Die größte deutsche Boulevard-Zeitung titelt nach der Urteilsverkündung vor dem Dresdner Landgericht vom „Messer-Killer“. Gemeint ist der syrische Asylbewerber Alaa S., der am frühen Nachmittag wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.
Neuneinhalb Jahre sind keine Kleinigkeit, trotzdem kochte die Volksseele bereits wenige Minuten nach Bekanntwerden des Urteils hoch. Vorgerechnet wird, dass der verurteilte Straftäter bereits ein anrechenbares Jahr in U-Haft gesessen hätte und dass er nach zwei Dritteln der Haftzeit sowieso entlassen werden würde, also schon in weniger als sechs Jahren den Hinterbliebenen seines Opfers in Chemnitz wieder gegenüberstehen könnte.
Tatsächlich kann das der Fall sein. Aber taugt dieses Urteil für eine Generalkritik an der Justiz, wenn beispielsweise die Frage gestellt wird, warum für die „Erfüllung“ von Mord („Messer-Killer“) so große Hürden gestellt sind? Mordmerkmale sind nun einmal juristisch u.a. „niedrige Beweggründe“ und „Heimtücke“.
Die verbreitete Erwartungshaltung, dass es eben genau das war: nämlich Mord aus niedrigen Beweggründen und Heimtücke, wollte das Dresdner Landgericht, wollte nicht einmal die Staatsanwaltschaft behaupten. Ein versierter Jurist, den TE dazu befragt, nennt diese Volksempörung am Telefon sogar „ein stückweit eine Würdigung auf Stammtischebene.“ Der Unterschied zwischen Totschlag und Mord sei demgegenüber nämlich erheblich.
Gerade einmal neunzehn Verhandlungstage hat es nun gebraucht, zu diesem Urteil zu finden. Das ging vergleichsweise schnell. Und da die Verteidiger des Angeklagten Freispruch forderten, war die Spannung im Vorfeld entsprechend groß, ob bei der Urteilsverkündung auch Überraschungen möglich sind.
Vieles hätte dabei herauskommen können. Noch dazu, weil eine – wieder aus der juristischen Perspektive: – dünne Beweislage durchaus auch das Potenzial hatte, Zweifel zu säen. Das Gericht hat nun dennoch klar gegen den Angeklagten entschieden und beschieden, es würden ausreichend überzeugende Hinweise existieren, dass Alaa S. gemeinsam mit seinem noch flüchtigen irakischem Bekannten Farhad A. den 35-Jährigen Daniel H. erstochen hat.
So äußerte der Nebenklägervertreter, dass „keine objektiven Beweismittel vorlägen“, dennoch sei der Angeklagte „mit einem hohen Maß an Brutalität vorgegangen“, das Opfer sei wehrlos gewesen und hätte „keinerlei Flucht- und Abwehrchancen gehabt.“ Für den Laien miteinander aufgewogen durchaus Widerspruch provozierende Aussagen.
„Ich bin auch davon überzeugt, wenn dieses Verfahren bei einem anderen Gericht stattgefunden hätte, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder wo auch immer, in einem anderen Bundesland, in einer anderen Stadt, dass es niemals zu einer Verurteilung gekommen wäre,“ politisierte die Verteidigerin vor sich hin um das Narrativ über die reaktionären Sachsen zu nähren. Sie zündelt, wo sachliche Argumentation notwendig wäre.
Nun mag es Aufgabe der Verteidigung des Angeklagten sein, solche Widersprüche zu säen. Aber es gehört sicher nicht zum Standardrepertoire von Anwälten, dem Gericht, wie hier bei diesem Prozess geschehen, eine Befangenheit zu unterstellen dahingehend, dass die Kammer des Landgerichtes sich bei der Urteilsfindung nicht von den Forderungen aus Politik, Gesellschaft oder von einem „marodierenden Mob“ beeinflussen lassen sollte. Um sich selbst in ein linkes Licht zu stellen trägt diese Verteidigerin zu einer weiteren Radikalisierung bei, wenn sie die Kammer dazu auffordert, sich selbst für befangen zu erklären, wenn sie sich von politischen Überzeugungen leiten lassen würden oder Angst vor Reaktionen auf ein (milderes) Urteil hätten.
Das mag die maximale Ausschöpfung dessen sein, was man für seinen Mandanten tun mag, aber es ist auch infam oder als mindestens grenzwertig anzusehen. Genutzt hat es am Ende nichts oder wenig. Das Gericht hat sich davon wenigstens nicht einschüchtern lassen.
Heute wurde Alaa S. in Dresden schuldig gesprochen den Chemnitzers Daniel H. getötet zu haben. Der Verurteilte empfindet sich selbst jetzt als „zweites Opfer des Täters“. Aber wenn Rechtsanwältin Ricarda Lang direkt nach Prozessende sagt: „Das Urteil stand schon am ersten Tag fest,“ dann sind das die Mythen, die neue Demonstrationen und Verletzungen hervorrufen und das Urteil entwerten. Rechtsfrieden gibt es nur bei Freispruch? So kann es nicht sein.
Die aufgeheizten Stimmungen in Chemnitz und anderswo, wo Migranten Einheimische totschlagen oder ermorden, ob nun aus Heimtücke, aus niederen Beweggründen oder wie bei dem kleinen Jungen am Bahnsteig angeblich aus Mordlust, ist dabei völlig unerheblich. Daniel H. wird davon nicht mehr lebendig, selbst dann nicht, wenn das Urteil lebenslang mit anschließender Sicherheitsverwahrung gelautet hätte.
Dieses Verfahren und seine Begleitumstände bestätigt immer mehr aufgebrachte Bürger vor allem in einem: Ihr Urteil über die Kanzlerschaft Angela Merkels und den verheerenden Schaden, den diese angerichtet hat. Wer zählt da noch Gerechtigkeit in Jahren? So wird das Urteil keinen Frieden stiften können. Seit dem 28. August 2018, der Nacht der Tat, die nicht Mordnacht, sondern Totschlagnacht heißt, seit dieser Nacht ist Chemnitz ein Symbol: Für die Bundesregierung und die ihr nachstehenden Medien war der Totschlag an Daniel H. der Beginn von ausländerfeindlichen „Hetzjagden“, nachdem ein Video dies angeblich zeigte. TE hat jenes Chemnitzer Ehepaar gefunden, das das Video aufgezeichnet hat – danach war es eher umgekehrt: Aggressive „Ausländer“ gingen auf Menschen los, die von dem Mord betroffen zeigten. Daher ist Chemnitz auch ein Symbol mit anderer Bedeutung: Wehe, wer Mord nicht schweigend und duldsam hinnimmt! Das Urteil bringt jetzt wenigstens die erhoffte Aufklärung, dass es eine verbrecherische Tat war und nicht etwa ein „versagensbereites Opfer“. Aber die Debatte, die Deutschland spaltet und in Ostdeutschland zu wachsendem Verdruss mit der Stigmatisierung durch die westdeutsch geprägte Politik und Medien führte, wird weiter gehen.