Tichys Einblick
Heucheln for Future

Publikumsüberlastungstag

Wenn es zu der finalen Engelsgeduldsüberlastung kommt, dann könnte es vielleicht sogar in Deutschland geschehen, dass die Müllkutscher, Lokführer, Handwerker, Essenlieferanten und Fluglotsen einmal zeigen, wie man ein Land an einem Freitag wirklich stillstehen lässt.

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Joko Winterscheidt schlug kürzlich vor, das Land für’s Klima lahmzulegen. Die Idee ist groß – noch ein Stück größer als der CO2-Abdruck des Entertainers
In die vergangene Woche fiel der so genannte Publikumsüberlastungstag. Es handelt sich um einen Tag, an dem die Geduld sehr vieler Mediennutzer in Deutschland für das laufende Jahr endgültig aufgebraucht ist. Trotzdem – wir schreiben ja erst August – geht der Raubbau an der nicht ohne weiteres erneuerbaren Ressource noch bis Silvester weiter. Jedes Jahr verschiebt sich der Publikumsüberlastungstag weiter Richtung Jahresanfang. So sehen die erschreckenden Fakten nun mal aus.

Den größten Überlastungsschritt übernahm eine Fernsehfigur namens Joko Winterscheidt, nach eigenen Angaben Entertainer, der sich mit Fridays-for-Future-Kindern traf und sie sanft mahnte: weshalb sie denn immer nur demonstrieren würden? „Warum“, fragte er, „legt man nicht mal – steile These – das ganze lahm?“
Nun könnte man einerseits sagen: Krankenschwestern und -pfleger, Handwerker, Supermarktangestellte, Produktionsarbeiter, Lokführer und Müllfahrer sind in aller Regel nicht sonderlich interessiert an Greta Thunberg und dem Landlahmlegen für die Zukunft.

Auf der anderen Seite, wenn FF-Schüler, Irgendwasmitmedienmacher, NGO-Mitarbeiter, Kulturschaffkes und EKD-Bischöfe jeden Freitag landesweit streiken – im besten Fall würde das niemand mitkriegen. Und dann stellt sich noch die Frage, ob eine Sabotage der Betriebsabläufe etwa in Berlin zwischen S-Bahn-Ausfall, Verkehrsstillstand auf der Leipziger Straße und BER-Ruhe von den Berlinern eigentlich als Lahmlegung for Future wahrgenommen würde.

Derlei Einwände sind allerdings, wie man in früheren vorrevolutionären Zeiten sagte, Nebenwidersprüche, wenn man einen Blick darauf wirft, welchen Klima- beziehungsweise CO2-Abdruck Herr Winterscheidt zusammen mit seinem Kompagnon Klaas Heuer-Umlauf hinterlässt. Ich kenne deren Sendung „Duell um die Welt“ nicht, ich sehe aus gesundheitlichen Gründen nicht fern. Das macht nichts, die Fotos aus der TV-Produktion beziehungsweise der Sendung verteilen die beiden sehr großzügig auf Social-Media-Kanälen.
Und das sieht dann so aus:

Gott, Karel, sang einmal: „Einmal um die ganze Welt/und die Taschen voller Geld“, und für ganz Begriffsstutzige merke ich an, dass ich Winterscheidt/Umlauf nichts davon neide. Ich wünsche noch nicht einmal, dass ihre Show lahmgelegt wird. Mich belästigt sie ja nicht.

Es ist nur interessant, dass Klimaradikalität und Fußabdruck wichtiger und wichtigster Persönlichkeiten sich offenbar proportional zueinander verhalten. Auch die grüne FF-Parteibeauftragte Luisa Neubauer hatte bekanntlich versäumt, vor ihrer neuen Rolle ihren Instagram-Account aufzuräumen. Auf den CO2-Ausstoß ihrer jungen Jahre kommt eine Kleinfamilie mit jährlichem Mallorca-Urlaub wahrscheinlich das ganze Leben lang nicht.

Unsere aller Ermahnerin Margot Käßmann – „Jesus wäre bei den Klimaschutzdemonstrationen dabei“ – reiste als Luther-Botschafterin der EKD im Januar 2017 auf die Chatham-Inseln im Südpazifik, um dort den Sonnenaufgang zu feiern und damit, wie es hieß, das Lutherjahr einzuläuten. Die Distanz von zweimal 20.000 Kilometern überwand sie vermutlich nicht per Liegerad und Segelboot. Ganz nebenbei, wann genau hat die EKD eigentlich vom christlichen Glauben auf Sonnenkult umgestellt? Jedenfalls, Vorsicht vor dem Symbol! Vorher, also nach ihrer Phaeton- und vor ihrer Südpazifik-Phase – ging die Bischöfin der Herzen 2015 als Alleinunterhalterin auf der MS „Hamburg“ auf große Lutherfahrt resp. „ökumenischen Seereise“ gen Malmö, Oslo, Harwich und, Gott sei’s geklagt, retour.

„Beziehen Sie Ihre Wunschkabine, erleben Sie ein reichhaltiges Vortrags- und Ausflugsprogramm, und lassen sie einige Tage lang ‚die Seele baumeln’“, empfahl seinerzeit eine Anzeige. Kabinen gab es von 1.295 bis 4.195 Euro.

Was die Inanspruchnahme von Jesus betrifft: dazu sollte Käßmann, wenn es ihr enger Terminplan erlaubt, einmal die Bibelstelle mit den Wechslern und dem Tempel studieren.

Kreuzfahrten sind lustig und schön, vor allem, wenn sie zu den Einnahmen einer sehr klimabesorgten Qualitätszeitung („Klimawandel: es ist schlimmer als befürchtet“) beitragen.

Um mit Luther zu sprechen: Weil ich weiß, dass morgen die Welt untergeht, werde ich heute noch eine ZEIT-Schiffsreise buchen und mir Denkanstöße erteilen lassen.

Der innere Zusammenhang zwischen Klimaberichterstattung und Lebensstil bleibt offenbar auch Anzeigenabteilungen und Algorithmen nicht vorborgen. Dafür spricht die Anzeige, die gleich neben der Berichterstattung über die Schüler-Klima-Bewegung erscheint (und zwar als nichtpersonalisierte Anzeige, sie wird auch Lesern angezeigt, die weder Auto fahren noch nach einem Offroadpanzer gegoogelt haben).

Fast zeitgleich mit Joko Generalstreik Winterscheidt redet in der vergangenen Woche der ARD-Mahner Lorenz Beckhardt im Tagesthemen-Kommentar zum Erdüberlastungstag dem überaus geduldigen Volk ins Gewissen.

Er flagellierte sich erst einmal, er sei Autofahrer, Fleischesser und tauche gern in Korallenriffen, um dann die Politiker zu bitten, ihn von diesen Übeln endlich zu erlösen:
„Macht Fleisch, Auto fahren und fliegen so verdammt teuer, dass wir davon runter kommen. Bitte! Schnell! Dann wählen wir auch Euch alle!“
Jedenfalls so verdammt teuer, dass der GEZ-Normalkunde ohne ARD-Gehalt dumm aus der Wäsche schaut.

Da weiter oben das Stichwort Geduld fiel: Fliegen muss nicht extra teuer gemacht werden. Es würde schon ausreichen, kollektiv und in Eigeninitiative den Rundfunkbeitrag auf Null zu senken. Das reduziert dann die Tauchurlaube wie die ganz allgemeine Klimabelastung durch den nunmehr Nichtjournalisten und viele Schicksalsgenossen ruckzuck.

Gewiss, alle Klimabesorgten der S-Klasse betonen, dass sie selbstverständlich für jeden Flug Tetzel-Zertifikate erwerben. Wenn die Atmosfair-Papiere das Problem für sie lösen, dann würde das doch für alle gelten, oder? Winterscheidt, Käßmann und andere bräuchten dann nur je nach Möglichkeit für zehn bis 50 Malle-Urlauber Zertifikate zu kaufen, also Klimagerechtigkeit durch Umfairteilung schaffen.

Wenn es zu der finalen Engelsgeduldsüberlastung kommt, dann könnte es vielleicht sogar in Deutschland geschehen, dass die oben genannten Müllkutscher, Lokführer, Handwerker, Essenlieferanten und Fluglotsen einmal zeigen, wie man ein Land an einem Freitag wirklich stillstehen lässt.

Manche träfe das wenig, andere hart. Wie ich Herrn Winterscheidt einschätze, gehört er zu den Leuten, die – steile These – nie etwas anderes als Sekt und ein Glas hartes Nutella im Kühlschrank haben.

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