Am Freitag, den 20.9.2019 wird groß für das Klima gestreikt. Meine Evangelische Kirche im Rheinland (EkiR) ist voll dabei und hängt sich als Mit-Aktivist sehr weit für „Fridays For Future“ (FFF) aus dem Fenster.
Symbolträchtig sollen genau um 5 vor 12 am Freitag einige Kirchenglocken läuten. Meine Kirche will damit „die zahlreichen Aktionen (…) hörbar stärken“ und „den Protest weithin hörbar machen“ (Homepage EkiR).
Die „Bewahrung der Schöpfung“ stehe seit den 1980er Jahren ganz oben auf der christlichen Tagesordnung. Deshalb werden am Freitag kirchliche Mitarbeiter aus Verwaltungsämtern und Kindertagesstätten freigestellt und dürfen/sollen an den „FFF“-Aktionen teilnehmen.
Und in der evangelischen Hochschulbibliothek in Wuppertal wird sogar den ganzen Freitag der Strom abgestellt. Kein Licht, keine Computer. Das Ausleihen der Bücher geht dann a la 1950er Jahre über handschriftliche Formulare. Auch das wohl ein Glaubensakt zur Ehre des Schöpfers: „Der Erste macht das Licht aus.“
Liebe evangelische Kirche, da ich nur selten in Wuppertal bin, mache dort in Deiner Bibliothek, was Du willst und was die willigen Studenten von heute so alles mitmachen.
Und liebe evangelische Kirche, wenn Du unbedingt willst, dann stelle Deine Mitarbeiter freitags frei, solange die Arbeit noch irgendwie geschafft wird und solange diese politische Aktionen nicht auf meine Kirchensteuerkosten gehen.
Aber bitte, liebe Kirche, bitte überdenke das noch mal mit den Kirchenglocken!
Kirchenglocken sind keine streiküblichen Trillerpfeiffen, um Protestaktionen hörbar zu stärken. Kirchenglocken sind religiöse Klanginstrumente, die in diesem Fall eine ganz bestimmte politische Aktion spirituell in den Himmel heben.
Doch was macht das für einen demokratischen Sinn, in einem offenen (!) politischen Diskurs eine bestimmte politische Seite göttlich-spirituell aufzuwerten?
Also, liebe Kirche, bitte gehe vorsichtig mit Deinem Privileg um, ganze Stadtteile kirchlich beschallen zu dürfen.
Nicht, dass du noch die AfD auf die Idee bringst, den Bau von Glockentürmen zu beantragen, damit sie ihren Protest auch einmal weithin hörbar machen kann. Glockenläuten um 5 vor 12, wenn ein neues Flüchtlingsheim gebaut wird; oder Glockenläuten um 5 vor 12, wenn es dem Diesel an den Kragen geht. Und sicherlich würden dann auch noch gerne andere Parteien und Vereine und Körperschaften nachrüsten. „Süßer die Glocken nie klingen.“
Und liebe Kirche, das mit den Glockenläuten symbolisch genau um 5 vor 12, das ist sowieso eine miese Masche. Seit über 2500 Jahren Jahren gibt es fast jedes Jahr irgendeinen Panikmacher, der sagt, dass die Welt untergehe. Und dieses Mal sei es wirklich „total“ ernst. Die Kirchengeschichte ist voll von diesen (totalitären) Typen. Meist eben keine Demokraten. Denn für Demokratie braucht man mehr als 5 Minuten. Meist auch nicht Leute mit klugen Gedanken. Denn auch für kluge Gedanken braucht man mehr als 5 Minuten. „Sofort raus aus der Kohle. Stoppt CO2 sofort.“ Das kann man in 5 Minuten denken und zur Not mit Gewalt in 5 Minuten durchboxen. Doch wenn dann die Aluminiumhütten nach Polen oder China ausgelagert werden, weil die deutschen Strompreise einfach konkurrenzlos hoch sind, dann hat man zwar um 12 Uhr ein reines CO2-Gewissen. Aber irgendwie ist dem weltweiten Klima damit auch rein gar nichts geholfen. Und auch nicht den deutschen Mitarbeitern in den Aluminiumhütten. Und auch nicht den deutschen Schulen und den diakonisch-kirchlichen Einrichtungen, die ja irgendwie ein bisschen von den Steuern der klima-ungerechten Industrie leben.
Also diese ganze apokalyptische Hysterie mit 5 vor 12 bringt uns nicht weiter im „Bewahren der Schöpfung“. Bei dem Jahrhundert-Marathonlauf der Ressourcenschonung geht es nicht um 5 Minuten.
Deshalb freue ich mich, dass in meiner Kirchengemeinde am Freitag um 12 Uhr die Glocken leuten. Nicht 5 vor 12, sondern genau um 12. Bis 5 nach 12. Wie jeden Tag, um einzuladen, in der Mitte des Tages einmal kurz innezuhalten. Denn manchmal geht nach 12 Uhr der Tag erst richtig los! Mit guten Diskussionen. Mit cleveren Ideen. Also, keine Angst vor 5 nach 12!
Und noch eins, liebe Kirche! Ich mag einfach keine Jugendlichen, die die Schule schwänzen. Warum nicht einfach demonstrieren und mit provozierenden Aktionen Aufsehen erregen an schulfreien Stunden?
Wir brauchen kein Foolness For Future (FFF), sondern bestens ausgebildete Jugendliche, die auch in Mathe und Naturwissenschaften fit sind. Nur so können wir bei einer Weltbevölkerung von über 8 Mrd (!) Menschen mit brillianter Technik und mit nützlichen Erfindungen unseren Umgang mit der Natur verbessern.
Also, warum lässt Du für Schulschwänzer die Glocken läuten? Für Schulschwänzer, die nicht nur an einem Tag mal blau machen, sondern die in Greta Thunberg sogar jahrelang die Schule schwänzen.
Das tut keiner Kultur gut, die Schule zu vernachlässigen. Das tut auch keiner Religion gut, die Vernunft zu vernachlässigen. Darum hat Martin Luther Dir in seiner „Disputation über den Menschen“ ins Herz geschrieben, dass die Vernunft das größte unter der Sonne sei. Warum gehst Du jetzt also plötzlich mit deinem Schulstreik-Geläut unter die Bildungsstürmer? Da gehörst Du nicht hin!
Liebe Kirche! Ich bekomme nicht nur Ohrenschmerzen, sondern auch Bauchschmerzen, wenn ich sehe, wie Du Dich als Glöckner von Klima-Deutschland für eine bestimmte politische Aktion so weit aus dem Fenster lehnst, dass Du Deinen evangelischen Boden unter den Füßen verlierst. Zu leicht kippt man vorne über.
Gewiss, bei „FFF“ gibt es mutmachende Signale: Jugendliche, die politisch aufwachen; Menschen, die ein neues Umweltbewusstsein bekommen und jetzt endlich damit anfangen, alte ökologische Erkenntnisse im Alltag umzusetzen; Politiker, die eine Schippe drauf tun, angesichts der Dialektik von Ökonomie und Ökologie um konstruktive Lösungen zu ringen, ohne dabei das gesellschaftliche Klima allzusehr abzukühlen.
Und trotzdem würde es Dir m.E. sehr gut tun, wenn Du als Kirche einen gesunden Abstand zu „Fridays for Future“ einhältst. Denn auch dort gibt es wie in jeder politischen Richtung einige Schattenseiten.
Natürlich darfst Du Dich als Kirche in einer Demokratie engagiert in alle politischen Diskussionen einbringen. Aber bitte nicht von oben vom Glockenturm herab, sondern auf demokratischer Augenhöhe. Ein offener demokratischer Diskurs braucht keine klerikalen Oberlehrer mit Kirchenglocken-Trillergepfeif.
Ohne Glockengeläut versteht man seine Gegner besser und kann dann gemeinsam um die Verbesserung der Welt ringen und streiten.
Denn es gibt tatsächlich Menschen, die voll und ganz für die „Bewahrung der Schöpfung“ sind, und die mit guten Gründen dennoch der Bewegung „FFF“ und dem sofortigen Kohleausstieg kritisch gegenüber stehen. Vergraule bitte solche Menschen nicht durch allzu übergriffiges und missbräuchliches politisches Glockengeläut.
Pfarrer Achijah Zorn (Pfarrer EkiR)