Wie traurig wäre die Welt doch ohne Konfetti! Bunte, kleine Papierschnipsel, die man in die Luft wirft, um Freude auszudrücken und bei seinen Mitmenschen ebensolche Freude zu wecken!
In Venezuela herrscht Sozialismus, und damit Mangel – doch es herrscht nicht an allem Mangel! Eine Ware ist auch und gerade in Venezuela in ausreichenden Mengen vorhanden, und diese Ware ist Konfetti!
Letztes Jahr veröffentlichte Cody Weddle auf Twitter zwei Fotos von Bargeld, das auf den Straße von Venezuela lag (@coweddle, 22.6.2018). Nein, da war kein Geldtransporter explodiert. Es handelte sich um echte, offizielle Währung, um Bolivar-Scheine, die von Hochzeitsgesellschaften als Konfetti verwendet wurde. Kommentare zum Foto erklärten, dass es sich um 50- und 100-Bolivar-Scheine handelte, mit einem Nennwert von 0,000016129 beziehungsweise 0,00003225 US-Dollar.
Wie die Liebe und die Moral gehört Geld zu den Phänomenen, die unser Leben durchdringen und formen – und über die wir zugleich viel zu selten nachdenken. Die einen sagen, Liebe sei bloß die Manifestation von Hormonen und Trieben. Ich sage, Moral sei die Manifestation des angeborenen Willens, Strukturen zu stützen, die man als relevant bewertet (richtig, siehe »Relevante Strukturen«). Manche sagen, Geld sei Schulden. Man wird sich schnell einigen, dass Geld einen Wert transportiert, wenn sich auch nicht alle einig sind, worin dieser Wert besteht. Damit Geld den Wert transportieren kann, braucht es eine Währung – die Währung aber deute ich hier als einem mindestens impliziten Vertrag derjenigen, welche die Währung herausgeben, mit denen, welche die Währung benutzen, mit dem Ziel, dass die Währung ihren Wert auch halten wird.
Wenn eine Währung ihren Wert verliert und Bürger die Geldscheine dieser Währung wie Konfetti in die Luft werfen und dann im Schmutz der Straße liegen lassen, erklären Sie damit öffentlich auch, dass Sie den Währungs-Vertrag für aufgekündigt halten, dass sie sich betrogen fühlen, dass das Vertrauen in diesen Vertragspartner irreparabel beschädigt ist.
Welcher Vertrag
Wir lesen die Nachrichten, und wie ein Entschlüsselungs-Spezialist beim Geheimdienst suchen auch wir nach einem Schlüssel, mit dem sich die Verwirrung entwirren lässt. Manche Medizin schmeckt weniger bitter, wenn man aus der Einnahme ein Spiel macht – Stichwort Gamification – also will ich ein Spiel fürs Nachrichtenlesen vorschlagen! Wenn Sie eine Nachricht lesen, überlegen Sie: Welcher Vertrag wird in dieser Nachricht gebrochen? Manche der Verträge, die gebrochen werden, sind unausgesprochen, manche sind sogar explizit – und selten, viel zu selten, vor allem wenn es um Politik geht – wird der Vertragsbruch geahndet.
Fleisch nur noch für Reiche
In der sozialen Marktwirtschaft gab es einmal einen mindestens unausgesprochenen Vertrag »derer da oben« mit uns hier unten. Wenn wir fleißig sind, zur Arbeit gehen, wenn wir sparen, uns an die Gesetze halten und die Kinder zu anständigen Bürgern erziehen, dann werden wir in bescheidenem Wohlstand leben können, sicher und auch im Alter nicht arm. (Ein Teil dieses Versprechens wurde sogar wörtlich »Generationenvertrag« genannt.)
Der große gesellschaftliche Vertrag der demokratischen und sozialen Marktwirtschaft wird aufgekündigt, Absatz für Absatz. Im Text »Hurra, wir schmelzen!« lasen wir von den Negativzinsen, mit denen Euro-Sparer demnächst für diese kluge Angewohnheit bestraft werden – es ist ein Vertragsbruch dem Bürger gegenüber. Verträge werden zu Konfetti, ähnlich wie ein Teil des Geldes, das der Ehrliche ansparte.
Anlehnend an den Amtseid, dem Bürger möglichst viele Steuern abzupressen und ihn dafür schutzlos zu lassen, erleben wir derzeit ein fast schon konzertiert wirkendes Spiel von Staatsfunk, NGOs und Politik, bei dem Staatsfunk und NGOs etwas als »unmoralisch« deklarieren, woraufhin die Politik fordert, das Unmoralische zu besteuern.
Vor einer Woche forderte etwa im Staatsfunk ein GEZ-Gutverdiener de facto, dass Fleisch, Autofahren und Fliegen so teuer sein sollen, dass nur noch Politiker und Staatsfunker es sich leisten können (wie er es umschrieb, erfahren Sie bei @tagesthemen, 31.7.2019). Es dauerte nicht lange, und aus der politischen CDU-SPD-Grüne-Einheitsfront wurde pflichtschuldig wiederholt, was im Staatsfunk gefordert worden war. Die FDP schert aus – noch. Die Argumente innerhalb der Extragroßen Koalition erscheinen sich nur im Wie, nicht um Ob. Aus der CDU wird erwogen, eine »Fleischsteuer« einzuführen. Bei SDP und Grünen will man den Mehrwertsteuer-Satz anheben. Das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft beinhaltete einst, dass auch die schwächeren Teile der Gesellschaft sich einstigen »Luxus« wie Fleisch leisten können. Die ganz-große-Koalition zerreißt den sozialen Vertrag. Mit fadenscheinigen moralischen Schutzbehauptungen wird gefordert, die schönen Dinge des Lebens teurer zu machen, damit nur noch die oberen Schichten sie sich leisten können. Das was Ihnen gerade Husten bereitet, was uns die Atemwege belegt, was da vor den Augen rieselt und flimmert, das ist Vertragskonfetti.
Ein noch guteres Gewissen
Mittlerweile merken sogar stramm linke Profi-Empörte, wie brutal ungerecht gutmenschliche Luxusmoral ist. Während Öko-Aktivisten, Grüne und ihre Wähler um die Welt jetten, weil sie einfach Spaß daran haben, in Kalifornien ein Eis zu essen, fliegen Migranten, um ihre Familie wiederzusehen, wenigstens einmal im Jahr. Migranten sollen sich mit Internet und Telefon begnügen, damit die Guten ein noch guteres Gewissen haben können. Die Moral ist heute ein Klassenkampf von Oben gegen Unten, mit NGOs und Journalisten als Söldnern.
Gutmenschen wollen – von Propaganda manipuliert – eine »post-nationale« Welt, in der die Jungen und Starken ihre arme Heimat verlassen – und sie so weiter schwächen – um europäischen Konzernen als billigstmögliche Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen, und das alles aus moralischsten Gründen – doch wehe, die wollen mal nach Hause fliegen, um ihre Familie zu sehen, diese Umweltverbrecher! Wissen die denn nicht, dass nur reiche Öko-Aktivisten ohne schlechtes Gewissen fliegen dürfen! Es ist Anstandskonfetti, die letzten Fetzen einstigen Anstands, zerschnippelt und zerrissen von Haltung, Gesinnung und anderen Lügen.
Wir lesen und hören die Nachrichten, und es ist Vertragskonfetti, die Schnipsel und Fetzen des großen Vertrags, der uns stark gemacht hat.
Konfetti des Gesellschaftsvertrags
Ein Vertrag ist die Verschriftlichung des konkreten Willens zweier Parteien. Bei der Ehe – auch ohne Vertrag ein Vertrag, und kein billiger dazu – sagt man laut »ich will«, und dieser Wille wird bezeugt und von Offiziellen festgehalten, doch »ich will« ist die Essenz jedes Vertrags. Manche Verträge sind komplizierter als andere, und ein erstaunlich komplizierter Mischvertrag entsteht bei jedem Restaurantbesuch – Sie kaufen die Suppe, mieten das Besteck, bezahlen für die Dienstleistung und zu alledem bestellen Sie schon mal, ohne den Preis zu wissen (»eine Flasche von eurem Besten, hicks!«).
Wessen Wille war es, dass der große Vertrag, der das Land zusammenhält, zu Konfetti zerrissen wird? Was ist das aber für ein Vertrag, dieser »Gesellschaftsvertrag«, der die Armen für die moralischen Tagesmoden reicher Gutmenschen bezahlen lässt, der die weniger Betuchten vom schönen Leben ausschließt, damit die Wohlhabenden weniger schlechtes Gewissen haben, wenn sie allein den Luxus noch genießen?
Mit anderen Vertragspartnern
Der Starke und der Schlingel werden immer seinen Willen durchsetzen können, wenn es ihnen passt – ein guter Vertrag in einem gerechten Land schützt den Schwachen, indem es den Starken zwingt, sich auch dann an den Vertrag zu halten, wenn es ihm gerade nicht in den Kram passt.
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Rechtstaates, dem Bürger zu helfen, die Umsetzung seiner Verträge zu erzwingen. Wenn ein Vertragspartner sich von seinem im Vertrag festgehaltenen einstigen Willen nicht mehr gebunden fühlt, kann der Bürger das Gericht bitten – und diese dann sogar die Polizei – ihm bei der Durchsetzung seines Willens zu helfen.
Der Bürger wird heute gezwungen, Verträge einzuhalten, die er nicht geschlossen hat, sei es die Zwangsfinanzierung des Staatsfunks oder die Öffnung der Grenzen und Sozialsysteme für die Welt – andererseits werden Verträge, die der Bürger durchaus als mindestens implizit geschlossen angesehen hatte, gebrochen und höhnisch zu Konfetti gestanzt. Was soll man erwarten von einer Regierung, welche nicht immer eindeutig erkennen lässt, wie sie ihrem Amtseid, den vornehmsten aller Verträge, nachzukommen gedenkt?
Eine Welt ohne Konfetti wäre weniger lustig, kein Zweifel, doch muss es unbedingt der der ganz große Vertrag sein, aus dem das Konfetti gestanzt wird?
Wenn die Verträge zwischen Demokratie und Bürgern zu Konfetti werden, könnten die Bürger versucht sein, mit anderen Vertragspartner zu flirten – und dann?!
Ihr da oben, haltet die Verträge ein! Das Vertragskonfetti macht mich ein wenig nervös – vielleicht muss ich noch lernen, auch das »lustig« zu finden.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.