Ist wieder Streikfreitag oder sind noch Ferien? Dem Deutschlandfunk jedenfalls sind ein paar Schüler-Demos wichtiger als die Auseinandersetzungen in Hongkong, das ist ja auch weit weg. Jedenfalls geht’s wieder los. Vielleicht mit noch mehr Schwung. Auch mit der Unterstützung von „Parents for Future“ und dem Entertainer Joko Winterscheidt. Der trat auf dem Sommerkongress der „Fridays for Future“-Bewegung in Dortmund auf. Dort formuliert er vor den versammelten Teilnehmern munter einen Streikaufruf an uns alle: „Warum geht nur ihr auf die Straße? Warum sind es nicht die Leute, die am Freitag in einem Büro sitzen“, fragte Winterscheidt: „Warum legt man nicht einfach mal – steile These – dieses Land lahm an einem Freitag?“ Ja wirklich, warum geht die schweigende Mehrheit noch ins Büro oder in die Fabrik, wenn doch morgen die Welt untergeht?
Das Land lahmlegen
Ja, warum legt die schweigende Mehrheit dieses Land nicht mal an einem Freitag lahm? Wäre ja gelacht. Mit Schülern und Fernsehschaffenden allein ist da bekanntlich wenig zu machen; erstaunlicherweise kommt eine Gesellschaft ganz gut mit Schülern zurecht, die nicht lernen wollen. Und TV gibt es auch bei Netflix, die Joko Winterscheidts sind längst austauschbar und andernorts wachsen größere Talente auf den Bäumen. Nein, ein Streik von Fridays for Future ist nicht beängstigend, sollen sie doch. Das Land lahmzulegen, das schaffen nur ganz andere, das schafft nur die schweigende Mehrheit: Wenn mal die Müllmänner am Freitag den Dreck der Winterscheidts und seiner Hamburger mampfenden Schüler nicht abholen, dann stinkt es gewaltig am Wochenende. Oder wenn Ärzte streiken, Kindergärtnerinnen klimafrei nehmen. Oder wenn die Drucker streiken und ein Winterscheidt-Magazin nicht herstellen?
Lahmlegen können das Land auch Polizisten, die den Verkehr nicht mehr regeln; dummerweise kann es sein, dass streikende Schüler die Party am Abend versäumen, wenn Bus und Bahn nicht fahren, weil die Lokführer und Busfahrer streiken Übrigens: Alles Nicht-Akademiker und meist Nicht-Abiturienten ohne den Genuss jahrelanger Gratis-Ausbildung – die können das Land lahm legen. Aber so richtig. Und nicht nur sie.
Wenn die vielen Hände und Köpfe fehlen, die die Kühlketten in Gang halten vom Erzeuger bis ins Kälteregal, dann dauert es bis Montag, um die vergammelte Ware zu entsorgen und bis Dienstag, um die Regale neu aufzufüllen. Mindestens, und für den Extramüll werden wieder diese Müllmänner klaglos ihre Sonderschichten schieben. Oder nicht? Wollen die nicht? Dienst nach Vorschrift? Ach ja, Internet ist auch nicht da und das Handy bleibt stumm. Eine schöne Vorstellung. Es plappert sich so schick daher, „mal kurz das Land lahmlegen“. Aber es wird schwer sein, es danach wieder in Gang zu kriegen – und dabei wäre die Frage des Klimas sehr schnell niemandem wichtig.
Die Verachtung der Erwerbstätigen
Es spricht eine ungeheure Verachtung aus solchen Sätzen – all den Bürgern gegenüber, die das Betriebssystem dieser Gesellschaft am Laufen halten; oft für wenig Entgelt, aber das mit hohen Abgaben und Steuern belastet. Das auch für bestreikte Schulen und Lehrergehälter ausgegeben wird.
Diese Leichtfertigkeit zeigte sich auch in der gefälligen Berichterstattung über sogenannte „Umweltaktivisten“, die zentrale Kraftwerke stilllegen wollen – zuletzt das Mannheimer Großkraftwerk. Es versorgt nicht nur große Teile Baden-Württembergs mit Strom, sondern stabilisiert die Netze bundesweit, wenn mal der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint – aber die Streikaufrufe und Stillegungsappelle trotzdem vervielfältigt werden. Ehrlich – wer braucht schon Strom, wo wir doch Haltung haben!
Oder könnte es sein, dass die nehmenden Hände übersehen haben, das sie von gebenden Händen gut leben (schön im Englischen: makers and takers)? Wäre vielleicht ein Streik der ständig höher belasteten Bürger ein wichtiges „Haltung zeigen“, eine Demonstration, die deutlich macht, dass das lautlose Funktionieren nicht selbstverständlich ist? Aber das wäre vermutlich schon an der Grenze zum Gewaltaufruf. Sagen wir mal, wenn die Steuerzahler dagegen streiken, dass trotz Rekordsteuereinnahmen die Abgaben steigen und ständig neue Steuern erfunden werden wie CO2-Steuern und Fleischssteuern? Oder wenn die Beitragszahler in die Sozialkassen streiken, weil ihre Beiträge für Zuwanderer ausgeschüttet werden, aber nicht für Einzahler? Natürlich ist ein Streik der Steuer- und Beitragszahler ganz krass gesetzwidrig, schon der Aufruf dazu; der Zahler hat keine Rechte. Das lernt man allerdings erst als Erwachsener, dann aber ziemlich schnell.
Es könnte auch passieren, dass die Mitarbeiter in den verhassten Kohlekraftwerken mal von sich aus die Hitze drosseln. Mal schauen, wieviel Wind dann zusätzlich weht zum Ausgleich und ob dann die Sonne als Streikbrecher nächtens doch scheint. Wie wäre es mit einem Sitzstreik der alten, weißen Männer auf Busspur und Straßenbahngeleisen oder Hauptverkehrsadern, um ihren Teil zum „Geschlechterkampf“ beizutragen, wie es neuerdings heißt, aber einen neuen „Generationenkonflikt“ meint – deutsche Sprache ist eben vielfältig?
Das wäre doch eine Lehrstunde, die das Leben allerdings niemals bieten wird. Aber vielleicht kommt es ja auch anders. Pflichtgefühl ist anerzogen. Sie kann es aber auch mal lassen. Sie, die schweigende Mehrheit.