Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 32-2019

„Grüne Null“ schlägt „schwarze Null“

Angesichts der drohenden Rezession und des Klima-Hypes wächst in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft die Sehnsucht nach einer neuen Schuldenpolitik.

Im zweiten Quartal ist der Wachstumsrückgang jetzt statistisch dokumentiert. Europa hat mit Deutschland ein neues Wachstumsschlusslicht. Selbst das politisch zerstrittene Italien, das seit langem ökonomisch nicht auf die Beine kommt, stagnierte zwar im zweiten Quartal, schrumpfte aber nicht. Frankreich wuchs um 0,2 Prozent, Spanien gar um 0,5 Prozent. Selbst die Niederlande, mit ihrem hohen Exportanteil noch am ehesten mit Deutschland vergleichbar, wachsen noch.

Vor allem der Fahrzeugbau, aber auch der Maschinenbau – beides über Jahrzehnte deutsche Vorzeigebranchen – leiden unter teilweise drastischen Produktionsrückgängen. Der gesamte Industriesektor war im zweiten Quartal für 0,6 Prozent des Rückgangs der Wirtschaftsleistung verantwortlich. Verstetigt sich die negative Entwicklung, dann werden bald auch der private Konsum und der Bau infiziert werden. Die technische Rezession, von der man spricht, wenn zwei Quartale in Folge negative BIP-Raten aufweisen, ist aus heutiger Sicht bereits gewiss, weil die Auftragseingänge und die Stimmungslage der unterschiedlichsten Konjunkturbarometer auch für das dritte Quartal eine Schrumpfung signalisieren. Auch global verfestigen sich die Konjunktursorgen. Erstmals seit 2007 weist Amerika eine inverse Zinsstruktur auf. Die kurzfristigen Zinsen sind höher als die langfristigen. Das gilt an den Märkten als zuverlässiges Vorzeichen einer Krise: Als 2000 die Dotcom-Blase platzte, ging dem eine Inversion voraus, aber auch 2007 vor dem Beginn der globalen Finanzkrise.

Kein Olivenöl!
Gegen Klimawandel: Tomatensalat
Noch überlagert der Klimawandel-Hype im Land eine selbstkritische Debatte über die Ursachen der deutschen Malaise. Statt wirtschafts- und sozialpolitischer Reformpolitik garantierte die Große Koalition in ihren jetzt schon zehn Regierungsjahren vor allem einen Ausbau des Sozialstaats. 2018 wurden fast 1.000 Milliarden Euro für Soziales ausgegeben: ein absoluter Rekord. Zwar lag der Aufwuchs erstmals nach einer Reihe von Jahren, in denen das Sozialbudget stärker als die gesamte Volkswirtschaft gewachsen war, knapp unter dem BIP-Wachstum. Aber bei der Rekord-Beschäftigungsquote in Deutschland hätten angesichts dieser immensen Sozialausgabensteigerungen längst alle Alarmglocken schrillen müssen. Über viele Legislaturperioden wurden die Investitionen sträflich vernachlässigt, obwohl die gute Konjunktur Abermilliarden an Steuereinnahmen in die öffentlichen Kassen spülte. Gleichzeitig sanken und sinken die Zinsen für die Kreditaufnahme des Staates massiv, während die klassischen Sparer unter Negativzinsen leiden und ihre Ersparnisse ständig an Kaufkraft verlieren. Über alle Laufzeiten liegen derzeit die Renditen der Bundesanleihen im Negativbereich.

Angesichts der ökonomischen Krisenzeichen treten jetzt wieder die Schuldenfreunde auf den Plan. Das sind beileibe nicht nur die vertrauten Stimmen aus dem linken und grünen politischen Lager oder die zahlreichen keynesianischen Apostel in der Ökonomen-Zunft. Selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln lässt aktuell jede Zurückhaltung fahren. Sein Direktor Michael Hüther plädiert für einen gigantischen 450 Milliarden Euro Deutschlandsfonds, mit dem Klimaschutz, Wohnen und schnelles Internet finanziert werden sollen – mit billigen Krediten! Manche stellen bereits die grundgesetzlich verbriefte Schuldenbremse in Frage, die den Bundesländern ab kommenden Jahr eine Neuverschuldung komplett untersagt und dem Bund deutliche Restriktionen für seine Kreditaufnahme vorgibt.

TE-Talk
Wann kommt der Crash, Markus Krall? Wie sichert man sein Geld?
Mit den Sirenenklängen der Billigzinsen („Der Staat muss die legendär niedrigen Zinsen für eine Investitionsoffensive nutzen.“) und der Notwendigkeit einer ambitionierten Klimaschutzpolitik („Weltuntergang vermeiden!“) wollen jetzt viele die Fesseln einer angeblichen „Austeritätspolitik“ abstreifen, von der in Deutschland aber objektiv seit vielen Jahren überhaupt nicht die Rede sein kann. Wer jetzt die Schleusen öffnen will, um die ökologische „grüne Null“ beim CO2-Ausstoss (in Deutschland) möglichst rasch zu erreichen, opfert die disziplinierende „schwarze Null“, auf der bis vor kurzem selbst Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD noch beharrte. Doch während die schwarze Null öffentlich zunehmend diskreditiert wird, bereitet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Weg für einen weiteren Aufwuchs des Sozialstaats. Angesichts der wirtschaftlichen Flaute lässt er eine längere Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds vorbereiten und initiiert eine Weiterbildungsoffensive für den Arbeitsmarkt von morgen. Daneben kämpft er weiter für eine vom Steuerzahler aufgestockte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung.

Am Sonntag trifft sich der Koalitionsausschuss der drei Regierungsparteien CDU, SPD und CSU. Es könnte ein teurer Abend werden, falls wieder mal ein typischer politischer Kuhhandel abgeschlossen wird. Falls die SPD die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die von der Union nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen eingefordert wird, passieren lässt, wird die Union womöglich auf die Bedürftigkeitsprüfung bei der teuren Grundrente verzichten. Für den Endspurt im aufgewühlten Ost-Wahlkampf soll das bei Christ- wie Sozialdemokraten die Wählerabwanderung zur AfD stoppen. Die Einnahmenverluste des Staates bei einer Soli-Abschaffung wird sich die Politik rasch wieder zurückholen. Denn das Maßnahmenpaket zum Klimaschutz wird mit Sicherheit in diversen Steuer- und Abgabeerhöhungen münden. Und den Rest besorgen alsbald neue Schulden.

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