Also das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen wie so ein Stück süßwarmes weiches Halawa: Die türkische Regierung erlässt eine neue Vorschrift als „Konzession an einen Stimmungsumschwung in der türkischen Bevölkerung“. Was hier nun klingt wie ein zutiefst demokratischer Akt – andere würden sagen: Populismus – ist ja auch einer, wenn die gewählten Volksvertreter erledigen, wofür das Volk sie beauftragt und gewählt hat. Vorausgesetzt natürlich, es bestand überhaupt die Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen.
Worin der Stimmungsumschwung besteht, über den u.a. die Morgenpost berichtet? Es geht um nicht weniger als das Ende einer Willkommenskultur in der Türkei gegenüber den eingereisten – geschätzt – 3,6 Millionen syrischen Nachbarn. Eine Willkommenskultur, die hierzulande wenig bekannt war, die zwar Millionen im Land hält, von der aber auch eine Million nichts wissen wollte, als sie nach Europa, vornehmlich nach Deutschland einreisten.
Istanbul steht bei diesem Stimmungsumschwung besonders im Fokus, wenn Esenyurts Bezirksbürgermeister Ali Murat Alatepe zügig und ohne große Umstände eine neue Verordnung des türkischen Innenministeriums verwirklicht, die besagt, dass Schilder an Geschäften und Läden zu 75 Prozent in türkischer Sprache abgefasst sein müssen. Höchstens 25 Prozent der Aufschriften dürfen fremdsprachig sein. Der Bürgermeister empört sich besonders darüber, dass seine türkischen Mitbewohner nicht einmal erkennen könnten, was in diesen Läden verkauft werden würde.
Berliner, die davon lesen, verschlucken sich sicher an ihrer Berliner Weiße bei dem Gedanken daran, so ein Gesetz würde von Horst Seehofer (CSU) an den Berliner Oberbürgermeister Michael Müller (SPD) gesendet und dieser Herr Müller würde tatsächlich mit dem Fensterscheibenkratzeisen los flitzen und die türkischen und arabischen goldenen Buchstaben von den Friseurläden kratzen lassen, von den Dönerimbissen, den Goldankauf- oder den Gemüseläden und Reisebüros. Tatsächlich gäbe es Stadtteile in Berlin, ganze Straßenzüge, die auf einmal im informellen Dunkel stehen würden. Noch mehr, da es hier Straßen gibt, in denen der native Deutsche eine Minderheit darstellt.
Die Türken in der Türkei lassen nichts anbrennen: Der Türke ist aus seiner Anfangsnaivität aufgewacht, als er zunächst noch glauben wollte, die syrischen Gäste würden wieder in ihre angestammte Heimat zurückkehren. Die deutschen Refugees-Welcome-Adepten waren da gleich viel realistischer: Sie sind schon von Anfang an davon ausgegangen, dass die – übrigens meistens über die Türkei – nach Deutschland gekommenen Syrer auch in Deutschland bleiben werden.
Aber im Gegensatz zu den Türken ging es ihnen auch gar nicht nur um Humanität, sondern auch um etwas, das „Bereicherung“ genannt wurde, beispielsweise um vakante Facharbeiterposten, die besetzt werden sollten. In der Türkei gibt es solche institutionellen Gesuche nicht in erwähnenswerter Ausprägung. Übrigens auch keinen Mindestlohn – jedenfalls keinen, der hier nennenswert wäre. Trotzdem finden sich auch in der Türkei offensichtlich immer noch Syrer, die noch unter diesem Armutslohn arbeiten und damit die Jobs von Einheimischen gefährden.
Zusätzlich zu den Syrern leben noch eine halbe Million Migranten aus Pakistan, Afghanistan und dem Irak in der Türkei. Die Probleme sind also durchaus auch am Bosporus bunt und vielfältig. Und es gibt Regionen, die besonders betroffen sind, wenn beispielsweise in der türkischen Grenzprovinz Kilis inzwischen 80 Prozent der 143.000 Einwohner Syrer sind und auch die grenznahen Großstädte Sanliurfa und Gaziantep stark von syrischen Migranten geprägt sind und mittlerweile ganze Straßenzüge und Stadtviertel syrisch erscheinen.
Kann nun Istanbul noch etwas vom gastfreundlichen Berlin lernen oder doch eher umgekehrt? Wie kann die Türkei den Spieß umdrehen, wenn mittlerweile Umfragen zufolge neun von zehn Türken der Meinung sind, die Syrer sollten die Türkei wieder verlassen?
Während Deutschland in einem blamablen Krebsgang darum ringt, weiteren Zuzug auf zwei- bis dreihunderttausend Migranten pro Jahr zu begrenzen, sucht die Türkei Wege, die Syrer ganz aus dem Land zu verabschieden. Der Beginn wird also jetzt damit gemacht, indem man den Syrern ihre zaghaften oder ausgeprägteren identitären Anker in türkischen Städten wieder nimmt, indem die Geschäfte der Syrer „eingetürkt“ werden. Nichts Fremdartiges soll einem türkischen Patriotismus im Wege stehen. Und Patriotismus ist dann besonders nahrhaft, wenn die Wirtschaft eines Landes schwächelt.
Was wohl jetzt die Türken in Deutschland denken mögen? Insbesondere jene, die sich zuletzt öffentlich-rechtlich über die fehlende Integrationsbereitschaft der Deutschen aufgeregt haben. Verstehen sie die heikle Situation? Oder gelingt es ihnen, solche Vergleiche mit der Türkei auszublenden, wenn sie durch „ihr“ Berlin oder andere deutsche Großstädte laufen, an solchen Plätzen, wo kaum noch etwas darauf hindeutet, dass man sich in Deutschland befindet.
Die deutsche Wochenzeitung ZEIT fragte noch vor einer Woche ganz irritiert: „Was haben die Türken plötzlich gegen Syrer?“ und berichtete davon, dass die türkische Polizei Betriebe und Plätze „durchkämmen“ würde auf der Suche nach Syrern, die sich regulär in einer anderen Stadt aufzuhalten haben, die also illegal vor Ort aufgegriffen werden.
Die ZEIT identifiziert die schrumpfende Wirtschaft als Auslöser der „harten Wende“ im Umgang mit Syrern. Nun häufen sich die Meldungen einer schrumpfenden deutschen Wirtschaft, darf also auch von der deutschen Regierung erwartet werden, dass sich deren Haltung in der anhaltenden Massenzuwanderung demnächst verändern würde? Eine Frage, geeignet, als Scherzfrage aufgenommen zu werden, wenn doch Zuwanderung für sich längst kein humanitärer Akt mehr ist, sondern Ausdruck einer der deutschen Bevölkerung gegenüber destruktiven Form einer ideologisch basierten Religiosität.
Noch mal: Das muss man sich einmal bildlich vorstellen, wenn ein Putztrupp des Berliner Bürgermeisters samt fahrbarer Hochleiter durch Berlin düsen und Fensterwerbung und Lichtkästen abkratzen und demontieren würde, die nicht deutsch wären – eben das ist in der Türkei Anweisung des Innenministeriums und wird gerade in Istanbul in die Tat umgesetzt.
In Berlin wäre so etwas undenkbar. Übrigens sicherlich auch deshalb, weil die jüngere Geschichte der deutschen Hauptstadt auch davon erzählt, dass in den Novemberpogromen 1938 Geschäfte zerstört und ihre Inhaber gejagt und verhaftet wurden, nicht etwa, weil sie keine Deutschen gewesen wären, sondern weil bekannt war, dass sie einer anderen Religion angehörten als jener der Mehrheitsgesellschaft. In Deutschland wäre so eine Hatz gegen undeutsche (analog „untürkische“) Läden und Geschäfte tatsächlich undenkbar.