Tichys Einblick
Stasi-Unterlagen

Rettet die Gauck-Behörde!

Am Donnerstag dieser Woche will der Bundestag beschließen, die Stasi-Unterlagen-Behörde aufzulösen – mit schwachen Argumenten und ohne solides Konzept. Geschichtsvergessenheit und die Wiederbelebung antikapitalistischer und sozialistischer Ideen werden dadurch weiter zunehmen.

Entsorgung ins Bundesarchiv? - Stasi-Unterlagen-Beauftragter Roland Jahn mit IM-Akten des DDR-Staatssicherheitsdienstes

An den Stasi-Akten wäre beinahe die deutsche Wiedervereinigung gescheitert. Als im August 1990 bekannt wurde, dass die Unterlagen des aufgelösten Staatssicherheitsdienstes ins Bundesarchiv kommen sollten, erhob sich in der noch existierenden DDR ein Sturm der Entrüstung. Mit Demonstrationen, Mahnwachen und einem Hungerstreik protestierten empörte Bürger gegen die geplante Enteignung ihrer Geschichte. Um die Zustimmung der Volkskammer zum Einigungsvertrag nicht zu gefährden, vereinbarten die beiden deutschen Regierungen deshalb in letzter Minute, dass die Hinterlassenschaften der Stasi in Ostdeutschland bleiben sollten. Nicht der Präsident des Bundesarchivs, sondern der Pfarrer Joachim Gauck übernahm die Unterlagen – und avancierte bald zum Namensgeber der weltweit größten Aufarbeitungsinstitution.


Enteignung der Geschichte – Mahnwache des Neuen Forums vor der früheren Stasi-Verwaltung in Rostock 1990 (1)

29 Jahre später planen die Regierungsfraktionen mit Unterstützung der FDP, das damals abgegebene Versprechen zu brechen. Am Donnerstag soll der Bundestag beschließen, die Stasi-Unterlagen-Behörde im nächsten Jahr aufzulösen. Zuständig für das Erbe der DDR-Geheimpolizei wäre dann kein dem Parlament verantwortlicher Bundesbeauftragter mehr, sondern ein dem Staatsministerium für Kultur und Medien gegenüber verantwortlicher Beamter. Einen entsprechenden Entschließungsantrag hat der Kulturausschuss Anfang August dem Parlament zur Annahme empfohlen.

Was CDU/CSU und SPD dazu bewogen hat, ausgerechnet im dreißigsten Jahr des Mauerfalls das bedeutendste Symbol der Friedlichen Revolution zu beseitigen, ergibt sich aus dem Antrag nicht. Im Gegenteil: Die Gründung der Stasi-Unterlagen-Behörde wird darin als „weltweit einmalig“ bezeichnet, dessen Leiter „national und international hohes Ansehen“ genieße. Zur Begründung wird nur ein zeitlich unbestimmter Beschluss aus der vorangegangenen Legislaturperiode angeführt, der den derzeitigen Bundestag nicht bindet. Bislang liegt weder eine Abwägung der Vor-und Nachteile noch eine Berechnung der Folgekosten vor.

Möglicherweise ist es vor allem der Wunsch des Behördenchefs selbst, der die Regierungsfraktionen dazu veranlasst hat, sein Amt in großer Eile abzuwickeln. Im Januar 2021 läuft Roland Jahns zweite Amtszeit ab, eine Wiederwahl ist qua Gesetz ausgeschlossen. Nur wenn der Bundestag seinem Vorschlag folgt, als Ersatz für die Behörde einen Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur zu schaffen, könnte der 66-jährige weiter machen.


„Weltweit einmalige Behörde“ – Fotos von Protesten gegen die Überführung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv 1990 (Open-Air-Ausstellung vor der früheren Stasi-Zentrale in Berlin)

Eine sachliche Begründung, warum die Stasi-Unterlagen-Behörde gerade jetzt abgeschafft werden soll, findet sich jedenfalls nicht in dem Antrag der Regierungsfraktionen. Auch in dem darin begrüßten Konzept, das Jahn zusammen mit dem Präsidenten des Bundesarchivs im März vorgelegt hat, steht sie nicht. Als Grund für das geplante Aus der Aufarbeitungsbehörde wird darin nur genannt, dass die Stasi-Akten „dauerhaft gesichert“ und „zukunftsfest“ gemacht werden sollen.

Selbst Außenstehenden fällt der Widerspruch ins Auge, wieso man etwas abwickelt, um es dauerhaft zu sichern. Seit beinahe drei Jahrzehnten liegen die Stasi-Unterlagen sehr sicher und so lange das Stasi-Unterlagen-Gesetz gilt, ist auch ihre Zukunft nicht bedroht. Zudem sollen nach den Plänen der Regierungsfraktionen die gesetzlichen Bestimmungen unverändert bleiben sollen und auch die Mitarbeiter übernommen werden, so dass sich am praktischen Umgang mit den Stasi-Akten wenig ändern dürfte.

Was sich allerdings ändern wird, ist, dass die größte Institution zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ab 2021 nicht mehr existieren wird. Kein Bundesbeauftragter wird dann mehr den gesetzlichen Auftrag haben, die Öffentlichkeit über das Wirken der Stasi zu informieren. Die Zahl der Außenstellen in den ostdeutschen Ländern wird mehr als halbiert werden, was erhebliche Folgen für die dortigen Bildungsprogramme haben dürfte. Die geplante Verschmelzung wird beide Archive zudem über Jahre hinweg mit sich selbst beschäftigen – und entsprechend lähmen.


Über Jahre hinweg gelähmt – Eingang zum Stasi-Unterlagen-Archiv in Berlin

Schon jetzt hat das Bundesarchiv damit zu kämpfen, dass es zu Jahresbeginn ein anderes Archiv mit rund 250 Mitarbeitern integrieren musste – die Wehrmachtsauskunftsstelle. Auf deren Website kann man nachlesen, dass sich als Folge „gerade in der Übergangszeit längere Wartezeiten leider nicht vermeiden lassen.“ Die Stasi-Unterlagen-Behörde hat aber über 1300 Mitarbeiter und ist damit deutlich größer als das Bundesarchiv selbst. Hinzukommt, dass beide Archive auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage arbeiten, so dass die Archivare in Zukunft nach zweierlei Recht agieren müssen. Sinnvoller – und billiger – wäre es, die Stasi-Unterlagen-Behörde in den nächsten zehn bis 20 Jahren weiter abzuschmelzen und erst dann die Akten ins Bundesarchiv zu überführen.

Beunruhigend ist aber nicht nur die Auflösung der größten Institution zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und das dadurch drohende organisatorische Chaos. Als Alarmsignal muss auch gelten, dass die Öffentlichkeit auf die Pläne bislang weitgehend gleichgültig reagiert. Während frühere Versuche, die Stasi-Unterlagen-Behörde aufzulösen, regelmäßig für Empörung bei Ex-Bürgerrechtlern, Opferverbänden, Medien und Politikern sorgten, hat im Bundestag bislang nur die AfD dagegen protestiert. Noch vor drei Jahren, als die SPD ultimativ die Überführung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv forderte, schaltete sich Unionsfraktionschef Volker Kauder persönlich ein und verhinderte das geplante Ende der Behörde. Jetzt, so scheint es, interessieren sich nur noch wenige für den Umgang mit den Stasi-Akten.

Umso ungestörter konnten die Pläne in den zurückliegenden Monaten vorangetrieben werden. Hinter vorgehaltener Hand hört man, dass sich vor allem Haushaltspolitiker an den hohen Kosten der Behörde stören. Da sie nach der Deutschen Welle den zweitgrößten Posten im Kulturetat des Bundes bildet, würden manche die jährlich 100 Millionen Euro gern anders verteilen – ohne zu bedenken, dass die Kosten nach der Überführung im Wesentlichen gleich bleiben oder wegen der notwendigen Investitionen sogar steigen werden.


Kein Interesse an den Stasi-Akten – Ehemalige Zentrale des DDR-Staatssicherheitsdienstes in Berlin

Manche Unionsabgeordnete meinen zudem, dass das Bundesarchiv die Akten besser verwalten würde. Diese Einschätzung fußt vor allem auf den Erfahrungen mit Gaucks Nachfolgerin Marianne Birthler, die sich in ihrer Amtszeit in Prozessen mit Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl verzettelte, statt sich um eine effiziente Verwahrung und Herausgabe der Akten zu kümmern. Fast drei Jahrzehnte nach der Gründung ist die Stasi-Unterlagen-Behörde jedoch mittlerweile zu einem professionell arbeitenden Archiv herangewachsen. Eine externe Organisationsuntersuchung ergab 2018, dass in keinem Bereich grundlegende Defizite bei der Aufgabenerledigung bestehen.

Allerdings, so kann man dem Überführungskonzept entnehmen, gibt es nach wie vor erhebliche Probleme. Der konservatorische Zustand der Stasi-Dokumente sei häufig schlecht, ihre Lagerung erfolge größtenteils an ungeeigneten Orten und mehr als die Hälfte der Akten sei bisher nur in geringfügig erschlossen. Die Digitalisierungsrate bei den Dokumenten betrug im vergangenen Jahr lediglich 0,2 Prozent. Die Lösung dieser Probleme nun von dem viel kleineren Bundesarchiv zu erwarten, erscheint wenig realistisch. Sie ist Aufgabe des Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten.


Digitalisierungsrate von 0,2 Prozent – Stasi-Minister Erich Mielke bei der Sportvereinigung Dynamo im März 1983 (2)

Die Frage, wer die Akten des DDR-Staatssicherheitsdienstes in Zukunft verwalten soll, mag politisch interessierten Zeitgenossen vergleichsweise unbedeutend erscheinen. Für Deutschlands Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit ist sie es jedoch nicht. Schon jetzt haben Geschichtsvergessenheit und die Wiederbelebung antikapitalistischer und sozialistischer Ideen ein beunruhigendes Ausmaß erreicht. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wären deshalb gut beraten, die Behörde zu erhalten. Vor einer Entscheidung sollten sie darauf bestehen, dass ihnen das zuständige Staatsministerium für Kultur detailliert darlegt, welche Auswirkungen die Überführung der Stasi-Akten haben würde und was diese den Steuerzahler kostet. Im Zweifel sollten sie dem Appell von mehr als 60 Bürgerrechtlern und Aufarbeitungsinteressierten folgen, in dem es heißt: „Anstatt sie zu zerschlagen, rufen wir zur Ertüchtigung der Stasi-Unterlagen-Behörde und ihrer Außenstellen auf. Geschichte lässt sich nicht abwickeln.“


(1) Bundesarchiv, Bild 183-1990-0905-026 / Sindermann, Jürgen / CC-BY-SA 3.0
(2) Bundesarchiv, Bild 183-1983-0325-037 / CC-BY-SA 3.0


Der Beitrag ist zuerst bei WELT und hubertus-knabe.de erschienen.

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