Tichys Einblick
Dokumentation

Das ZDF und Ungarn: keine Fragen?

Bemerkenswerte Briefe wechseln der Intendant des ZDF, Thomas Bellut, und der ungarische Botschafter Péter Györkös im Nachgang zur ZDF-Dokumentation „Stunden der Entscheidung - Angela Merkel und die Flüchtlinge“ über die Ereignisse im August/September 2015. Wie nicht anders zu erwarten, ist das ZDF uneinsichtig.

Screenprint: ZDF

Bemerkenswerte Briefe wechseln der Intendant des ZDF, Thomas Bellut, und der ungarische Botschafter Péter Györkös: Györkos beklagte, dass für die ZDF-Dokumentation „Stunden der Entscheidung – Angela Merkel und die Flüchtlinge“ über die Ereignisse im August/September 2015 keine Stellungnahme der ungarischen Regierung oder Behörden eingeholt worden sei, während der ZDF-Intendant beteuert: Die Autoren hätten „zahlreiche Anfragen“ bis hin zu Ministerpräsident Orbàn gestellt.

Aber wer hat Recht? Wir dokumentieren den Vorgang.

Der Brief des ungarischen Botschafters an das ZDF:

Die Antwort von Thomas Bellut an den ungarischen Botschafter.


„An Herrn
Dr. Thomas Bellut, Intendant Zweites Deutsches Fernsehen
CC:
An Herrn
Dr. Peter Frey, Chefredakteur Zweites Deutsches Fernsehen

Berlin, den 16. September 2019

Sehr geehrter Herr Intendant,

Ihren Brief vom 11. September 2019 habe ich dankend erhalten. In Bezug darauf darf ich Sie darüber informieren, dass die Kollegen in Budapest keine Hinweise auf eine an sie gerichtete Anfrage des ZDF in dieser Sache finden konnten. Dessen ungeachtet bietet unser Briefwechsel, wenn auch in etwas unorthodoxer Form, in einer für Europa sehr wichtigen Frage eine Gelegenheit zum Dialog, und bringt Licht in unterschiedliche Herangehensweisen.

Das Problem der im Film anklingenden unbilligen Unterstellungen findet in Ihrem Brief keine Erwähnung. Ich nehme das als Zeichen dafür, dass unsergemeinsames Ziel die besonnene, faktenorientierte Fortsetzung der Debatte ist.

Gleichzeitig denke ich, dass es ein schwieriges Unterfangen sein kann, in einem Brief alles, was einen angesichts eines mehr als neunzigminütigen Films mit einer Vielzahl ganz eindeutig zielgerichteter Aussagen bewegt, ganz konkret anzusprechen, aber ich habe dennoch den Versuch gewagt. Auf einige der von mir angesprochenen Punkte sind Sie in ihrem Schreiben eingegangen. Was die vom Bundesinnenministerium auf das Doppelte korrigierte Prognose angeht, sowird diese im Film tatsächlich erwähnt, nicht uninteressant ist aber vielleicht das dazugehörige genaue Datum, der 19. August, also 16 Tage vor den Geschehnissen in Budapest, was meiner Ansicht nach für den Gang und die Abfolge der Ereignisse, für Ursache und Wirkung nicht ohne Bedeutung ist.

Schon aus Respekt für Deutschland und die Deutschen ist es mir ein besonderes Anliegen, auf die von Ihnen erneut aufgeworfene Frage zurückzukommen, dass der ungarische Ministerpräsident „von einem deutschen Problem“ gesprochen hat. Aufgrund meiner damaligen Position in Brüssel war ich bei den der Pressekonferenz vorgelagerten Terminen dabei. Ungarns Ministerpräsident hatte bereits da dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Martin Schulz, gesagt, dass wir hier einem „deutschen Problem“ gegenüberstehen. Doch der Gedanke hatte eine Fortsetzung, denn er fügte hinzu, dass wir hier deshalb von einem „deutschen Problem“ sprechen können, weil das Ziel der Migranten Deutschland ist. Diese Feststellung erhält auch entsprechend einen Verweis im Film, doch erst in der Verbindung beider Elemente erschließt sich der wirkliche Inhalt der ungarischen Position.

Die in meinem ersten Brief getroffene Feststellung, wir sehen uns hier mit einem systematischen Bruch internationalen und europäisches Rechts konfrontiert, bleibt unbeantwortet. Ich halte das jedoch nicht nur in Bezug auf den im ZDF gezeigten Film, sondern auch in der gesamten europäischen Debatte für eine Schlüsselfrage. Auch in Ihrem Brief findet sich die Formulierung „Flüchtlinge in Ungarn“. Dieser Formulierung muss ich nach geltendem internationalen und europäischen Recht und mit Blick auf die geografischen Gegebenheiten widersprechen.

Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention legt fest, dass die vertragschließenden Staaten keine Strafen wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts gegen Flüchtlinge verhängen werden, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 bedroht waren und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen.

Der Schengener Grenzkodex rechtfertigt die ungarische Haltung in jedem Punkt. Artikel 13 der kodifizierten Verordnung definiert als oberstes Ziel des Grenzschutzes die Verhinderung illegaler Grenzübertritte, den Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität und legt Maßnahmen gegen Personen fest, die die Grenze illegal übertreten. Nicht unangebracht in dieser Debatte ist weiterhin der Verweis auf Artikel 5, demzufolge die Außengrenze ausschließlich an den Grenzübertrittsstellen und zu deren Öffnungszeiten überschritten werden darf.

Last but not least heißt es in Artikel 13 der Dublinverordnung, dass wenn auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt wird, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

Dies waren und sind bis heute die Parameter, an denen sich Ungarn bei der Interpretation und Anwendung des gemeinsamen Rechtsrahmens orientiert. Denn wir brauchen Ordnung.

Natürlich ist neben Ordnung auch Menschlichkeit unabdingbar. Die Welt hat sich dahin entwickelt, dass Hunderte Millionen Menschen Kriegen und anderen Katastrophen ausgesetzt sind und unter außergewöhnlich schwierigen Umständen leben, ohne Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser. Diesen massiven Problemen können wir nicht auf dem Gebiet der EU beikommen oder sie hier lösen. Wir sind fest davon überzeugt, dass es deutlich besser ist, Hilfe zu exportieren, als Probleme zu importieren. Diesem Zweck dient in Ungarn ein gut strukturiertes Programm, mit der Bezeichnung Hungary Helps. Ungarn übernimmt eine verhältnismäßig bedeutende Rolle sowohl bei der Aufrechterhaltung der europäischen Ordnung als auch bei den von Menschlichkeit geleiteten humanitären Hilfsprogrammen. Eine Zusammenfassung dazu übersende ich Ihnen, den Mitarbeitern des ZDF und den Machern des Films zur freundlichen Kenntnisnahme mit diesem Schreiben.

Und ich bekräftige gern noch einmal, dass ich mich sehr gern wann immer, wo immer mit Ihnen und den zuständigen Mitarbeitern des ZDF treffe und zur Forstsetzung des auf diesem Weg begonnenen Dialogs bereit bin.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. Péter Györkös“

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