Tichys Einblick
Überschätzt und heiliggesprochen

Die Waldorfschule feiert ihren 100. Geburtstag

Die Distanzierung von ihrem Ideengeber Rudolf Steiner lässt auf sich warten.

Leichtathletik Laufen, die Schüler der freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart und Anneliese Bremer (Kunstfigur der Waldorfschule, Mitte) bereiten sich auf den STZ-Lauf vor

imago images / Pressefoto Baumann

Nun feiern sie sich zu ihrem Hundertsten – die „Waldis“. „Learn to Change the World” heißt ganz unbescheiden das Fest-Motto zum 100-jährigen Jubiläum. Angesagt ist nicht weniger als eine „globale Diskussion über die pädagogischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft.“ Ein Höhepunkt wird ein großer Kongress vom 7. bis 10. September 2019 in Stuttgart sein; und der ultimative Rummel findet dann am 19. September 2019 mit einem Festakt im Berliner Tempodrom statt: „Dort präsentieren Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern aus allen Ländern der Welt künstlerische Höhepunkte des Waldorf-Unterrichts“. Siehe hier.

Waldis – das sind die Schüler der Waldorfschulen alias Rudolf-Steiner-Schulen alias Freie Waldorfschulen. Vor exakt 100 Jahren, am 7. September 1919, wurde auf der Stuttgarter Uhlandshöhe die erste Waldorfschule als „Astoria“-Betriebsschule gegründet. Initiator war Emil Molt (1876 – 1936), seines Zeichens Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Diese Schule wurde zum Modell für alle nachfolgenden Waldorfschulen, sie war zudem die erste Einheits- bzw. Gesamtschule in Deutschland. Immer und immer wieder gelten die Waldorfschulen als die kindgerechten Schulen schlechthin – als Schulen ohne Noten, ohne Leistungsdruck, ohne Sitzenbleiber, mit konstanten Klassengemeinschaften von der ersten bis zur zwölften Klasse, ohne Lehrerwechsel, mit Projekt- und Epochalunterricht, als Schulen der Ganzheitlichkeit, der Kreativität.

Wohlfeile Ansprüche sind das, deren Ergebnisse werden freilich nicht evaluiert. Zum Beispiel haben sich Waldorfschulen zwar an Pisa beteiligt, aber Ergebnisse wurden nicht bekannt. Auch was die soziale Schichtung der Eltern- und Schülerschaft oder den Migrantenanteil der „Waldis“ betrifft, findet man kaum Konkretes.

Bleiben wir bei belastbaren Zahlen: Weltweit gibt es 1.149 Waldorfschulen, davon 779 in Europa. Deutschland hat 245 (als staatlich genehmigte oder staatlich anerkannte Ersatzschulen), in den USA sind es 126, in den Niederlanden 103, in der Schweiz 31, in Österreich 20. Auf die deutschen Länder verteilt gibt es in Baden-Württemberg 59, in Nordrhein-Westfalen 48, in Niedersachsen 27, in Bayern 23, in Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein je 12, in Hamburg und Rheinland-Pfalz je 9, in Sachsen 6, in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und in Thüringen je 5, in Bremen 4, in Sachsen-Anhalt 3. In diesen 245 deutschen Waldorfschulen werden 85.029 Schüler unterrichtet. Das sind rund 0,8 Prozent aller Schüler in Deutschland.

Ein Brei aus Esoterik, Okkultismus, Pantheismus, Kosmologie, Spiritismus, Karmalehre und …

Ideengeber der Waldorfpädagogik war und bleibt Rudolf Steiner (1861–1925). Auf dessen „anthroposophischer Menschenkunde“ bauen die Waldorfschulen auf. „Im Mittelpunkt steht die Allgemeine Menschenkunde von Rudolf Steiner“, heißt es. Nur was davon? Schließlich hat Steiner 354 Bände mit 5.611 Vorträgen hinterlassen.

Diese Quantitäten dürften auch der praktische Grund für die bislang weitgehend ausgebliebene öffentliche Auseinandersetzung mit der Waldorfpädagogik sowie mit Rudolf Steiner und dessen Anthroposophie sein. Auch der fleißigste Wissenschaftler oder Publizist hat irgendwann keine Lust mehr, sich durch dieses Schrifttum durchzubeißen. Und keinem ist zu verdenken, wenn er die Nase voll hat von der allgegenwärtigen Heiligsprechung Steiners, vor allem aber die Nase voll hat – um nur eine kleine Auswahl von Titeln und Kapiteln zu nennen – von: Reinkarnation und Karma, Gnosis und Kosmogonie, Seelenmetamorphose und Astral-Leib, okkulten Wahrheiten und spiritueller Ökonomie, ätherischer Welt und Akasha usw. Zu sehr verquast ist nun einmal Steiners Amalgamierung aus indischem Einschlag, deutschem Idealismus, Pantheismus, Kosmologie und Esoterik, als dass man sie einer Analyse unterziehen möchte.

Lassen wir dieses Amalgam beiseite. Besonders problematisch freilich wird es, wenn sich Steiner über „Rassen“ äußert. Zum Beispiel wie folgt:

„Diese Schwarzen in Afrika haben die Eigentümlichkeit, dass sie alles Licht und alle Wärme vom Weltenraum aufsaugen … Und dieses Licht und diese Wärme im Weltenraum, die kann nicht durch den ganzen Körper hindurchgehen, weil ja der Mensch immer ein Mensch ist, selbst wenn er Schwarzer ist. Es geht nicht durch den ganzen Körper hindurch, sondern hält sich an der Oberfläche der Haut, und da wird die Haut dann selber schwarz … Beim Neger ist das Hinterhirn besonders ausgebildet. Das geht durch das Rückenmark … Daher ist beim Neger namentlich alles das, was im Körper und dem Stoffwechsel zusammenhängt, lebhaft ausgebildet … Der Neger hat also ein starkes Triebleben … Im Neger wird das drinnen fortwährend richtig gekocht und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn … Wenn die Neger nach dem Westen auswandern, da können sie nicht mehr soviel Licht und Wärme aufnehmen wie in ihrem Afrika … Daher werden sie Kupferrot, werden Indianer … Die Weissen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwickeln. Daher sind sie auf sich selber angewiesen. Wenn sie auswandern, so nehmen sie die Eigentümlichkeiten der anderen Gegenden etwas an, doch sie gehen, nicht als Rasse, sondern mehr als einzelne Menschen zugrunde. (…) Die weisse Rasse ist die zukünftige, ist die am Geist schaffende Rasse.“ (Rudolf Steiner, Vortrag am 03.03.1923 in Dornach; siehe Thomas Höfer: Der Hammer kreist. Zur Bewertung problematischer Aussagen Rudolf Steiners. in: Flensburger Hefte 41, Juni 1993: Anthroposophie und Rassismus, S. 8f)

„Alles was der äthiopischen Rasse ihre besonderen Merkmale verleiht, das kommt davon her, dass die Merkurkräfte in dem Drüsensystem der betreffenden Menschen kochen und brodeln. Das kommt davon her, dass sie auskochen, was die allgemeine, gleiche Menschengestalt zu der besonderen der äthiopischen Rasse macht mit der schwarzen Hautfarbe, dem wolligen Haar und so weiter.“ (Rudolf Steiner; Gesamtausgabe GA 121, S. 107f.)

„Die schreckliche Kulturbrutalität der Verpflanzung der schwarzen Menschen nach Europa, ist eine furchtbare Tat, die der Franzose an anderen tut. Sie wirkt in noch schlimmerer Weise auf Frankreich zurück. Auf das Blut, auf die Rasse wirkt das unglaublich stark zurück. Das wird wesentlich die französische Dekadenz fördern. Das französische Volk wird als Rasse wieder zurückgebracht.“ (Rudolf Steiner; GA 300/2, S. 282)

„Sehen Sie, so hat sich die Sache entwickelt, dass diese fünf Rassen entstanden sind. Man möchte sagen, in der Mitte schwarz, gelb, weiss und als ein Seitenhieb des Schwarzen das Kupferrote, und als ein Seitenzweig des Gelben das Braune – das sind immer die aussterbenden Teile. Die Weissen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwickeln.“ (Rudolf Steiner; GA 354, S. 62f.)  

„Bei den westeuropäischen Völkern ist es so, dass der Erzengel hineinwirkt mit seinen Willensstrahlen, bei dem italienischen Volk in die Empfindungsseele, bei dem französischen Volk in die Verstandes- und Gemütsseele, bei dem britischen Volk in die Bewusstseinsseele, und bei dem deutschen Volk in das Ich.“ (Rudolf Steiner: Die Europäischen Völker im Verhältnis zu ihren Volksgeistern; Vortrag vom 14. März 1915 in Nürnberg; Dornach (Schweiz) 1968, S. 22ff.)

Vor einem solchen Hintergrund und zumal in einer Zeit, in der es keine Mohrenstraße und kein Zigeunerschnitzel mehr geben soll, fragt man sich schon, wie es sein kann, dass Rudolf Steiner nach wie vor der Säulenheilige der „Waldis“ ist, und warum zahlreiche der Waldorfschulen nach wie vor Steiner-Schulen heißen. Aber wie heißt es so schön anlässlich des Jubiläums: „100 Jahre Waldorf – Das ist erst der Anfang“. Vielleicht trennt man sich ja bis 2119 von diesem Namen.

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