Tichys Einblick
WELT AM SONNTAG Nr. 9, DIE ZEIT Nr. 10, Frankfurter Allgemeine SONNTAGSZEITUNG Nr. 9

Die WamS deutlich mehr am Puls der Zeit

Was zum wiederholten mal ins Auge sticht: Stefan Austs Blatt ist an den Themen der Zeit dran, ZEIT und FAS auf Nebenkriegsschauplätzen. Der Auftritt passt zum Inhalt. Finden Roland Tichy und Fritz Goergen.

„MISSION Weltveränderung“ – das Interview der WELT AM SONNTAG hat Mathias Döpfner mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg geführt. Altermäßig Vater mit Sohn. Wer in der Runde alt ausgesehen hätte mit seinen Ansichten? Unser Zensurminister Maas. Mein politisches Sonntagsgebet: Zuckerbergs Unternehmergeist möge auf die Be-Sitzer deutscher Chefsessel übergehen. Das Interview können diese sich unters Kopfkissen schieben.

In „Der Countdown zur Grenzschließung läuft“ bringen Stefan Aust und Kollegen uns auf den Stand der Dinge: Zurückweisungen an der deutschen Grenze sind das Signal an die Migranten, ihr könnt nicht alle kommen. Mit personell und finanziell aufwändigen und politisch riskanten Aktionen soll erreicht werden, was die Kanzlerin als einfaches Wort der Selbstkorrektur verweigert.

Für derart Realistisches hat die ZEIT keinen Platz. „Angstgegner“ lehrt uns das Fürchten vor der „Avantgarde des Schrecklichen“ aus Sachsen, die den Westen als Ziel anvisiert, woraus aber vielleicht doch nichts wird: „Weil Clausnitz eine Cäsur ist. Der Westen erschrickt vor dem Osten. Und der Osten erschrickt vor sich selbst.“  Werter Autor Martin Wachowecz, Sie beschreiben keinen Zustand, sondern eine Hoffnung: „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Westen zu alter Ruhe findet in dem Moment, in dem aus der Krise wieder Routine wird.“ Da reden wir über 2020 plus X. Warum, findet sich ein paar Seiten weiter in „93 Millionen werden wir sein“, wo eine Nettozuwanderung von jährlich 800.000 als wahrscheinlich angenommen wird: „Bis 2050, also in 35 Jahren, kommen so gut 20 Millionen mehr zusammen als in den heutigen Prognosen. Es wären dann 93 Millionen.“

Einen großen Schritt weitergekommen ist die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf ihrem Weg, das Satire-Magazin Titanic obsolet zu machen (was eigentlich nicht schwer ist, denn Titanic ist so lustig wie ein gedruckter Trauergottesdienst).

„Unsere Flüchtlinge“ heißt es da auf der Titelseite, „Warum wir für sie wie die Eltern Pubertierender sein müssen“. Abgesehen davon, dass diese Zeile geeignet sein könnte, nun wirklich die Ablehnung von Flüchtlingen ins Unerträgliche zu befördern, wie jeder weiß, der Pubertierende ertragen muss, werden Zuwanderer sich diese Entmündigung  verbitten.

Ernsthaft: Wollen wir die Gesellschaft zum betreuten Heim umbauen? In einem völlig unkritisch gefragten Interview mit dem Psychologen Wieland Machleidt wird der Gedanke entwickelt, dass jetzt massenweise psychologische Betreuung für Flüchtlinge (auf Kosten der Krankenkassen natürlich) aufgebaut werden müsste. Schon im Einstieg versteigt sich der Lobbyist seines Berufsstands dazu, das Leid der Heimatvertriebenen nach 1945 zu beschönigen. Die kamen ja nach einer mörderischen Odyssee in ein friedvolles Land und hatten Rückkehrhoffnung, ja, das alles steht da. Ganz easy! Und auch die Gastarbeiter und Spätaussiedler, alles easy! Jetzt kommen allerdings Traumatisierte in hellen Scharen, die „bei uns ein weiteres Mal die Adoleszenz durchleben“. Oma also, die mit dem Kinderwagen und Tiefflieger-Beschuss über das zugefrorene Haff flüchtete, war doch immer so fröhlich! Dieses seltsame Weltbild dient auch gleich als Entschuldigung für das Silvester-Desaster in Köln, denn das waren ja auch „Männer, die sich in einer Phase der Pubertät befinden und kein Maß bei ihren Trieben kennen.“

Wo also Migranten für ihr Handeln jede Form der Entschuldigung finden, liegt bei den Deutschen und ihrer „Fremdenangst … eine Beziehungsstörung“ vor. Gut, dass auch diese Angst „psychotherapeutisch behandelt werden“ kann. Der eine Teil der Deutschen liegt auf der Couch und wird behandelt, während der Rest sich um pubertierende Nordafrikaner liebevoll kümmert. Also wenn das keine Perspektive ist: Integration auf der Couch, Einheimische und Einwanderer traut vereint. Doch Vorsicht deutsche Therapeuten, ihr kommt alle aus ein und derselben Reichshälfte, was nun, wenn die auf der Couch sich gegen euch verbünden?

„Verstehen Sie noch, worum es geht?“ fragt der ZEIT-Titel – allerdings zum Krieg in Syrien. Eine nette Zusammenstellung – aber nichts Neues. Was die WamS in „Ungesundes MUSTER“ zur Bundeswehr schreibt, ist ein Grund mehr zu hoffen, dass sie nie an Ort und Stelle geprüft wird.

Prüfen hätte die ZEIT in ihrem Beitrag „Genosse Trotzig“ die SPD können, doch es wurden nur Dönekens aus den Landtagswahlkämpfen. Dass die Genossen nicht begreifen, warum ihre Partei nicht voran kommt und das ungerecht finden – in diesem Thema wäre mehr drin gewesen.

Was zum wiederholten mal ins Auge sticht: Stefan Austs Blatt ist an den Themen der Zeit dran, ZEIT und FAS verlieren sich auf Nebenkriegsschauplätzen.

Mit „Die Lust an der SELBSTZERSTÖRUNG“ ist die Aust-Truppe bei dem übergreifenden Trend, dass Populisten überall im Westen wie The Donald jenseits des Antlantiks enttäuschte Bürger hinter sich scharen, „die das System verachten und es stürzen wollen.“ Dass ausgerechnet die International-Sozialisten und ihre linksliberalen Freunde die Ursachen chronisch im provinziellen, nationalen Rahmen suchen, ist Teil des Befundes. Die Erklärung für Trump und Le Pen, Tsipras und Iglesias liegen nicht in Sachsen, sondern in politischen Eliten, die aus ihren Parallelwelten den Faden zu ihren Bürgern verloren haben. Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hört aus den „Sachsen auf der Couch“ eine ähnliche alte und verwurzelte Abneigung gegen die Preußen in Berlin heraus wie bei den Bayern. Dass Freuds Psychoanalyse doch hilft, „viel nachhaltiger als alle anderen Therapien“, muss jeder, der es wissen will, in der WamS selbst lesen.

Unangepasst zum Erfolg
Der Focus 09/16 – So setzen Sie sich durch
Nicola Sturgeon, Chefin der schottischen Nationalisten, die mächtigste Frau auf der Insel nach der Königin, „Die QUEEN des Widerstands“: noch ein Thema, das die WamS nicht auslässt. Sturgeon will „lieber London verlassen als Brüssel“. Zum ganzen Bild gehört eben mehr.

Das gilt auch für den Kommentar von Claus Christian Malzahn „Die braunen Köpfe der Medusa“ zum Beginn der Anhörung über das Verbot der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Timing hat fast etwas Unheimliches. Stellen wir uns vor, die NPD wird verboten, es reicht schon, dass der Eindruck entsteht, wahrscheinlich. Die AfD fährt hohe Wahlergebnisse ein. Wetten wir, da sind längst Leute unterwegs, die eine einzige „richtige“ Deutsche Partei jenseits der Bundestagsparteien aus der AfD machen wollen.

Das Thema EU kann auch bald wieder das Thema Euro sein, nicht anstatt der Migration, sondern zusätzlich. Der WamS-Artikel „Ein Pakt wie PUDDING“ schließt mit der wenig begeisternden Aussicht einer „Japanisierung der Euro-Zone“. Vom Herz der deutschen Erdölindustrie, das noch im niedersächsischen Celle schlägt, erfahren wir in „TEXAS in der Heide“. „Der ENTMÜNDIGTE Konsument“ entsteht durch immer noch mehr technische Abhängigkeit. Die Gegenbewegung kommt zaghaft in Gang. Das ändert sich vielleicht, wenn die Querverbindung zum politischen Nudging zum Bürgerthema aufsteigt. Beides wäre etwas für die vielzitierte Mitte der Gesellschaft, von der die ZEIT fragt „Die Mitte, aber wo liegt sie?“ Gute Frage, aber mit der Anleihe bei Seymour Martin Lipset allzu simpel und vordergründig in den Dienst der Flüchtlingsbotschaft der Kanzlerin gestellt.

Halten wir es für „OPTIMIERTE Kindheit“, wenn Babys CDs mit Frühenglisch hören und sich auch sonst die Leistungsdruckspirale weiterdreht? Dass auch gute Schüler Nachhilfe kriegen sollen, erinnert jeden Juristen daran, dass die Hochschulen in diesem Fach schon seit Jahrzehnten ohne Repetitoren von außerhalb nicht leben können. Spricht für die Entstaatlichung des Bildungswesens.

Die FAS hat andere Sorgen, die sie sich im Wirtschaftsteil um die Frauen macht. „So teuer ist es, eine Frau zu sein“, erläutert uns Nadine Oberhuber, die knallhart recherchiert hat, dass „ein Rasierer für Frauen deutlich mehr als einer für Männer“ kostet. „Warum nur lassen sich die Frauen so etwas gefallen?“, schreibt die Satire-Zeitung im Ton empörter Gender-Ankalge. Nun ist ja gegen lustige Stückerl in einer Wochenendzeitung nichts einzuwenden, im Gegenteil. Aber diese ungewollte Lustigkeit mit dem weinerlichen Unterton der Anklage führt doch dazu, dass man auch den Rest der Zeitung nicht mehr ernst nimmt und deshalb ungelesen ins Altpapier überführt, wo sie sich mit der auch nur angelesenen Titanic trifft. Schade eigentlich, denn es soll ja auch andere Themen in der FAS geben. Aber Lächerlichkeit tötet bekanntlich.

Dass man Menschen durch Worte umprogrammieren kann, verneint und bejaht im ZEIT-Interview die Linguistin Elisabeth Wehling, die meint, wir würden durch Begriffe wie „Flüchtling“ manipuliert: „Es ist wichtig, dass auch Journalisten sich klarmachen, wer welche Frames (Deutungsrahmen) benutzt und wie sie wirken. Denn man kann Framing für politische Propaganda missbrauchen. Aber man kann das Wissen darüber auch nutzen, um die Ideologie, die hinter Wörtern steckt, offenzulegen. Das wäre eine große Leistung. Die würde das Vertrauen in die Medien wieder stärken.“

Von Framing demnächst hier gesondert mehr.

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