Wer hier politische Hintergründe vermutet, muss kein Verschwörungstheoretiker sein. Ausgerechnet während in Hongkong Zigtausende gegen die Abschaffung ihrer alten, britischen Freiheiten auf die Straße gehen, macht die Hong Kong Exchange and Clearing, deren Muttergesellschaft von der Hongkonger Regierung und somit auch von derjenigen in Peking mehr oder weniger direkt kontrolliert wird, der Londoner Börse LSE ein Übernahmeangebot.
Schwer vorstellbar, dass künftig über nur zwei Ecken die Machthaber in Peking eines der zentralen Scharniere nicht nur der britischen und europäischen sondern der globalen Finanzwirtschaft betreiben – und dementsprechende Einblicke gewinnen. Die Regierung von Boris Johnson, der sich bislang überaus positiv über chinesische Investitionen geäußert hat, kann das eigentlich nicht wollen. Vor allem aber Trump kann das nicht wollen.
Man kann es sich jetzt leichtmachen – dazu neigen Politiker natürlich wie alle Menschen – und die ganze Angelegenheit nach außen als eine ökonomische behandeln. Man kann darauf hinweisen, dass Fusionen von Großbörsen bisher ohnehin gescheitert sind und an das Drama der Deutschen Börse mit der LSE erinnern. Es stimmt ja auch: Darüber muss eigentlich niemand (außer den gescheiterten Akteuren) traurig sein. Börsen-Kunden haben nichts davon, wenn Börsen fusionieren, die ohnehin schon mehr oder weniger Monopolisten in ihrem Beritt sind. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass globale Riesenbörsen die Kapitalversorgung von Unternehmen verbessern oder das Risiko von Krisen mindern würden.
Hinter der Kulisse dieses Frames könnten dann Regierungen und Behörden in London, Brüssel und erst Recht in Washington alle möglichen Hebel in Bewegung bringen, um auf die Aktionäre der LSE einzuwirken, das Angebot abzulehnen. Vielleicht geschieht das bereits. Allerdings ist dieses Angebot ziemlich attraktiv, es liegt deutlich über dem Marktpreis. Denkbar wäre auch, dass nun eine amerikanische Börse mit politischer Rückendeckung aus Washington einspringt und die LSE übernimmt.
Solch eine zumindest an der Oberfläche rein ökonomische Reaktion wäre jedenfalls ein politisches Schwächesignal nicht nur Großbritanniens an China. Und das würde weitere Übernahmeversuche in machtsensiblen Branchen geradezu herausfordern.
Wünschenswert wäre aber etwas anderes. Keine Ausreden mehr, sondern ein offen sichtbarer Schuss vor den Bug der Chinesen. Die Gelegenheit wäre jetzt da, eine nicht ökonomische, sondern politische Grundsatzdiskussion zu führen und klare, eindeutige Kriterien festzulegen, um künftige Übernahmegelüste aus China oder anderen problematischen Staaten nicht nur auf sicherheitsrelevante Branchen, sondern auch auf Infrastruktur-Dienstleister von vornherein abblocken. Möglichst in transatlantischer Geschlossenheit.
Von der deutschen Bundesregierung ist in diesem Sinne übrigens wenig bis nichts zu erwarten. Mit verantwortungsvollen politischen Weichenstellungen, die dem Schutz des Landes dienen und daher auch Mut zur Konfrontation erfordern, hat man es in Berlin erfahrungsgemäß nicht so.