In Rosenheim ist Ferdinand Piëch gestorben, 50 Kilometer weg von Salzburg und Zell am See, wo er privat und mit seiner Familienholding residierte. Es ist der Lebenslauf eines Giganten, der aus dem vorigen Jahrhundert bis ins heutige reicht. Geboren 1937 in Wien, studierte er Maschinenbau und begann seine Karriere beim Konstruktionsbüro Porsche, dem Unternehmen, das sein Großvater Ferdinand Porsche gegründet hatte und das den Begriff „Ingenieur“ im Firmennamen trug. Technische und wirtschaftliche Genialität kamen zusammen.
Der Enkel will den Gründer übertrumpfen
Schon mit diesem Hintergrund standen Größe und Wahn am Kindsbett: Großvater Ferdinand Porsche ist einer der ganz großen Konstrukteure des 20. Jahrhunderts, der Enkel wollte dem nacheifern. „Ferry“ Porsche baute die erste Staatskarosse für Kaiser Franz Josef; und zwar so hoch, dass dieser in das Auto steigen konnte, ohne den Kopf zu beugen – ein Kaiser beugt sich nicht. Solche Bilder sind es, die prägen.
Ferdinand Porsche baute Autos, Panzer, Traktoren, riesige Transport-Schleppzüge für die Todesfelder des 1. Weltkriegs, Flugmaschinen und Flugzeugmotoren, alles was die jeweilige Zeit braucht fürs Große, für Glanz und für Verbrechen; er erdachte technische Lösungen zu Hunderten – und gab diese Begabung in der Familie weiter. Sein Enkel Ferdinand Piëch berichtete später, wie er als Kind unter dem Tisch saß und mithörte, wie die Erwachsenen Gespräche führten; es waren die Größen seiner Zeit. Keine geradlinigen Personen, deren Heldendenkmäler herumstehen.
Denn Ferdinand Porsche ist Konstrukteur des Käfers, mit dem Adolf Hitler die Massenmotorisierung förderte und wofür er Wolfsburg baute; letztlich eine sozialistische Monster-Auto-Stadt, eine Art Kreuzung von Henry Ford und Josef Stalin in Niedersachsen, Größenwahn in Backstein. Der Enkel wurde sozialisiert mit dem Bau der ersten Porsches als Sportwagen nach dem Krieg in Gmünd und später dem Umzug nach Zuffenhausen. Porsche war nach den Trümmern des Kriegs ein Rückschritt: handgefertigt aus Wolfsburger Fertigbauteilen. Aber genial konstruiert, elegant, noch heute mit einer Leichtigkeit zu fahren, die andere Fahrzeuge erst 50 Jahre später erreichten. Diese Vergangenheit mag Last sein. Ferdinand Piëch hat sie zu Größe sublimiert.
Der geniale Konstrukteur und Unternehmer
Das ist der Hintergrund von Ferdinand Piëch. Er hat als Selbständiger den Motor konstruiert, den Mercedes in seine E-Klasse einbaute und das Zuggerät der Metzger und Bauern zur summenden Luxusklasse veränderte. Er hat für die damalige Audi NSU 1976 den ersten Pkw mit Fünfzylinder-Ottomotor (Audi 100 5E) auf den Markt gebracht und das praktisch kaputte wie gesichtslose Unternehmen endgültig aus der Vergangenheit seiner stinkigen DKW-Zweitaktwelt befreit und zum technologischen und ästhetischen Marktführer gemacht.
Seine eigentliche Meisterleistung ist seit Anfang der 90er Jahre die Rettung von VW aus der Pleite. Das ging nicht glatt; es ist eine Geschichte von Wahn und Genie, von Größe und Gemeinheit. Piëch holte 1993 José Ignacio López und sieben seiner Mitarbeiter von General Motors (GM) zum Volkswagen-Konzern nach Wolfsburg, wo dieser den neuen Vorstandsbereich „Produktionsoptimierung und Beschaffung“ übernahm. Es war ein brutaler Akt der Industriespionage; López hatte wohl kistenweise Know-how mitgeschleppt. Der tiefgläubige katholische Fanatiker, Mitglied des Laienordens vom Opus Dei, zog mit ebenso fanatischem Eifer in die Verbilligung des Konzerns ein; opferte Zulieferer zu Hunderten auf dem Altar des Sparens, später zahlte VW 100 Millionen US-Dollar Schadensersatz an GM und bezog für 1 Milliarde US-$ Bauteile von GM. Strafe musste sein für einen Raubzug, der eigentlich Romanqualität hat. Der Golf, einerseits ein großartiges Auto, war andererseits qualitativ eine Sünde der Automobilgeschichte. Der „Rabbit“ ruinierte den Ruf des „Käfers“ in den USA, das Werk musste geschlossen werden.
Geniale Verbindung von Technik, Management und Größe
Aber VW war faktisch Pleite. Schätzungen gehen von 100.000 überzähligen Mitarbeitern aus. Geld für Abfindungen war nicht vorhanden. Politik und Konkurrenten stellten sich auf den Zusammenbruch des Konzerns ein. Es war Piëchs Personalvorstand Peter Hartz, der die personalpolitische Wende einläutete: Mitarbeiter wurden nicht entlassen, was sich VW nicht hätte leisten können, sondern arbeiteten kürzer bei weniger Lohn. Das Zeitalter des Ko-Managements begann bei VW; Betriebsräte wurden zu Managern und opulent bezahlten Nutznießern. Für ihre Zustimmung erhielten Betriebsräte gewaltige Gehälter wie Topmanager, dazu Prostituierte, die notfalls aus Brasilien eingeflogen wurden, die Ehefrauen Brillanten. Brutaler hat das Zusammentreffen von ehrgeizigem Kapitalismus und sozialistischer Korruptionsbereitschaft nie seine Fratze gezeigt.
Aber Piëch sparte nicht nur. Er hatte einen Mann im Rücken, der nach dem erzwungenen Ausscheiden von Lopez die Qualität perfektionierte – Martin Winterkorn als Qualitätsmanager. Der verstand sich als Ausputzer hinter dem Genie von Piëch, organisierte die Produktion, machte den Konzern zum Qualitätsführer und zum Kostenführer: 100 Fabriken weltweit arbeiten nach dem Wolfsburger Muster; Autos werden nicht konstruiert, sondern nach dem Längs- und Querbaukasten des Konzerns einfach immer wieder länger oder breiter aber mit neuer Charakteristik und garantierter Qualität auf Massenbasis so gemischt, dass kein Auto dem andern gleicht: Es ist eine Art Wunderformel – Massenherstellung und Individualisierung gekreuzt. Und für den gnadenlosen Qualitätsfimmel erhielt er den Spitznamen „Fugenferdl“ – die Fugen zwischen den Bauteilen, die Spaltmaße wurden minimiert und perfektioniert. Der Käufer dankt es. Der Ingenieur als Unternehmer baut andere Autos als beispielsweise Daimler, das sich am Sharteholde-Value orientierte. Daimlers Niedergang kontrastiert merkwürdig zur technologischen Leistung von VW.
Der Weltkonzern
In dieser Glanzphase wurde nach der bitteren Rettung der Konzern zum weltweiten Vorbild, nichts schien unmöglich, die Marke VW wurde zum Inbegriff es Automobils weltweit, „Das Auto“ halt, Mercedes nicht nur in Stückzahlen immer weiter abgehängt, sondern auch im Image: Der große Name Bentley wird seither für die Luxusmodelle unter dem VW-Blech verwendet. 1998 wurde die Marke „Bugatti“ gekauft und Bugatti Automobiles gegründet. Das schnellste und stärkste Auto, pervers schnell und teuer, strahlt ab auf den biederen Golf, in dem sich Vati wie ein Rennfahrer fühlen darf, wenn er im Stau steht. Ebenfalls 1998 übernahm die Volkswagen-Tochter Audi AG die italienische Firma Lamborghini. Im Mai 2002 kam das Oberklasse-Modell Phaeton heraus, gefertigt in einer „gläsernen Manufaktur“ in Dresden; wie ein Brücke zwischen glanzvoller Barockzeit und rasender Gegenwart.
Die Modellpalette wurde mit Touareg, Touran und New Beetle erweitert. Im Nutzfahrzeugbereich wurden Scania und MAN übernommen. Mit Italdesign Giugiaro wurde im Jahr 2010 das Unternehmen übernommen, dessen Gründer Giorgio Giugiaro den Golf I entworfen hatte. Schließlich folgte noch die Übernahme von Ducati und damit der Einstieg ins Zweiradgeschäft. Das Management eines solchen Konglomerats ist eigentlich unmöglich, verstößt gegen jedes Lehrbuch. Aber das hat ihn nie intressiert. Piëch durchsetzte das Unternehmen mit seinen Jüngern, die ihn verehrten. Unternehmensberater mögen die Aufspaltung fordern, er setzte sich durch, bewundert, gehasst, verherrlicht. Wer ihm in die Quere kam – gefeuert. Für viel Geld. Vielleicht später wieder eingeladen zu einem Geburtstag. Nur eines durfte nicht sein: Seine Pläne durften nicht gestört werden. Die waren gewaltig. Die Übernahme oder Sanierung von Seat und Škoda müssen genannt werden. Aber Piëch konnte auch anders: Er startete die Entwicklungen des kommerziell relativ erfolglosen „Dreiliter“-Lupo und die Studie des straßentauglichen Einliterautos VW XL1. Piëch war ein Visionär.
Herrschaft statt Inklusive
Persönlich gehemmt und stotternd, produzierte er mit seinen 14 Kindern aus Ehen und Beziehungen auch aus dem engeren Familien- oder Managerkreis Skandale wie das Unternehmen neue Markenwelten. Wieviele Kinder es genau waren darüber führte er jahrelange Prozesse mit einem Wirtschaftsmagazin aber erklärte auch schmunzelnd im Privatgespräch, so genau wisse er das ja auch nicht. Seine letzte Ehefrau Uschi wählte er nach einer Probefahrt mit dem Vierrad-Antrieb aus. Sie führte ihn an der Hand durch Kongresse; mit ihr fuhr er die letzten Modelle ausdauernd zur Probe, denn er überließ nichts dem Zufall, auch als er den Konzern an Martin Winterkorn übergeben hatte. Uschi setzte größere Handschuhfächer durch, der Produktionssstart verzögerte sich. Millionen für die Handtasche? „Ohne Uschi trau ich mich nicht vor die Flintenweiber“ spottete Piëch über seinen eigenen Auftritt vor einem Kreis von Managerinnen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Zwischen 1993 und 2002 war er Vorstandsvorsitzender bei Volkswagen, er machte das Unternehmen zu dem Imperium, das es heute ist. Er war ein scheuer Mann, der sich Respekt durch Brutalität erwarb, die andere für ihn exekutierten.
Er war zu diesem Zeitpunkt bereits in den Aufsichtsrat des Konzerns gewechselt. In dieser Funktion hatte er entscheidenden Anteil daran, dass Volkswagen nach langer Übernahmeschlacht 2012 Eigentümer von Porsche wurde und nicht umgekehrt. Vielleicht war es sein größter Triumph. Piëch blieb Aufsichtsratschef bis 2015. Dann schied er nicht ganz freiwillig aus, im Krach mit seinem gelehrigsten und gehorsamsten Schüler Martin Winterkorn. Der ewige Untergebene machte auf Triumph, aber nur kurz, sehr kurz und schäbig: Kurz danach die Dieselkrise, Winterkorn seither auf der Flucht vor dem Gefängnis oder Strafverfolgung.
Piëch zog sich nach Salzburg zurück; da ist es netter und die Nahtstelle zwischen Deutschland und Österreich, die Piech-Mischung eben. Seither ist VW wieder ein torkelnder Konzern ohne Herz, geführt von einer Art Ministerpräsident, dem farblosen und geruchsneutralen Herrn Weil aus Hannover, ein paar überbezahlte, wichtigtuerische Betriebsräte in ihrer Paralallelwelt und gesichtslose Manager: VW dampft führungslos in die elektrische Zukunft; aber befeuert mit der Kohle, die nach dem Bauplan von Piech so reichhaltig verdient wird, dass es vorerst nicht auffällt.
Nein, es gibt keinen Grund, Piëch in den Himmel zu loben, den erkennen Ingenieure seiner Qualität ohnehin nicht an, die sich ihre eigene Welt schaffen, statt davon zu reden. Er ist der Vertreter eines Kapitalismus, der von einzelnen Personen vorwärts getrieben wird; Persönlichkeiten, grandios im großen Guten wie im kleinlich Bösen des Alltags. Wer über seinen Sprachfehler lachte, wurde gefeuert. Psychologen, die seine Prägung und Last mit der Familie analysieren? Damit hielt er sich nicht auf, verwandelte und beherrschte lieber die Welt, um sie zur eigenen zu machen.
Jammern? Nein. So verwandelte er Schwäche in Stärke. Das passt nicht ins Zeitalter von Inklusion, der Ausgegrenzte, Verspottete erwarb Dominanz, gnadenlos. Wer bei einer seiner Reden lachte – aus den Augen. Der Pressesprecher hatte darauf zu achten. Geld hatte er so viel, dass es ihn nicht interessieren musste, über die meisten seiner Familienmitglieder lachte er. So viele Kinder brauche er, weil die meisten ja doch nichts taugen würden – bis auf die eine, die herausragende Schöpfung. Das war der private Darwinismus des Ferdinand Piëch. Diesen Nachfolger sieht man noch nicht. Vielleicht kann es ihn nicht mehr geben. Vielleicht gibt es auch keinen Platz dafür im Zeitalter der Controller und von Corporate Governance.