Am Samstag hat ein syrischer „Flüchtling“ den deutschen Studenten Marvin F. auf dem Gelände des Potsdamer Hauptbahnhofes angegriffen. Der attackierte 25-Jährige trug eine Kippa mit Davidstern. Mit dem Opfer hat „Tichys Einblick“ („TE“) mehrere Hintergrundgespräche geführt. Der Student, der sich seit längerer Zeit in einer jüdischen Gemeinde engagiert, zeigt sich verärgert darüber, dass der Oberbürgermeister von Potsdam den antisemitischen Angriffsakt inzwischen als Einzelfall hinstellen will.
Marvin F. sagte TE, es handele sich in keiner Weise um einen Einzelfall. Im Gegenteil: Er und andere aktive Mitglieder jüdischer Gemeinden in der Metropolregion Berlin, zu der Potsdam gehört, seien wöchentlich „meist im Öffentlichen Nahverkehr zumindest verbalen Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt“. Zumeist, so erklären Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, „werden die Übergriffe gar nicht mehr angezeigt“, weil man davon ausgehe, „dass die Täter ohnehin oft nicht gefasst oder später auch nicht wirklich bestraft werden“.
Der Student beschreibt den antisemitischen Übergriff vor dem Hauptbahnhof von Potsdam so: Er sei „zunächst von hinten angerempelt und dann in übelster Weise angerotzt worden“. Hasserfüllt habe der Angreifer gebrüllt: „Du Drecksjude!“ Es fielen auch schwulenfeindliche Worte.
Dann rannte der „südländisch“ aussehende Täter, der sich in jüngerer, männlicher Begleitung befand, davon. Eine ältere deutsche Dame, die die Attacke aus nächster Nähe miterlebt hatte, blieb sofort stehen und forderte den Bespuckten auf: „Das tut mir so leid! Sie müssen das sofort der Polizei melden!“
Die Polizei greift durch – der Oberbürgermeister will die Attacke als Einzelfall hinstellen
Tatsächlich griff der Angegriffene ohne zu zögern zu seinem Handy und wählte die „Notrufnummer 110“. Marvin F.: „Schon nach ganz kurzer Zeit eilten vier Polizisten von der Bundespolizei herbei. Sie zeigten sich entschlossen, den Angreifer aufzuspüren.“ Zusammen mit dem Studenten suchten die Polizeibeamten das Bahnhofsterrain nach dem Täter ab.
Und überraschender Weise – man hatte schon fast die Suche aufgeben wollen – erblickte der Student plötzlich den Antisemiten, der immer noch in Begleitung war. Die Beamten machten den Angreifer sofort dingfest und brachten ihn, streckenweise unter Gewaltanwendung, in die nahe gelegene Wache der Bundespolizei. Hier wurden die Personalien des Täters aufgenommen. Er heißt Tarek A. S., ist 19 Jahre alt und bezeichnet sich als „Flüchtling“. Sein 17-jähriger Begleiter, auch ein syrischer Zuwanderer, der sich an dem Angriff allerdings nicht aktiv beteiligt hatte, wurde als Zeuge vernommen. Beide Syrer sind bald darauf von der Polizei auf freien Fuß gesetzt worden.
Marvin F. wollte die Sache keinesfalls auf sich beruhen lassen. Er informierte die Nachrichtenagentur „dpa“ über die Attacke auf dem Hauptbahnhof. Die Agentur recherchierte sofort den Fall bei der Potsdamer Polizeidirektion West. Die erkannte offenbar schnell die politische Brisanz der Vorfälle, wollte kein Öl ins Feuer gießen. „Einen tätlichen Angriff, eine Handgreiflichkeit hat es nicht gegeben“, sagte Daniel Keip, Sprecher der Polizeidirektion, wenig später der Zeitung “Märkische Allgemeine“. Vorsichtig erklärte der Pressesprecher: „Die Konstellation legt nahe, dass eine antisemitische Motivation anzunehmen ist. Es wurde eine Anzeige wegen Volksverhetzung aufgenommen.“
Der mutmaßliche Täter ist frei. Nun ist die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden. Ob der Beschuldigte der Polizei bereits bekannt ist – womöglich wegen ähnlicher Delikte? Polizeisprecher Keip wollte sich dazu nicht äußern – mit Hinweis „auf das Alter des Täters“.
Mittlerweile hat sich auch der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) zu der Attacke in seiner Stadt geäußert. Schubert sagte, Potsdam sei eine „Stadt der Toleranz“, sie habe „aus der Geschichte gelernt“. „Hass und Gewalt aus politischen und religiösen Motiven dulden wir in unserer Stadt nicht.“ Der Student habe mit seiner Anzeige richtig gehandelt.
Der OB lobte ausdrücklich die Arbeit der Polizei. Jetzt müssten die Ermittlungen zügig Klarheit über die mutmaßlichen antisemitischen Motive schaffen. „Das tolerante Klima in der Stadt, die gute Integrationsarbeit und den Integrationswillen der Geflüchteten in unserer Stadt lassen wir uns nicht von Einzeltätern zerstören“, betonte der Politiker und erklärte die Attacke vom Samstag damit zu einem bloßen Einzelfall.
Immer wieder bedrohen Muslime jüdische Bürger
Die „Potsdamer Neueste Nachrichten“ („PNN“) widerspricht dem sozialdemokratischen Stadtoberhaupt zumindest indirekt. Allein vom 1. Januar bis zum 27. Mai 2019 hat es, so schreibt die „PNN“, offiziellen Angaben zufolge allein in Brandenburg 51 politisch motivierte, antisemitische Übergriffe gegeben, davon fünf in Potsdam. Über die sicherlich hohe Dunkelziffer hat sich die „PNN“ nicht ausgelassen.
Deutlicher äußerte sich Marvin F. gegenüber „Tichys Einblick“. Er kritisiert den OB. Der Student sagt, im Schnitt werde er in Potsdam, aber vor allem im Berliner Raum, alle acht Tage Opfer von Beleidigungen oder Drohgebärden. Ähnlich gehe es einigen jüdischen Kollegen von ihm, wenn sie als Juden zu erkennen sind.
Die Antisemiten seien durchweg „Menschen mit südländischem Aussehen, die dem Sprachverhalten nach in aller Regel anscheinend Araber sind“. Der Student will aber unverdrossen wider den Stachel löcken: „Ich trage die Kippa mit dem Davidstern, die in Israel gemacht wurde, fast immer in der Öffentlichkeit. Damit will ich Flagge zeigen. Ich werde mich nicht einschüchtern lassen.“
Einige Stadtviertel in Berlin sind für Juden besonders gefährlich
Allerdings räumt Marvin F. gegenüber „Tichys Einblick“ dann doch auf Nachfrage ein, dass dieser Grundsatz leider längst nicht mehr für ganz Berlin gilt: „In Kreuzberg, Neukölln, am Ostbahnhof und in Wedding trage ich die Kippa nicht. Das könnte schnell gefährlich werden. Man riskiert dort Gesundheit und sein Leben. In diesen Stadtteilen trifft mich der islamistische Judenhass am meisten.“ In diesen Vierteln könne „niemand mehr die Sicherheit garantieren, auch die Polizei nicht“.
Ähnlich deutlich, aber diplomatischer hat sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Potsdam positioniert. „Ich stehe unter Schock“, erklärt Evgeni Kutikow. „Ich habe Potsdam immer für eine ruhige Stadt gehalten.“ Kutikow forderte gegenüber der „Märkischen Allgemeinen“, dass „die Politik nun aktiv wird“. So müssten endlich „muslimische Migranten aufgeklärt und ihnen bewusst gemacht werden, dass es in Deutschland Gesetze gibt und dass es Konsequenzen hat, wenn man gegen diese verstößt“.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde will aber nicht davon abraten, die Kippa, den Davidstern oder andere jüdische Symbole in der Öffentlichkeit zu tragen. „Wenn es so weit kommt, dass wir davor warnen müssen, dann ist für uns Juden der Punkt erreicht, Deutschland zu verlassen und nach Israel auszuwandern.“
Diese antisemitische Attacke von Potsdam erinnert auch an Hamburg. Dort hatte kürzlich ein Marokkaner – „Tichys Einblick“ berichtete darüber – zwei ranghohe Repräsentanten der Hamburger Jüdischen Gemeinde erst verbal bedroht und dann mehrfach angespuckt.
Dr. Manfred Schwarz ist Politologe. Er war jeweils acht Jahre Medienreferent in der Hamburger Senatsverwaltung und Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR [Ressort: Medien] sowie Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstandes.