Tichys Einblick
Im Mittelmeer

Richard Gere auf Open Arms: Was sagt der zuwanderungskritische Dalai Lama dazu?

Der berühmte Schauspieler trägt eine Verantwortung. Dieser ist er zweifellos mit seinem PR-Besuch auf der Open Arms nicht gerecht geworden.

imago images / Agencia EFE

Bevor wir es der Reihe nach erzählen, zunächst die beiden auffälligsten Details eines denkwürdigen Auftritts – oder sollen wir Ausflugs sagen? – des US-amerikanischen Schauspielers Richard Gere auf der Open Arms, einem Schiff einer Nichtregierungsorganisation, das vor der libyschen Küste über hundert Migranten aus maroden Booten aufgenommen hat.

Nein, nicht etwa, um sie an die nächste rettende Küste zu bringen, sondern dem Wunsch der für ihre Schlauchbootfahrt zahlenden Passagiere entsprechend nach Europa. Jedenfalls dann, wenn sich ein Hafen findet, die Lage an Bord nur dramatisch genug geworden ist. Aktuell warnt die Open Arms vor akuten Sicherheitsproblemen an Bord. „Das Ausmaß der Beklemmung dieser Menschen ist unhaltbar“, wird getwittert.

Der in wenigen Tagen siebzig Jahre alt werdende Weltstar Richard Gere besuchte also diese Hochrisikozone „Open Arms“. Selbstredend ließ er diesen Besuch filmen. Denkwürdig dabei nicht nur der Kontrast vom blassen, leicht klapprig wirkenden Gere gegenüber den aufgenommenen Passagieren. Ein paar Frauen sind auch an Bord, aber die blieben während der Aufnahmen am Schiffsboden hocken, während sich die männlichen Glücksritter aus Zentralafrika oder von wo aus immer sie nach Libyen aufgebrochen sind, in der überraschenden Aufmerksamkeit sonnen, die dem Hollywoodstar automatisch zuteil wird.

Ebenfalls auffällig am filmisch dokumentierten Besuch Richard Geres ist ein Schlüsselsatz des auf einer Farm bei Syracuse (New York) geborenen und behütet aufgewachsenen US-Amerikaners, der während seines Aufenthalts auf der Open Arms der Weltöffentlichkeit u.a. folgenden Satz übermittelt:

„Das Wichtigste ist für diese Menschen nun, einen sicheren Hafen zu finden, von diesem Boot zu gehen, um ein neues Leben zu beginnen.“

Europa den Europäern
Der Dalai Lama und die Medien – was tun, wenn’s nicht gefällt?
Offensichtlich unbewusst bzw. geradezu unbedarft hat Gere hier die ganze Wirklichkeit dieser fingierten Mittelmeer-Seenöte in einem Satz zusammengefasst: Es geht darum, dass Menschen ein neues Leben beginnen wollen fern ihrer Heimat. Ein neues Leben, das vom ersten Tag an in Deutschland mit einer umfassenden Vollversorgung inkl. Taschengeld und medizinischem Rundumservice beginnt. An Bord gefilmt für die Welt hat diesen viel beachteten Appell WELT-Mitarbeiterin Nicole Fuchs-Wiecha.

Erst einmal beantwortet ist damit die Frage, ob man den Ruhm der Schiffsführerin „Kapitänin“ Carola Rackete für die Sache der „Seenotrettung“ überhaupt noch toppen kann – man kann. Aber was kommt nach Richard Gere? Da der US-amerikanische Präsident thematisch ausfällt, kann nur noch der Papst selbst diesen Wettlauf um die Weltaufmerksamkeit toppen. Sein Vorteil: es passiert ja quasi vor seiner Haustür. Nähme er den Helikopter, könnte er so einen Bootsauftritt quasi noch dazwischen quetschen zwischen Morgenandacht und Nachtbrevier.

Der nach seinen wilden New Yorker Eskapaden sich zum Buddhismus bekennende Richard Gere gilt als enger Vertrauter des Dalai Lama (nicht zu vergessen: und von Claudia Roth). Und diese Freundschaft muss von einem festen Band geknüpft sein, wenn sie jetzt einen handfesten Dissens aushalten muss.

Sein geistiger Führer, der Dalai Lama nämlich hatte sich für ein Europa der Völker ausgesprochen, als er sagte: „Europa gehört den Europäern“. Der Dalai Lama hatte sich noch im Herbst 2018 dafür ausgesprochen, dass Flüchtlinge „nach dem Ende der Gefahr“ in ihrem Heimatland zurückkehren müssen.

Ist der Dalai Lama etwa ein Anhänger der These von einer Replacement Migration, die vielen als Verschwörungstheorie gilt? Jedenfalls könnte man ihm eine Urheberschaft zubilligen, betrachtet man den verzweifelten Kampf der Tibeter gegen eine Invasion von Chinesen, welche nach Lesart des Dalai Lama das Ziel hatte und hat, die Tibeter zur Minderheit im eignen Land zu machen.

Posse oder Om
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Richard Gere lebt übrigens zeitweise in einem Haus in Dharamshala, dem Exilsitz des Dalai Lamas. Und er hatte bei der Oscar-Verleihung 1993 vehement die chinesische Tibet-Politik angeprangert, wofür er postwendend von China zur persona non grata erklärt wurde.

Außerdem setzt sich Gere für indigene Völker ein und engagiert sich für bedrohte ethnische Gruppen. In Deutschland beispielsweise wurden als bedrohte Minderheiten folgende Gruppen mit Sonderechten ausgestattet: Sorben, Dänen, Sinti und Roma und die Friesen. Aber wovon sind diese ethnischen Gruppen hierzulande eigentlich bedroht, dass man ihnen hier so einen Sonderstatus zubilligt? Und wer stellt so eine Bedrohung offiziell fest?

Ja, es ist schon schwer auszuhalten, wenn man, wie der Autor hier, in seiner Jugend ein bekennender Fan von Richard Gere war. Für einen heranwachsenden jungen Mann boten die Rollen des Schauspielers alle wünschenswerten Vorlagen. Von der Nachahmung zum Original. Gere in „Atemlos“, in diesem atemberaubenden Remake des Klassikers von Jean-Luc Godard – entweder liebte man Gere in dieser Rolle oder hasste ihn – oder in American Gigolo, eine Rolle, die ihm zum Durchbruch verhalf, als Richard Gere für Lauren Hutton ein Mann für gewisse Stunden wurde.

Grenzenlos?
Wieviel Zuwanderung verträgt eine Gesellschaft?
Mit zunehmendem Alter überzeugte Gere zudem mit der Darstellung gespaltener Persönlichkeiten, wie in „Mr. Jones“, wo er überzeugend einen Manisch-Depressiven spielt, wie auch mit eher seichten Rollen, wie in seinem Mega-Erfolg „Pretty Woman“, wo er eine Prostituierte vom Straßenstrich holt oder in „Hachiko“, einer wunderbaren Freundschaft zwischen Mann und Hund.

Nun hat sich Richard Gere zum Aushängeschild europäischer, sogenannter Nichtregierungsorganisationen gemacht. Man kann hier nur spekulieren, was sich das Kino-Idol der 1980er und 1990er Jahre dabei gedacht haben mag. Hat er zu wenig darüber nachgedacht, was er möglicherweise damit anrichten könnte, wenn er für fünf Minuten kommt, wieder fliegt und doch einen bleibenden Eindruck, eine Haltung hinterlässt? Die Kritiker dieser Unternehmungen werden es in Zukunft jedenfalls noch schwerer haben, diese Debatte zu führen.

Dürfen die Fans von Richard Gere eventuell Unwissenheit als Ausrede geltend machen? Oder hätte er wissen können, dass beispielsweise von 2017 auf 2018 fast eintausend Menschen weniger im Mittelmeer ertranken, weil in dieser Zeit die Tätigkeit der Schiffe der NGO zurückgegangen ist? Der Schauspieler trägt eine Verantwortung. Dieser ist er zweifellos mit seinem PR-Besuch auf der Open Arms nicht gerecht geworden: Den Europäern gegenüber ebenso wie den Afrikanern, denen Richard Gere neue Hoffnungen gemacht hat, sich auf den Weg zu machen. Ein weiteres Streichholz am Pulverfass.

„Wenn man ein Volk unterdrückt, wird es explodieren.“
Richard Gere, Quelle: DIE ZEIT

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