Malvina Ewering macht jetzt Poetry-Slam. Das ist zunächst einmal bemerkenswert, weil hier eine junge Frau eine literarische Arbeit abliefert, die beispielsweise erinnert an die intensiven Satzkaskaden des dänischen Bestsellerautors Yahya Hassan, aufgewachsen im Migrantenviertel Trillegård im Westen von Aarhus/Dänemark, der seine intensiven und schrecklichen Erfahrungen mit einem gewalttätigen Vater verarbeitet hat, ebenso, wie er geschrieben hat über sein Nichtankommen in der dänischen Gesellschaft samt Hilfsangeboten dänischer Sozialarbeiterin, die in einem sexuellen Abhängigkeitsverhältnis zum Minderjährigen mündeten. Schrecklich.
Aber bevor wir einsteigen, kurz eine Erinnerung, um wen es hier eigentlich geht. Malvina ist jene Malvina, die Anfang 2018 als Minderjährige im Kinderkanal Kika vorgeführt wurde, wohl als so etwas wie eine Galionsfigur für die Vorteile einer Beziehung junger deutscher Mädchen zu jenen Migranten, die nach 2015 im Zuge der Massenzuwanderung nach Deutschland gekommen sind. Wir hatten damals darüber berichtet. Der Kinderkanal strahlte unter anderem folgende Passagen aus:
„Ich habe das Problem mit ihm, dass ich oft in eine Richtung gelenkt werde, in die ich gar nicht kommen möchte.“, erzählt Malvina auf dem Sofa zu Hause bei Diaa, der gerade Beuteltee serviert hat. „Ich darf keine kurzen Sachen anziehen, immer nur lange Sachen.“ „Ich kann sowas nicht akzeptieren, dass meine Frau so aussieht, das ist total schwierig“, erwidert Diaa erklärend. Er spricht von „seiner Frau“, nicht von seiner Freundin, wie es im Westen üblich wäre. „Für arabische Männer gibt es etwas Grenzen, zum Beispiel umarmen. Das geht gar nicht bei mir. Das geht gar nicht, dass ein Typ Malvina umarmt.“ „Du kannst mir aber auch nicht sagen, mit wem ich mich unterhalten darf und mit wem nicht“, erwidert tapfer das Mädchen mit aufgeregt roten Wangen.
Zunächst hatte der Sender das Alter des Mannes wohl deutlich jünger angegeben, und musste nachbessern. Auch die Eltern des Mädchens kamen zu Wort und zeigten auf verstörende Weise eine Naivität, von der damals viele dachten: Hoffentlich endet das nicht in der Katastrophe.
Heute lassen die literarischen Poetry-Slam-Arbeiten von Malvina Ewering den Schluss zu, dass die Katastrophe schon passiert war, während das Fernsehteam noch im Kinderzimmer den syrischen Mann und das Mädchen filmte. Nun ist solcher 15-Minuten-Ruhm der Traum vieler Teenager. Dafür nimmt man vieles in Kauf. Auch Serienvergewaltigungen? Wenn sich nämlich als autobiografisch herausstellen sollte, was Malvina Ewering in Frankfurt beim U20 Poetry-Slam vorgetragen hat, dann hätten die Eltern und der Fernsehsender auf eine Weise Schuld auf sich geladen, die mindestens ein juristisches Nachspiel, wenn nicht eine gesellschaftliche Ächtung nach sich ziehen muss.
Aber hören wir einmal kurz zu, was Malvina vorträgt, was zwar fast unerträglich ist, aber durchaus künstlerische Qualität hat und sich in der Art und Weise des Vortrags anlehnt, beispielsweise an die Arbeit der so erfolgreichen und preisausgezeichneten jungen Dichterin Julia Engelmann.
„Schwarzer Boden
Ich liege halbnackt hier.
Vor Dir.
Die Ganzheit und Zerbrochenheit in eins gefasst.
Ist es das, was ich am meisten hass.
Denn ich weiß, was jetzt passiert.
Wie mein Leben auf schwarzen Boden klirrt.
Dein Ziel ist es, mich zu brechen.
Dich an Deiner Flucht zu rächen.
Deine Schleuser haben sich an Dir vergangen.
Und Deine Seele ist dort noch immer gefangen.
Du kannst nicht weiter mit dieser Last.
Weil es doch zu keinem starken Mann passt.
Und sie haben dich damals ausgezogen,
Deine Seele ausgesogen
und die Konsequenzen so einfach – zu einfach – abgewogen.
Haben ihren Penis schnell in Dich reingesteckt
Hast ihre Hoden mehrmals geleckt.
Du mit Deinem Körper auf schwarzem Boden
Weißt doch, es war doch schon damals verboten
…
Du findest Gefallen am vergewaltigen um Deine Vergangenheit zu bewältigen…“
Nun verlangt es der künstlerische Rahmen, den die Autorin gewählt hat, es ihr zu überlassen, darüber zu berichten, in wie weit ihre Dichtung autobiografisch ist oder sie hier auch als Vortragende als Ich-Erzählerin in eine Rolle schlüpft – allerdings hat Malvina Ewering eine Vorgeschichte. Und die beginnt im Kika-Kanal. Das weiß auch die junge Autorin. Und wenn sie hier von Vergewaltigung erzählt, dann muss man sich schon die Frage stellen, ob dass nicht ein besonders krasser Hilferuf ist und ob die Justiz hier nicht sogar verpflichtet ist, initiativ zu ermitteln.
Was Malvina Ewering da vorträgt ist schwer zu ertragen in diesem künstlerischen Rahmen. So etwas erwartet man in Therapiesitzungen, wenn Vergewaltigungsopfer ihre Qualen in einem langwierigen Prozess verarbeiten. Poetry-Slam als Therapiesitzung und Vergewaltigungen ins Internet gestellt für tausende Zuhörer zum Beiwohnen?
Wenn es autobiografisch verstanden werden soll, und vieles spricht dafür – natürlich vor allem und zu allererst eine schallende Ohrfeige für die Macher des Kinderkanals, für die diese Beziehung damals tolerierenden Eltern und zuletzt auch für unsere wehrlose Gesellschaft.
Es ist gruselig, eine Vergewaltigung beziehungsweise eine Reihe von Vergewaltigungen literarisch zu erhöhen, indem auch noch abgehoben wird auf das Leid des Vergewaltigers. Dabei gehört es doch zu den wichtigsten Maßnahmen der so schweren Verarbeitung von Vergewaltigungen, auch dieses Stockholm Syndrom entsprechend aufzubrechen. Hier wird es von der Gesellschaft der Zuhörer, der Veranstalter, der Filmer und der weiter schweigenden Eltern literarisch aufgenommen und ggf. auch noch mit einem Preis ausgezeichnet.
Malvinas Mutter hat sich jetzt doch geäußert. Aber anders als erwartet:
„Ich bin total begeistert und stolz auf meine Tochter. Malvina zeigt mir immer ihre Texte und hört sich meine Kritik an. Ich bin dann auch ehrlich und sage ihr, wenn ich etwas für verbesserungsfähig halte.“
Nachtrag 13:20 Uhr: HR-Fernsehen antwortet auf Nachfrage auf Twitter, man habe „mit Malvina Rücksprache in Bezug auf den Poetry-Slam gehalten. Sie hat uns gegenüber versichert, dass das Gedicht Fiktion und der Inhalt erfunden ist.“