Tichys Einblick
Oder wie Huxley sagen würde: Brave new world

Fuck you Goethe, fuck you Einstein

Weil Kunststudenten nicht hinnehmen wollen, dass „Goethe und sein 'Heideröslein' unhinterfragter Unterichtsstoff” sind und „Kinder das auswendig lernen” müssen, haben sie nun kühn Goethes Gartenhäuschen mit Klopapierrollen beworfen.

Screenprint: YouTube/Frankfurter Hauptschule

Die Humboldt-Universität zu Berlin trägt nicht nur einen großen Namen, sondern blickt auch auf eine große Geschichte zurück. Eindrucksvoll nimmt sich die Reihe der Wissenschaftler der alma mater aus, die mit dem Nobelpreis geehrt worden waren, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als wissenschaftliches Können und Erfindergeist Deutschland zu einer führenden Nation auf den Gebieten der Kultur, der Wissenschaft, der Technik und der Wirtschaft machten. Auf der Homepage der Universität kann man lesen: „Die Erinnerungskultur der Humboldt-Universität ist an vielen Stellen sichtbar. Am prominentesten zeigt sie sich in der Galerie der Nobelpreisträger, deren Porträts an exponierter Stelle vor dem Senatssaal im Hauptgebäude hängen.“ Hier präsentiert sich eine traditionsreiche Universität in dem wunderbaren Spannungsverhältnis von Geschichte und Anspruch.

Das allerdings scheint nach dem Willen der Historischen Kommission der Universität bald schon der Vergangenheit anzugehören, weil man sich anscheinend der großen Tradition der Universität, des Humboldtschen Bildungsideals und der epochalen Leistungen der Universität auf dem Gebiet der Medizin, der Physik, der Chemie und Literatur schämt, denn: „Seit einigen Jahren wird immer wieder Kritik an der Galerie laut, weil in ihr nur eine kleine, ausschließlich weiße und männliche und daher von vielen als wenig repräsentativ empfundene Gruppe erinnerungswürdiger Angehöriger der Universität vertreten ist.“ Dieser Satz stellt den Offenbarungseid der Historischen Kommission dar, dokumentiert er doch den Abschied von der Wissenschaft. Denn es geht nicht mehr um das Argument, nicht mehr um Rationalität, noch um eine Begründung, sondern um Empfindung und Befindlichkeit, um Gefühl und Ideologie.

Einige „empfinden“ die Nobelpreisträger als nicht repräsentativ, weil sie weiß und männlich sind. Aber der Historischen Kommission fiel wohl nicht auf, dass man die Bilder der Wissenschaftler nicht deshalb ausstellte, weil sie „männlich“ oder „weiß“ waren, sondern weil sie für ihre wissenschaftliche Leistung geehrt worden waren, und diese Leistungen waren eben nicht weiß oder männlich, sondern wissenschaftlich. Niemand hat in Max Plancks Gesicht geschaut, um die Pigmente zu zählen, sondern man hat in die Forschungsergebnisse geblickt, sie studiert. Es mag sein, dass die Humboldt-Universität sich von Wilhelm von Humboldt und auch von Alexander von Humboldt verabschiedet, von ihrer exzellenten wissenschaftlichen Tradition, es mag sein, dass political correctness, dass identitätspolitische Opfererzeugung und Genderismus die Stelle der Wissenschaft einnehmen, dann aber würde sie zu einer weiteren Institution im Reich der Ideologie werden, eine mit wissenschaftlichen Titeln versehene NGO.

Um endlich die Galerie der männlichen und weißen Nobelpreisträger – es gibt übrigens keine anderen – auflösen zu können, wird eine Ausstellung konzipiert unter dem schon vom Schriftbild satirepreisverdächtigen Titel: „Humboldtianer*innen mit Zivilcourage.“ Das neue Ideal der Humboldt-Universität bestünde dann nicht mehr in Lehre und Forschung, in der exzellenten Ausbildung von Forschern und großen wissenschaftlichen Entdeckungen, sondern es ginge dann nur noch um eins: um Haltung. Bildung war gestern, Wissen auch, heute ist wieder die richtige Haltung angesagt, der Haltungsstandpunkt, ein ins zeitgemäße übersetzter Klassenstandpunkt.

Wohin das führt, zeigte eine Gruppe gelangweilter junger Leute, von denen einige Kunststudenten genannt werden, die in ihrer Aktion “LOLita” Goethe in seinem Jubiläumsjahr ins Visier von #MeToo“ rücken wollten. Jenseits auch nur der geringsten Kenntnisse in der Analyse und Betrachtung von Dichtung behaupteten sie, in dem Gedicht „Das Heideröslein“ werde „gar eine brutale Vergewaltigung in lieblichem Trällerton” von Goethe „verharmlost”. Weil sie es nicht hinnehmen wollen, dass „Goethe und sein ‚Heideröslein‘ heute immer noch unhinterfragter Unterichtsstoff” sind und „Kinder das auswendig lernen” müssen, haben sie nun kühn Goethes Gartenhäuschen mit Klopapierrollen beworfen.

So verwirklicht sich die Forderung von Joseph Beuys, dass jeder Mensch ein Künstler sei, denn jeder Mensch dürfte auf die eine oder andere Art mit Klopapier umgehen. Übrigens darf natürlich auch der Verweis darauf, dass Mitglieder der sogenannten Künstlergruppen zu den Opfern der Schulbildung zählen, nicht fehlen, denn: „Einige von uns waren selber betroffen.” Letzter Satz trifft alledings nicht zu, denn liest man den auf der untersten Stilebene verfassten Text, gewinnt man den Eindruck, dass zumindest die Bildung in Deutscher Sprache und Deutscher Literatur an ihnen vollkommen vorbeigegangen zu sein scheint. Wollen diese “Künstler” allen Ernstes behaupten, dass das Erlernen von Gedichten der deutschen Klassik zu schweren Traumata führt?

Man gewinnt den Eindruck, dass Wohlstandskinder des juste milieu, deren Selbstbewusstsein indirekt proportional zu ihrer Bildung sich verhält, aus Langeweile und existentieller Leere ein bißchen Revolution spielen. Wenn der Sprecher der Klassik Stiftung auch noch einen Bückling macht, und allen Ernstes sagt: „Wir sind eigentlich froh und glücklich, dass sich junge Menschen auf kreative Weise mit dem Werk Goethes auseinandersetzen, und hätten grundsätzlich sicher nichts gegen die Aktion gehabt – wäre danach aufgeräumt worden“, dann sollte sich die Stiftung von diesem Pressesprecher trennen, der die Klassik auch noch der Lächerlichkeit preisgibt. Der Textversuch der sogenannten Künstlergruppe über ihre vorpubertäre Aktion endet nämlich mit folgenden Worten: „Wir fordern, dieses Gedicht aus den Schulen zu verbannen, beziehungsweise wenn darüber gesprochen wird, es als das zu markieren was es ist: humoristische Vergewaltigungslyrik von einem lüsternen Dichtergreis. Wir sagen: Fuck you, Goethe!” Das riecht nach Zensur, nach einer Bücherbrennung und nicht nach einer Auseinandersetzung.

Aber vielleicht schlägt ein Student der Humboldt-Universität die „Mitglieder des Künstlerkollektivs Frankfurter Hauptschule” für die neue Galerie vor. Möglich, dass sie nicht an der Humboldt studiert haben, aber da sollte man nicht allzu kleinlich sein, wenn es der guten Sache dient.

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