Im Jahre 1962 führte ein Beitrag des ehem. Fallschirmjägeroffiziers Conrad Ahlers über den Zustand der Bundeswehr zur „Spiegelaffäre“ und schließlich zu einer Regierungskrise, in deren Verlauf der Verteidigungsminister zurücktrat. Sein Titel: „Bedingt abwehrbereit.“ Die darin enthaltenen Mängelbeschreibungen galten damals als „Abgrund von Landesverrat“. Kürzlich erschien ein Bericht über Mängel und Fehlentscheidungen in der heutigen Bundeswehr, der Stoff für ein ganzes Buch bot. Sein Titel: „Nicht einmal bedingt abwehrbereit“. Dass bald darauf wiederum ein Wechsel im Verteidigungsministerium stattfand, ist zwar diesem Buch weder anzulasten noch zugute zu halten. Doch mit dem Wechsel in der Führung liest es sich plötzlich wie die Leistungsbilanz einer Ära.
Dass sich die Autoren noch auf freiem Fuß befinden, sagt nichts über die Brisanz des Mängelberichts aus. Eher über die Entwicklungen des Sicherheitsverständnisses seit 1962.
Der andere, Oberst Richard Drexl, Jahrgang 1952, kennt das BMVg aus dessen innerstem Bereich, die Bundeswehr aus langjährigen Truppenverwendungen und das Materialwesen und seinen Entstehungsgang ebenso wie die anspruchsvolle Ausbildung in der Instandsetzung modernsten Geräts. Was beiden Verfassern gemein ist, sind ihre Orientierung an soldatischen Grundsätzen, ihr unabhängiges und sachkundiges Urteilsvermögen, ihre Zuwendung zur Truppe und ihr klares Verständnis militärischer Erfordernisse der Gegenwart.
Zweihundert Seiten detaillierter Beschreibungen von Entwicklungen, Zuständen, Sachverhalten oder Strukturen können auch neugierige oder mit einzelnen Themen vertraute Leser ermüden. Dem wirken die Verfasser methodisch geschickt mit einer detaillierten Untergliederung der sieben Kapitel entgegen. Kaum eine Einzelbeschreibung erstreckt sich über mehr als vier Seiten. Das erlaubt dem Leser, sich einzelne Themen bevorzugt herauszugreifen, ohne im Anfang steckenzubleiben. Die damit verbundene Verkürzung ist nicht überall vorteilhaft: Etwa im Kapitel „Strategische Lage“ sind Verzerrungen nicht zu vermeiden, und die Geschichte der Bundeswehr kann auf zwanzig Seiten Wikipedia-Niveau kaum verlassen. Das entspricht offensichtlich der Absicht, eine Art Nachschlagewerk über die Bundeswehr zu schaffen und dürfte heutigen Lesegewohnheiten eher entgegenkommen.
Die kritische Auseinandersetzung reicht bis in Themen der an Mißverständnissen und Zweckinterpretationen überreichen „Inneren Führung“. Dabei werden bürokratische Exzesse, soziale Experimente und andere Fehlentwicklungen klar benannt, die den Soldaten die Ausübung des Dienstes völlig unnötig erschweren.
Jeder wird in diesem lesenswerten Buch etwas finden, das er bereits wusste oder kannte, aber jeder auch interessante Einzelheiten und Bewertungen.
Für Politikerinnen, die ohne jegliche Vorkenntnisse zur Sicherheitspolitik gelangen, eignet sich dieses Buch vorzüglich zur Analyse, wo anzusetzen, wo fortzufahren ist und was es tunlichst abzuschaffen, zu ändern oder zu vermeiden gilt.
Jürgen Reichardt ist Generalmajor a.D. des Heeres der Bundeswehr, war bis 2014 Vorsitzender des Bayerischen Soldatenbundes und wurde u.a. mit dem Bayerischen Verdienstorden und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Josef Kraus und Richard Drexl lesen aus ihrem Buch am Mittwoch, den 11.9.2019 um 19.00 Uhr in der Bibliothek des Konservativismus.
Die Berichte im SPECTATOR und in BILD finden sich über die hier eingebauten Links.
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