Tichys Einblick
Bäcker Brezelbein und Gehverbote

Pfannkuchen, Westfernsehen und Kasperletheater

Maaßen vergleicht eine Zeitung mit dem Westfernsehen, wo man den Rest der Wahrheit erfährt, und als wollten Politik und Medien ihn bestätigen, fallen sie unisono über ihn her. – Was für ein Kasperletheater!

Sollen wir sie Pfannkuchen oder Krapfen nennen? Sind es Berliner oder wäre Berliner Ballen weniger verwechslungsanfällig? Solange wir vom selben Gebäck reden – rund, mit viel Ei, in eine Hand passend, mit Konfitüre gefüllt, in Fett gebacken und mit Puderzucker bestäubt – so lange unsere Nase sich an den Duft erinnert und der Speichel uns schon bei der Vorstellung zusammenläuft, so lange ist das Leben gut, schön und nostalgisch, weil es ein wenig nach Kindheit schmeckt, und so lange lassen Sie uns einfach Pfannkuchen sagen.

Ich weiß nicht, wer sich heute noch die Zeit nimmt, die Großmutter an ihrem Geburtstag zu besuchen – so viel Geburtstage haben Großmütter ja oft nicht mehr vor sich – doch der Kasperle kam zur Großmutter, doch der Kasperle hatte sich die Zeit genommen, und die Großmutter bat den Kasperle, das Feingebäck aufzutreiben:

Lauf zum Bäcker Brezelbein
Und kauf Pfannekuchen ein…
(Alarm im Kasperletheater)

Nur – sapperlot! – der Kasperle hatte seine Pläne ohne das Teufelchen gemacht, und das Teufelchen klaute den Topf voller Pfannkuchen:

Wie?? Der Teufel hat gestohlen?
Den soll gleich der Teufel holen!
(Alarm im Kasperletheater)

Kenner feiner Bilderbücher sowie exquisiter DEFA-Produktionen haben es erkannt: Ich spreche von der Geschichte »Alarm im Kasperletheater«, ein Kinderbuch, das von der DEFA als animierter Film umgesetzt wurde. Wer in der DDR aufwuchs, für den ist der kurze Film ein Stück Kindheit – und wer heute in Deutschland lebt, ob nun Ost, West, Süd, Nord oder Paralleluniversum Berlin, für den ist Kasperletheater ein Stück neuer politischer Realität – also, Vorhang auf!

Dies bedeutet – Gehverbot!

Hans-Georg Maaßen ist Deutschlands interessanteste politische Figur – mit Abstand und auf einer ganz eigenen Ebene. Als Chef des Verfassungsschutzes war es unter anderem buchstäblich seine Aufgabe, Deutschland vor Revolutionen zu bewahren. Die tägliche Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, Informationen auszuwerten und zu prüfen, ob sich daraus eine Gefahr für Deutschland ergibt. Es ist davon auszugehen, dass Maaßen zu den am besten informierten Menschen in Deutschland gehört – und gerade das, fürchte ich, macht ihn zum Gegner manches Postdemokraten.

Die Umstände, unter denen Maaßen entlassen wurde, waren bemerkenswert. Er hatte es gewagt, der von Regierung und Haltungsmedien verbreiteten »Chemnitz-Lüge« zu widersprechen – und für diese Ketzerei, der offiziellen Lüge nicht folgen zu wollen, musste er gehen (siehe auch: »Berliner Inquisition, Maaßen und die Scheiterhaufen des Wahrheitssystems«, 9/2018).

Einmal zu oft die Wahrheit gesagt – und sein politischer Weg war für den Augenblick vorbei – wie im Kasperletheater hieß es für Maaßen:

Halt, die Ampel steht auf Rot!
Dies bedeutet – Gehverbot!»
(Alarm im Kasperletheater)

Es könnte sein, dass Maaßen innerhalb der sich in Schmerzen windenden CDU eine Rolle auch über die »Werte-Union« hinaus spielen wird – oder es könnte sein, dass die CDU den letzten konservativen Rest aufgibt. Zu den Entitäten, auf deren Zukunft ich nicht wetten würde, zählte das Konservative in der CDU.

Seit seiner Kündigung spielt Maaßen nun eine extra spannende Rolle in der öffentlichen Debatte. Er sagt Offensichtlichkeiten zur politischen Lage, die zu sagen eigentlich tabu ist. Was Maaßen so kommentiert ist oft nicht an sich spektakulär, aber dass er als ehemaliger Verfassungsschutz-Chef es sagt, das gibt seinen Aussagen noch immer Brisanz. In der Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern ist es ein Kind, das ruft, dass der König nackt ist – wie anders klänge jene Geschichte, wenn es einer der höchsten Beamten des Kaisers wäre, der wieder und wieder schmerzhafte Wahrheiten und Einsichten ausruft, selbst nachdem er entlassen wird?

Es ist ein kleiner, lapidarer Tweet von Hans-Georg Maaßen, der aktuell für große Aufregung im politischen Berlin sorgt.

Maaßen verlinkte einen Text der Neuen Zürcher Zeitung und er schrieb dazu:

Für mich ist die NZZ so etwas wie „Westfernsehen“. (hgm)
(@HGMaassen, 9.7.2019)

Die Schnellempörten empörten sich schnell. Stellvertretend für viele andere Kommentare (etwa der üblichen populistischen Hassrede aus der SPD) sei hier der diesbezüglich häufig zitierte Grüne Volker Beck mit seinen phantasievollen Unterstellungen zitiert:

Wir haben also nach Ihrer Ansicht, geschätzter Herr @HGMaassen, in Deutschland Zensur & staatlich gelenkte Medien wie in der DDR? Habe ich Sie richtig verstanden, dass damit die FDGO, die Sie als Verfassungsschutzpräsident schützen sollten, Ihrer Meinung bereits außer Kraft ist? (@VolkerBeck, 9.7.2019)

Hmm – hat hier ein großes grünes Krokodil erfolgreich zugeschnappt? Nun, dafür müssten wir zunächst einmal wissen, wer den Kasperle spielt, wer die Hexe und wer den Schutzmann.

Dies bedeutet – Gehverbot!

Damit Kommunikation gelingen kann, müssen beide Seiten stets redlich bemüht sein, die Aussagen des Gegners positiv und konstruktiv im Sinne der Debatte zu deuten.

Was aber, wenn gar keine Debatte gewollt ist? Was, wenn man Disziplin und nicht Debatte will?

Im Kasperletheater heißt es auch heute:

Bitte, haltet Disziplin:
Gehen dürft ihr nur bei Grün!
(Alarm im Kasperletheater)

Und wer nicht »Disziplin« halten will, wer frech wie der Kasperle die wenig korrekte Wahrheit sagt oder einfach nur das Offensichtliche, der muss diszipliniert werden – etwa indem seine Aussagen verdreht werden bis sie »böse« klingen!

Eine Metapher oder ein Vergleich stellt meist eine Eigenschaft eines Sachverhalts oder Dings der entsprechenden Eigenschaft eines anderen gegenüber.

Wenn ich sage, jemand sei »ein Mann wie ein Baum«, dann vergleiche ich seine Stärke und Standfestigkeit mit der eines Baumes.

Die wohl einfachste Art, schnell linkspopulistische Empörung zu generieren, ist es, eine Metapher so zu deuten, dass eine ganz neue, vermeintlich »böse« Absicht offenbart wird.

Ein Volker Beck könnte die Redeweise vom »Mann wie ein Baum« so deuten, dass jemand mit Holz verglichen worden sei, man ihn also einen »Holzkopf« genannt habe, und das sei eine schlimme Beleidigung – so einfach ist Empörung, wenn man sich nur unbedingt empören will.

Wenn ich jemandem sage, er sei mein Stern, habe ich ihm gesagt, er bestünde aus brennendem Gas und Plasma? Wenn ich jemandem sage, er sei mein Herz, habe ich ihm damit gesagt, er sei ein recht stupider Muskel, der den ganzen Tag lang Blut umherpumpt? Wenn ich jemanden bitte, der Anker in meinem Leben zu sein, habe ich ihm gesagt, er sei ein tumbes Stück Eisen, das ich am liebsten tief im Wasser versenken möchte? – Nun, wenn sie professioneller Falschversteher sind und auch sonst in luftiger Masche gewebt, dann ist es das, wie Sie diese Metaphern und Sprachbilder deuten werden, immer so, dass die Situation aggressiv aufgeladen und mit Streit gefüllt ist, wie hanebüchen die Deutung auch sein mag.

Kinder, seid ihr alle da?

Es ist selbstverständlich völlig offensichtlich, wie »Westfernsehen« gemeint ist – man liest dort, was man im deutschen Mainstream eben nicht liest. Dass deutsche Leitmedien, wenn es »drauf ankommt«, gern die Regierungslinie stützen und ihre Worte und Bilder strammstehen lassen, das wurde im gewichtigsten Fall der letzten Jahre sogar wissenschaftlich festgestellt.

2017 stellte Prof. Dr. Michael Haller im Fazit der Studie »Die ›Flüchtlingskrise‹ in den Medien« (Otto-Brenner-Stiftung) fest:

In der Tagespresse wurde unseren Befunden zufolge das Narrativ Willkommenskultur als moralisch intonierte Verpflichtungsnorm „top-down“ vermittelt. Wenn in der Presse Kritisches zu Wort kam, dann im Sinne einer weiter zu stärkenden und zu verbessernden, kurz: „neuen“ Willkommenskultur. Annähernd 83 Prozent aller Zeitungsberichte vermittelten das Leitbild Willkommenskultur in einem positiven oder mehr positiven Sinne. Über Bedenkenträger oder Skeptiker wurde eher selten berichtet. (Die ›Flüchtlingskrise‹ in den Medien, Studie als PDF bei otto-brenner-stiftung.de )

Der Autor jener Studie diagnostiziert eine »Willkommenskultur-Euphorie-Ära« und beschreibt Episoden etwa mit Anja Reschke oder Til Schweiger, die damals schon komisch wirkten und heute nicht minder – die gesamte Studie ist lesenswert! (2019 erschien übrigens eine Nachfolge-Studie mit gemischtem Ergebnis, siehe etwa tichyseinblick.de, 20.5.2019. – Zum Thema siehe auch mein Text: »Wie nennt man es, wenn sie alle gleich schalten?«)

Wäre es zu frech, von »Hurra-Presse« zu reden – und wäre es falsch?

Kinder, seid ihr alle da?
Na, dann ruft mal laut – hurra!
(Alarm im Kasperletheater)

Mit anderen Worten: Es wurde für die sogenannte »Flüchtlingskrise« wissenschaftlich festgestellt, was eigentlich sowieso offensichtlich war, nämlich dass ähnlich wie in kommunistischen Regimes der größte Teil der deutschen Presse, von Staatsfunk bis private Zeitungen (von denen mit SPD-Beteiligung ganz zu schweigen) auf die ideologische (und für Deutschland massiv schädliche) Linie der Regierung einschwenkten – man erinnere sich nur an die diversen Politiker, die für die BILD-Zeitung mit »#refugeeswelcome Wir Helfen« de facto Gratis-Werbung für die BILD machten – über Berlin schwebte damals die Moralin-Wolke und (fast) jeder wollte am Rausch teilhaben, (fast) jeder sog die süßen Schwaden ganz tief ein.

Wenn Maaßen die NZZ als »Westfernsehen« lobt, spricht er schlicht von der Erfahrung, dort Nachrichten zu lesen, die man so nicht im deutschen Mainstream liest. »Wenn es drauf ankommt« scheinen noch immer die Medien »Gewehr bei Fuß« zu stehen, wobei es aus dem Haus Springer immer wieder positive Ausreißer gibt – Wahrheit klickt halt auch gut, besonders wenn man damit innerhalb der Großen eine gewisse Alleinstellung behaupten kann.

Es sei angemerkt, dass die NZZ sich von dem Lob distanzierte. »Auch bei deutschen Medien arbeiten ausgezeichnete Journalisten und Journalistinnen«, schrieb sie, wenn sie auch nicht sagte, welche das sein sollen (@nzz, 10.7.2019) – ich will es einmal so formulieren: Schweizer sind für manche Dienstleistungen und Waren bekannt, von Banken (wenn es auch mit der Geheimhaltung zuletzt nicht immer ganz so klappt) bis zu feinen Uhren (auch bei Sozialdemokraten beliebt), doch Humor ist ihnen so fern wie das Meer, was sie nicht daran hindert, eine Art »Mini-Marine« zu haben, die »Motorbootkompanie« – jetzt fehlt nur noch eine »Humorkompanie«, oder wie die Schweizer es wohl nennen würden, ein »Witzli-Club« – Schweizer, ich liebe euch!

Alle sechs verachten ihn!

Wer heute noch ernsthaft bestreitet, dass bestimmte Meldungen und Meinungen es nicht in den Mainstream schaffen werden, der muss sich schon fragen, ob er sich nicht zum Kasperle macht. Maaßens Tweet war – wahrscheinlich unbeabsichtigt – perfide, fast schon genialisch: Journalisten und Empörte stürzten sich auf ihn, unisono wie Roboter, und in ihrer Synchrondenke bestätigten sie in der Tat, worin sie in Worten widersprachen:

Alarmiert durch das Geschrei,
eilt die Künstlerschar herbei:
Gretel und das Krokodil,
Zipfelbart und Schutzmann Scholl,
Kräuterhexe Adelheid,
leicht benagt vom Zahn der Zeit,
und der Räuber Fridolin:
Alle sechs verachten ihn!
(Alarm im Kasperletheater)

Beck und andere Gernempörte wie der CDU-Linksaußen Ruprecht Polenz (siehe dazu etwa welt.de, 10.7.2019) bemühten sich, die banale, kaum zu bestreitende Kritik an deutscher Perspektiveneinförmigkeit umzudeuten zu einer angeblichen Gleichsetzung von DDR und Deutschland.

Empörungsprofis wollen nicht diskutieren, sie machen Krach, maximal laut, und so verhindern sie echte Debatte. Empörung ist wenig demokratisch, Empörung ist wie Knallkörper in der Philharmonie – sicher, es ist laut, aber es ist keine Musik. Wer auf mutwillige (oder dämliche) Weise absurde Verrenkungen anstellt, dem Gegner schlimme Absicht zu unterschieben, um wie viele Ecken er auch gehen will, was ist er denn mehr als ein Kasperle?

Na, das kostet allerhand …!

Nicht alles, was Kasperletheater ist, ist deshalb schon lustig. Wer auf Linie ist, der kann noch so sehr entgleisen, es wird seine Karriere nicht beschädigen – im Gegenteil! (Man denke an den totalitär auftretenden Polit-Bruchpiloten Peter Tauber, siehe auch »Brodelnde Giftbrühe und Totalitarismus«, 6/2019.)

Im neuen deutschen Kasperletheater, da herrscht Disziplin, ganz besonders, wenn Alarm ist und die Moral gerettet werden muss, weil jemand eine Wahrheit sagte:

Wer nicht hört, wird aufgeschrieben
Teufel ist nicht stehngeblieben.
Kasperle ist nachgerannt.
Na, das kostet allerhand …!
(Alarm im Kasperletheater)

Der neue Untertan, der Bürger mit Haltung und Moral, er atmet die Schwefelschwaden der Haltung tief ein, und er hustet nicht einmal mehr, so vergiftet ist seine Haltung schon, und er ruft aus: »Hurra! Was für gute Luft!«

Die Wahrheit zu sagen und das Offensichtliche auszusprechen, wenn die Schwefelschwaden der Lüge übers Land wabern und gar nicht mehr abziehen wollen, »das kostet allerhand«.

Der Teufel bleibt nicht stehen. Oma hat Geburtstag und sie braucht neue Pfannkuchen, oder Krapfen, oder Berliner Ballen – und wenn es ihr nicht mehr schmecken sollte, wenn Oma schon etwas übel ist vom immergleichen, immerselben Süßgebäck unter verschiedenen Namen, dann hat Oma ja immer noch das Westfernsehen.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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