffentlichen Verkehrsmittel (ohne Schienenfernverkehr!) eine ganz andere Sprache. Nicht weniger als knapp 26 Milliarden Euro kostet der ÖPNV inklusive des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) im Jahr in Deutschland. Das ist schon beim heutigen Angebot eine Menge Geld. Eine massive Ausweitung des ÖPNV, die mit dem Neubau von Schienenstrecken, aber auch einer massiven Taktverdichtung durch Busse verbunden wäre, lässt die Kosten förmlich explodieren. Die echten Fahrgeldeinnahmen der Fahrgäste belaufen sich heute auf 11 Milliarden Euro und damit auf gerade mal 42 Prozent des Aufwands. Statistisch wird jede ÖPNV-Fahrt zu knapp 60 Prozent von der Allgemeinheit subventioniert.
Natürlich liegen die Aufwendungen für U-Bahnen, die Milliardensummen an Investitionen und hohe laufende Betriebskosten verursachen, höher, als wenn ein vollbesetzter Bus auf dem Land auf dem bestehenden Straßennetz zu den Hauptverkehrszeiten unterwegs ist. Ein Fahrgast, der für eine Kurzstrecke von wenigen Kilometern mehrere Euro bezahlt, deckt sicher mehr als die Kosten pro Personen-km. Doch ein Student jedenfalls, der mit seinem Semesterticket den ÖPNV kostenfrei benutzen darf, hat überhaupt keinen Grund, den öffentlichen Verkehr als zu teuer zu stigmatisieren. Auch Monatsticket-Inhaber können sich, wenn sie ehrlich sind, nicht über den Preis beklagen, zumal sie praktisch eine Flatrate zur unbegrenzten Nutzung haben. Allein die betriebsbedingten Subventionen, die von den Kommunen durch den Verlustausgleich aufgebracht werden, sowie die Regionalisierungsmittel des Bundes belaufen sich jährlich auf 12,5 Milliarden Euro. Damit sind diese beiden Positionen schon höher als die Fahrgeldeinnahmen. Dazu kommen noch rund 2 Milliarden an Investitionszuschüssen für den ÖPNV.
Nimmt man die aktuellste Verkehrsstatistik des Verbands der Verkehrsunternehmen (VDV) von 2017, dann hat der ÖPNV 93,3 Milliarden Personenkilometer an Verkehrsleistung erbracht: der Bus-Linienverkehr 28,5, kommunale Bahnen 17,4 und der SPNV 47,4 Milliarden Personenkilometer. Wenn man die Kosten auf die Verkehrsleistung umlegt, dann verursacht jeder ÖPNV-Personenkilometer Kosten von 27,5 Cent. Davon deckt der Fahrgast rechnerisch im Schnitt gerade mal knapp 12 Cent. 16 Cent stammen aus öffentlichen Kassen.
Noch ein kleines Argumentations-Bonbon zum Schluß, weil der TV-Lapsus des Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck die Pendlerpauschale wieder mal zum Tagesgespräch machte. In Wirklichkeit privilegiert die jetzt im Klimapaket der Bundesregierung angestrebte Erhöhung der Pendlerpauschale ab Entfernungskilometer 21 nicht das Pendeln mit dem eigenen Auto, sondern die Nutzer des ÖPNV. Selbst ein moderner Kleinwagen (z. B. VW-Polo) verursacht bei einem All inclusive-Leasing und einer angenommenen Jahresfahrleistung von 15.000 Kilometern betriebswirtschaftliche Kosten von rund 35 Cent pro Kilometer. Ein Autopendler mit einem Grenzsteuersatz von 40 Prozent bekommt durch die heute geltende Pendlerpauschale von 30 Cent pro Entfernungskilometer 6 Cent pro gefahrenem Kilometer vom Fiskus erstattet, also nicht einmal ein Fünftel seiner tatsächlichen Kosten. Ein ÖV-Pendler dagegen erhält bei gleichem Grenzsteuersatz ebenfalls 6 Cent pro gefahrenem Kilometer erstattet, womit aber bereits die Hälfte seiner tatsächlichen Kosten ausgeglichen sind.
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