Der Focus kommt nicht mehr zur Ruhe, die Chefredakteure geben sich die Klinke in die Hand. Erst ein Recherchestarker, dann einer mit Meinung, und jetzt? „Das nächste big thing“? Don’t think so.
Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurer Runde der Hundertdritte
Die erste FOCUS-Ausgabe, die der neue Chefredakteur verantwortet, wartet auf mit einem bewährten Rezept, das tonangebende Chefredakteure landauf, landab als geschmackvoll, reichhaltig und wertvoll befunden haben: Zurück in´s Wohlig-Warme. Als ob Robert Schneider alle Wunden heilen wollen würde, die Ulrich Reitz zuvor in die politisch-korrekt schlagenden Herzen der Berliner Empörungscliquen geschlagen hatte, startet die erste Ausgabe unter dem (vermutlich letzten) neuen Chefredakteur des FOCUS mit einer versöhnlich stimmenden Kampagne. „Deutschland – Wer bist Du? Psychogramm einer verunsicherten Nation“ titelt es einem entgegen. Keine geringere als die schöne Palina Rojinski ziert das Cover hinter einer Deutschlandfahne, bei der sich ein Bundesjustizminister an anderer Stelle noch mit den Worten „Widerlich“ völlig abgestossen abgewandt hatte. Heiko Maas wird die FOCUS-Ausgabe optisch vermutlich als die reinste Zumutung empfinden müssen. Oder es kommt halt doch darauf an, wer ihn zu welchem Anlass schwenkt, den bunten Fetzen. Sind wirklich die Deutschen verunsichert, oder vielleicht die Medienmacher? Weil Auflage und Zustimmung sinken – wie in der Politik? Aber statt sich selbst den Puls zu fühlen – wird der des vermeintlichen Lesers analysiert.
Und so lernen wir, dass Deutschland ein exaltierter Oscar-Preisträger mit grünem Ring am Mittelfinger ist, ein abgehalfterter Tennis-Star, ein untersetzter Politiker im Sessel, der was von mehr Sicherheit erzählt, ein Schauspieler mit undeutlicher Aussprache und einem Hang zu zu vielen Ausrufezeichen. Es wird unheimlich viel darüber erzählt, wie Deutschland gerade ist, was Deutschland geleistet hat, welchen Weg Deutschland noch vor sich und zu beschreiten hat. Natürlich dreht sich irgendwie alles um – können Sie es erraten? Um das Thema Flüchtlinge. Am Ende ist alles ein großmaschig gestricktes Ja zum Kurs der Kanzlerin. Ja gut, wir haben Zweifel. Ja gut, wir haben Angst. Aber: Ja, verdammt, wir schaffen das.
Wer die ohnehin bereits bekannte einhellige und offensichtliche Meinung bisher verpaßt hat, wer noch nicht mitbekommen hat, was Martin Schulz, Katrin Göring-Eckhardt, Ursula von der Leyen und Gregor Gysi sagen, der kommt an dieser Ausgabe des FOCUS aber sowas von nicht vorbei.
Willkommen zurück in der Schiene
Man war so bemüht bei Heft 1 der neuen Nummer 1 alles richtig zu machen. Viele große Namen aus Politik, aus Wirtschaft und den Medien. In preußischer Ordnung aneinandergereiht. Aber außeracht lassend, dass es eben nicht die Sarah Wieners sind, die die Menschen ermutigen in einer Krise über sich hinaus zu wachsen.
Aber vielleicht wäre dem seniorigen FOCUS-Leser dann doch zu schnell aufgefallen, was ihm da ins Körbchen gelegt werden soll, wenn z.B. Abdelkarim Zemhoute oder Necla Kelek, Hans Sarpei oder Serge Menga etwas darüber erzählen, wie es ist, Deutschland zu sein, wie sie Deutschland wahrnehmen. Dabei ist Deutschland doch bunt – oder etwa nicht? Dann wäre es doch auch konsequent gewesen, beim Puls fühlen auch mal ein paar mehr Zugezogene oder Personen mit Migrationshintergrund zu Wort kommen zu lassen. Gut gemeint ist an der Stelle eben nicht gut gemacht. Leider.
An die Coverstory fügt sich nahtlos „Merkel und die Rückkehr des Lächelns“ an. Mit einem großen Bild einer milde lächelnden Angela Merkel, welches sich auffallend abhebt zu den aktuell ausgewählten Bildern der Konkurrenz, die auf eine rasante Vergreisung hinweisen. Dass sich dieser Beitrag direkt und unmittelbar nach der Titelstory anschmiegt, ist sicher nur Zufall. Ein knackiges Schaubild zeigt, wer „eng an ihrer Seite“ steht, wer „wankelmütig“ und wer zu Merkels „Gegenspielern“ zählt. Eine gestrichelte Linie mit Hinweis zum Ausschneiden wäre klasse gewesen, damit sich die älteren Semester das Schaubild dann in Schutzfolie auf den Beistelltisch legen können, um in den abendlichen Talkshows noch Freund von Feind unterscheiden zu können.
Natürlich darf auch der kleine Schlag in den nach vorne gebürsteten haarfreien Nacken von Donaldo Trump nicht fehlen – „Trump wäre ein Desaster“ schreibt John Kornblum. Wissen wir. Hat man nicht gut zu finden. Haben wir alle begriffen. Don’t oversell.
Hui, Ulrich Reitz darf doch noch was schreiben – auf Seite 54. „Liebe Frau Merkel, warum werfen Sie nicht einfach hin?“ Vielleicht weil sie nicht auf Seite 54 in der Bundestagsdepesche schreiben möchte? Am Ende winkt Herr Reitz mit „patriotischen Grüßen“. Darf er das? Helmut Markwort schließt wie üblich das Generationenheft ab, mit einer seeeeeehr späten Rezension zu Angela Merkel bei Anne Will. Ich hätte sie fast übersehen.
Wenn man gerade hofft, da könnte noch ein Schlenker kommen, wird man eines besseren belehrt. Da erfährt man in „Wenn das Herz regiert“ all das, was man eigentlich gar nicht wissen wollte über das Privatleben von Heiko Maas und Natalia Wörner. Der „Best Dressed Man 2016“ „trägt weder Maßanzüge noch handgefertigte Schuhe. Er kauft Konfektionsware.“ Okay. „Freunde sagen, Maas habe schon früh Wert auf Mode gelegt und ein Händchen für Kombinationen.“ Vielen Dank. Wesentlich interessanter hätte es doch sein können, zu hinterfragen, ob die neue Liebe eventuell auch eine Verschärfung politischer Maßnahmen beeinflusst haben könnte. Auch da bleibt der FOCUS leider bei der braven Hofberichterstattung meets Rosamunde Pilcher stecken.
Man hätte den Titel auch „FOCUS, Wer bist Du? Psychogramm einer verunsicherten Redaktion“ nennen können. Wohin geht die Reise? Nach dieser Ausgabe steht zu erwarten: Weniger politisch, mehr boulevaresque. Weniger Reibung, mehr Windschnittigkeit. Die, wie man weiß, die Geschwindigkeit bei der Abfahrt ordentlich begünstigen kann.