Böhm, Eucken, v. Dietze – diese Hochschullehrer sind in der Fachwelt nicht nur als Ökonomen, sondern auch als „Freiburger Widerstandskreis“ bekannt, da sie im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime führend engagiert waren. Sie arbeiteten direkt und unmittelbar mit dem Kreisauer Kreis zusammen. Die heutige Wirtschaftsordnung in Deutschland ist damit auch eine Folge der Widerstandsarbeit gegen Hitler. Wie es dazu kam, ist ein Beispiel für unerschütterliche Prinzipientreue, Mut und Courage – beinahe hätten alle Protagonisten ihr Engagement mit dem Leben bezahlt.
Juni 1948 – Währungsreform in den Westzonen des besetzten Deutschlands: Die Geburtsstunde des Wirtschaftswunders. Der Mann der Stunde: Ludwig Erhard. Dass es zu diesem bahnbrechenden Umschwung kam, dem letztendlich die Bundesrepublik Stabilität und Erfolg verdankt, war alles andere als sicher. Mit einem frechen Coup hatte Erhard den Alliierten die notwendige Zustimmung zur Einführung der neuen Währung abgetrotzt. Am Abend vor dem Tag der Währungsreform, also am 19. Juni 1948, hatte er seinen Pressesprecher Kuno Ockhardt die Aufhebung von Zwangsbewirtschaftung und Preisbindung über den Rundfunk ankündigen lassen, obwohl das dazugehörige Gesetz noch gar nicht durch den Alliierten Kontrollrat genehmigt war.
Die Alliierten zitierten Ludwig Erhard, als eingesetzten Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, umgehend in ihr Frankfurter Hauptquartier. Er wurde zum amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay persönlich gebeten. Als er den großen Raum betrat, herrschte Clay ihn an: Was ihm eingefallen sei, die Besatzungsvorschriften zu missachten? Wie habe er die eigenmächtig abändern können? Ludwig Erhard, der diese Szene später gelegentlich zum Besten gab, pflegte dann mit vergnügtem Schmunzeln zu erzählen, wie er den Vorwurf parierte: „Herr General, ich habe die Vorschriften nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.“
Erhards Denkschrift basierte auf wesentlich älteren Leitsätzen. Der Ökonom Friedrich v. Kleinwächter hatte bereits 1883 sein Werk „Die Kartelle“ verfasst, und eine Gruppe von Nationalökonomen, die ihr Zentrum in Freiburg im Breisgau hatte, formulierte daraus das, was Deutschland und zugleich großen Teilen Europas ab 1948 Wohlstand und damit Frieden in Freiheit brachte. Hans Großmann-Dörth, Walter Eucken, Franz Böhm, Constantin v. Dietze und Adolf Lampe lehrten ab etwa 1930 das, was Alfred Müller-Armack einige Jahre später als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnen sollte.
Böhm, der Stichwortgeber
Franz Böhm war wenig später im Bundestag ein wichtiger Stichwortgeber für Ludwig Erhard. Knapp zwei Jahre nach Start seiner wissenschaftlichen Laufbahn, 1933, war seine Promotionsschrift „Der Kampf des Monopolisten gegen den Außenseiter als wettbewerbsrechtliches Problem“ erschienen, seine Habilitationsschrift „Wettbewerb und Monopolkampf“ folgte kurz darauf. Einer seiner Gutachter war Walter Eucken, mit dem er wenige Jahre später, in der Zeit des Widerstands gegen das NS-Regime, sehr vertrauensvoll und auch konspirativ zusammenarbeiten sollte. Beide waren sie zu Studienzeiten in einem Kösener Corps aktiv gewesen.
Im scharfen inhaltlichen Widerspruch zur nationalsozialistischen Ideologie bildete sich um Eucken, Böhm und Hans Großmann-Doerth ein Kreis von Wirtschaftswissenschaftlern, der später „Freiburger Kreis“ genannt werden sollte. Dieser Kreis sollte, um das vorwegzunehmen, dem von Peter Graf Yorck v. Wartenburg und Helmut James Graf v. Moltke gegründeten Kreisauer Kreis in Fragen einer „Wirtschaftspolitik für ein Deutschland nach Hitler“ zuarbeiten. Das Generalthema dieses Kreises war „Die Ordnung der Wirtschaft“, und Böhm brachte hier die Frage nach der Einheit von persönlicher und politischer Moral ein.
Unkontrollierte Souveränität sah Franz Böhm kritisch, den Nationalsozialismus bekämpfte er aus innerster Überzeugung. Das wirtschaftliche Handeln entsprach dabei einer Spielart politischen Handelns: „Der Wettbewerb ist das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.“ Spätestens mit Sätzen wie diesem war er ein erklärter Feind der Nazis.
Seit 1933 stand Franz Böhm mit Carl Friedrich Goerdeler in brieflichem Kontakt, die Freiburger gehörten damit schon sehr früh zum Netzwerk des Widerstands gegen Hitler. Als direkte Reaktion auf die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 gründeten die Freiburger Ökonomen zusammen mit Mitgliedern der Bekennenden Kirche das „Freiburger Konzil“ und bezogen sich damit als Einzige in der Begründung für ihre Existenz direkt auf dieses schreckliche Ereignis.
Eucken, der Prophetische
Früh muss es Kontakte zwischen Eucken und dem Mitgründer des Kreisauer Kreises, Peter Graf Yorck v. Wartenburg, gegeben haben, da dieser zeitweise als Referent in der Arbeitsgemeinschaft Preispolitik, einer dem Reichswirtschaftsministerium zugeordneten Behörde, tätig war. 1940, spätestens 1941, erarbeitete Eucken mit Böhm und den weiteren Mitgliedern des „Freiburger Konzils“ eine Denkschrift, in der zum Ausdruck kam, dass das im Römerbrief, Kapitel 13, niedergelegte Gebot für Christen, der Obrigkeit zu folgen, für eine Regierung außer Kraft gesetzt sei, die Gräueltaten wie die Morde an Kranken und Behinderten und den Völkermord an den europäischen Juden verübe. Hier bestehe im Gegenteil ein Recht auf Widerstand bis hin zum Tyrannenmord.
Die Denkschrift zum Tyrannenmord in Verbindung mit den Forschungen zur Marktwirtschaft gelangten wahrscheinlich über v. Dietze zu Dietrich Bonhoeffer, denn beide waren Bundesbrüder bei der Tübinger Verbindung Igel. Im Spätsommer 1942 kamen Bonhoeffer und auch Goerdeler per sönlich nach Freiburg, um weitere, ausführlichere Arbeitspapiere für die in Berlin tagenden Widerstandskreise zu erbitten, die auch zur Vorlage auf einer von der Anglikanischen Kirche geplanten Weltkirchenkonferenz, die möglichst bald nach dem Ende des Krieges stattfinden sollte, vorgesehen waren. Vom 17. bis 19. November 1942 wurde dieses Papier unter dem Vorsitz Goerdelers in Freiburg in geheimer Tagung erarbeitet. Das Papier trug den Titel „Politische Gemeinschaftsordnung. Ein Versuch zur Selbstbestimmung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit“. Im Januar 1943 war das über 130 Seiten starke Werk vollendet und in einigen wenigen Exemplaren hergestellt. Eines, welches auf einem Bauernhof im Südschwarzwald versteckt war, hat überdauert und wird heute im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrt.
Die Arbeiten der verschiedenen Freiburger Kreise waren im Juli 1944 so weit gediehen, dass sie eine Grundlage für die Wirtschaftsordnung eines auf Freiheit und Demokratie gegründeten Staates bilden konnten. Einer der profiliertesten Fachleute für den Widerstand gegen Hitler, Günter Brakelmann, urteilt wie folgt: „Die Freiburger und Kreisauer Kreise dürften unter den deutschen Widerstandsgruppen das größte intellektuelle Potential bei sich versammelt haben.“
Dies alles wäre genug gewesen, um die Freiburger Widerstandskämpfer um Böhm und Eucken an den Galgen zu bringen. Die Gestapo hatte im Spätsommer und bis in den Herbst 1944 nach und nach viele behördlich bekannte Mitglieder der Freiburger Widerstandsgruppen verhaftet, darunter auch die Professoren v. Dietze und Lampe; in der Haft erpressten Gestapo und SS unter Folter die Namen weiterer Mitglieder des damals bereits so genannten „Freiburger Denkschriftenkreises“. Dabei verstanden die verhörenden Gestapo-Beamten während der Folter des gleichfalls zum Freiburger Widerstand gehörenden Jens Jessen offenbar, ein „Pfarrer Böhm“ habe an der Schrift mitgearbeitet.
Nach der Diktatur
Eine freiheitliche Ordnung, wie sie der Freiburger Kreis vorausdachte und Ludwig Erhard nach 1948 mit seinen Vorstellungen zu einer sozialen Marktwirtschaft formte, wurde im westlichen Teil Deutschlands Realität. Ihre Einführung gelang dank der Tatkraft eines Ludwig Erhard. Franz Böhm blieb auch in den Folgejahren der wichtige und im übrigen höchst einflussreiche Stichwortgeber für Erhard, vor allem im Kartellrecht, aber auch in der Umsetzung ordoliberaler Grundsätze. Die Gedanken Franz Böhms und der Freiburger Schule flossen bei der Formulierung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ein, sie sind im Artikel 28 niedergelegt. Ludwig Erhard schrieb: „Es ist nicht zu bestreiten, dass ohne Franz Böhm, seine Lehren und Gedanken die Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft viel größeren Widerstand zu überwinden gehabt hätte.“
Der vielleicht wichtigste Teil der politischen Arbeit für die Bundesrepublik, zu dem Franz Böhm berufen wurde, war die Leitung der Delegation, die mit dem 1948 gegründeten Staat Israel und den jüdischen Weltorganisationen über Aussöhnung und Wiedergutmachung verhandelte. Böhm hatte hier eine enorme Aufgabe zu meistern, denn sowohl von deutscher wie von israelischer Seite standen fast unlösbare wirtschaftliche wie menschliche Fragen auf dem Spiel.
Am 10. September 1952 konnten die Verhandlungen von Konrad Adenauer und Nahum Goldman erfolgreich zum Abschluss gebracht werden; einen Hauptteil der Arbeit hatte Franz Böhm geleistet. Die „politische und soziale Bedeutung der Wiedergutmachung“ bewegte Böhm auch in den Folgejahren sehr, und sein Freund Yohanan Meroz bescheinigte ihm: „Für die Menschen meines Landes ist Franz Böhm ein bewunderter Träger wahrer Versöhnung und echten Sichverstehens.“ Diese klare Sicht der Dinge ließ ihn, zusammen mit seinen wissenschaftlichen Leistungen und dem klaren Eintreten gegen das NS-Regime, sogar vorübergehend zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten werden: Böhm war zeitweise als Nachfolger für Theodor Heuß im Gespräch.
Seine Gedanken sind auch ein Jahrhundert nach ihrer Formulierung von großer Aktualität und liefern bedeutende Anregungen: „Die Menschennatur hat die Möglichkeit zum Guten und Bösen. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten zum Bösen kleinbürgerliches Format behalten.“
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