Tichys Einblick
Heftiges Flügelschlagen in der AfD

Höcke zu Gemäßigten: „Geht in die FDP und lasst uns in Ruhe!“

Björn Höcke freut sich auf dem Kyffhäusertreffen des Flügels auf die Zeit nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland, wenn der Höcke-kritische Teil des Bundesvorstands nicht wiedergewählt würde.

1.Mai-Demo Erfurt 01.05.2019 , Erfurt, Thüringenhalle

imago images / Karina Hessland

Höcke Schulter an Schulter mit Bachmann bei Pegida, Höcke im Anzug über den Stacheldrahtzaun gebeugt beim Schafe füttern, Höcke im Vorbeimarsch am dörflichen Fleisch- und Wurstwarengeschäft, Höcke schüttelt dem Bauarbeiter die Hand, Höcke joggt auf Herbstlaub am Waldrand, Höcke vor hunderten von begeisterten Zuschauern. Fehlen also nur noch kleine Mädchen in Trachten mit Blumensträußchen und ein Umschalten dieses Youtube-Werbefilmchens in den historischen schwarz-weiß-Modus?

„Es rutscht etwas durch, das Alte und Morsche zerfällt vor unseren Augen. Der Mantel der Geschichte weht an uns vorbei. Ergreifen wir ihn. Halten wir ihn fest. Und lassen wir ihn nicht mehr los. Bis die Zukunft unserer Heimat, bis die Zukunft unseres Volkes, bis die Zukunft unserer Nation, bis die Zukunft unseres geliebten deutschen Vaterlandes gesichert ist. Ich danke Euch!“ Großer Jubel im Publikum ohne hörbare Verstörungen ob dieser pathosgetränkten Heilsgesänge des Heilsbringers.

Offstimme: „Er sagt Dinge nicht nur, er lebt sie aus tiefster Überzeugung vor, wo findet man so etwas heutzutage noch in der Politik?“ Um Himmelwillen, ist das wirklich der gewünschte personenfixierte Sound, der Ostdeutschland an die Wahlurnen treibt und AfD wählen lässt?

Das alles sind Versatzstücke eines fünfminütigen Höcke-Trailers, der die Teilnehmer des Kyffhäusertreffens des rechten Flügels auf Großleinwand vor dem Auftritt Höckes gezeigt wird, bevor die AfD-Moderatorin im knielangen Schwarzen die Zuschauer bittet, jetzt aufzustehen und den Oberlehrermessias Ostdeutschlands „mit donnerndem Applaus und mit Schwenken der Deutschlandfahne“ zu begrüßen. Im Hintergrund an der Wand steht der diesjährige Slogan des Kyffhäusertreffens: „Der Osten steht auf!“

Der Einmarsch des Regionalmatadors, inszeniert, wie beim RTL-Boxkampf, ewig lange Umarmungen und Händeschütteln in der Zuschauergasse. Was hier nur noch fehlt, ist ein schwarzer Umhang bestickt mit goldenen „Höcke“-Buchstaben, der bei Betreten des Bühnenpodestes und vor dem Kampf dann abgeworfen wird. Alternativ wäre natürlich auch ein Ablegen des Jacketts und Hochkrempeln der weißen Hemdsärmel möglich. Björn Höcke erscheint ohne seine rote Krawatte. Die trug er noch auf der zuvor eingeblendeten Björn-Höcke-Kaffeetasse und beim Ziegenfüttern in Schnellroda … ach nein, das war woanders und es waren Schafe.

Der Adrenalinpegel also schon auf hohem Niveau, als Höcke die Hauptrede der Veranstaltung hält. Rufe „Höcke, Höcke, Höcke“ verzögern den Einstieg. Am Rednerpult das Logo des „Flügels“, selbiger grafisch stilisiert aus vier blauen Hauptfedern, eine davon rot eingefärbt. Schon symbolisch für den sozialistischen Teil im Nationalen?

Das Treffen findet in einer Halle im thüringischen Leinefelde im Eichsfeld statt. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag begrüßt seine Zuhörer hier maximal selbstbewusst unf fast mit dem Selbstverständnis eines Landesvaters in Spe.

Höcke dankt zunächst den „eigenen“ Verlagen im Foyer, u.a. hat der Antaios-Verlag seines Freundes Götz Kubitschek aufgebaut und er dankt auch den „Patrioten von der Vertretung der Russlanddeutschen“ der AfD für ihr Erscheinen. Der Auftritt kann im Live-Stream angeschaut werden.

Höcke möchte „dieses Land für unsere Kinder als Heimat erhalten.“ Ja, man hätte in diesem Kampf „Freunde verloren“. Aber das wären dann eben keine echten Freunde gewesen, startet der AfD-Landespolitiker eine politische Abrechnung, die eine halbe Stunde später bis tief in den Bundesvorstand hinein greifen und dort wohl durchaus als Drohung verstanden werden soll, das nach den Landtagswahlen Köpfe rollen werden, aber dazu gleich mehr.

Höcke weiß aber auch um seinen schweren Stand in seiner Partei, wenn er davon spricht, was sein würde, wenn man dieser Partei den Rücken zukehren müsste, dass man dann doch dankbar dafür sein könne, wem man alles begegnet wäre, das wäre „im Rückblick auf die letzten Jahre“ ein Geschenk. Klingt hier schon der Rückzug Höckes aus der AfD an?

Björn Höcke bittet zehn Minuten nach Beginn seiner Rede Thorsten Weiß auf die Bühne, der maßgeblich zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen hätte. Und der ihm in den letzten Monaten ein Freund geworden sei. Thorsten hätte in den letzten Monaten „geführt“ im besten Sinne des Wortes, so Höcke, der dem so Gelobten dann eine Medaille für gute Arbeit überreicht.

Höcke möchte nach diesem merkwürdigen Zwischenspiel mit Ordensverleihung eine „deutliche Bewertung“ der Arbeit der AfD abgeben, wo er sich doch in den letzten Monaten damit zurückgehalten hätte. Insbesondere geht es ihm um ein Urteil eines Landesschiedsgerichts bei der AfD in Bayern, das so etwas wie eine Konkurrenz des Flügels zur Partei festgestellt haben will, was dann allerdings satzungsgemäß zum Ausschluss der Flügel-Abgeordneten aus der AfD führen würde.

„Sehr geehrte Damen und Herren des bayrischen Landesschiedsgerichtes: Wir haben als Flügel keine Organisationstiefe. Wir sind lediglich ein informelles Netzwerk, das einmal im Jahr ein großes Fest und einige Male im Jahr in einzelnen Landesverbänden kleinere Regionalfeste feiert.“, beschwichtigt der Redner zunächst.

Der Flügel, so Höcke, wären doch „nur“ einige Patrioten, „die dieses Land nicht aufgeben wollen und nicht aufgeben werden.“ Tosender Applaus der sich angesprochen Fühlenden, also quasi von allen Anwesenden im Saal. Höcke beschwört die Einheit von Partei und Flügel: „Einheit, Einheit, Einheit.“

Höcke-Intimus Kubitschek wird später auf seiner Website erzählen, wie er die Inszenierung auf dem Flügelfest erlebt hat: „…geschlossene Halle, Fähnchen zum Winken an jedem Platz, riesige Leinwand, Bühne mit Laufsteg aufs Publikum zu, Abdunklungsmöglichkeit, intelligentes Lichtspiel, stehende und mobile Kameras, straffes, durchmoderiertes Programm, Dramaturgie aus Vorrednern, Musik und Imagefilmen auf den Hauptredner zu, der zugleich die zentrale Figur des Flügels ist: Höcke. Es war wie auf einem Konzert: Moderation, Vorband, Wartenlassen, Erregungssteigerung, Hauptband, große Zufriedenheit. Das haben die Organisatoren des Flügeltreffens studiert und begriffen, und sie haben es gekonnt umgesetzt.“

Kubitscheks Freisprechung solcher Inszenierungen (hier hätte offensichtlich beim Einmarsch nur noch der Lichtdom vor der Halle gefehlt) ist dann allerdings ziemlich gewagt, wenn er den Auftritt mit solchen des politischen Wunschgegners vergleicht: „Man sollte den in Szene gesetzten Höcke mit den Inszenierungen vergleichen, die den Grünen-Chefs Baerbock und Habeck auf den Leib geschneidert werden und sie von der Bühne herunter mit ihrem Wahlvolk spielen lassen wie Popstars mit ihren sehnsüchtigen Fans.“

Einer wie Kubitschek, der von den Medien oft als enger Berater Höckes gehandelt wird und sich ein ums andere Mal ziert zu widersprechen, Kubitschek jedenfalls scheint die Gefahr erkannt zu haben, weiß, das Höcke ohne die AfD nichts wäre, was freilich auch an der medialen Bedeutung Kubitscheks selbst in der Rolle des heimlichen Höcke-Souffleurs sägen würde, wenn der also warnend Richtung Höcke schreibt:

„Ein Flügel-Treffen sollte so sein, dass es keine parteiinterne Gegenreaktion auslöst, und selbst die gröbsten Unverschämtheiten der internen Gegner sollten Höcke nicht dazu verleiten, diesen Gegnern einen Anlass für eine Reaktion zu bieten.“

Und tatsächlich bahnt sich schon wenige Tage nach dem Kyffhäusertreffen 2019 ein neuerliches Aufbegehren aus der AfD gegen den Flügel, gegen Höcke an, wenn die Welt titelt: „In der AfD formiert sich die Anti-Höcke-Front“, wenn das Blatt darüber berichtet, dass sich in einem gemeinsamen Aufruf mehr als hundert hochrangige AfD-Parteifunktionäre gegen Björn Höcke gewandt hätten. Der allerdings war gar nicht öffentlich, wurde der Zeitung aber zugespielt.

Höcke selbst empfiehlt in seiner Rede dem bayrischen Landesverband, diese „juristische Laienspielgruppe“ auszuwechseln. Entweder seien sie unfähig oder schlimmer: Sie hätten wissentlich die Würde der Institution beschädigt, „dann wären sie willkürlich und spalterisch tätig.“ Dann hätten diese Juristen innerhalb der AfD versucht, mit ihrer Entscheidung die kommenden Ostwahlkämpfe zu beeinflussen und dann wäre das, so Höcke, „tatsächlich grob Partei schädigendes Verhalten.“ Das ist natürlich maximaler Konfrontationskurs und man versteht, was Kubitschek umtreibt. „Wir haben von Spaltern die Nase gestrichen voll!“, ruft Höcke seinen Zuhörern zu. Aber als was sagt er das explizit, welche Frontstellung ist das? Als AfD-Spitzenpolitiker oder als Anführer des Flügels? Stehender Applaus auf jeden Fall dafür.

Den vermeintlichen Spaltern ruft Höcke davon aufgemuntert beinahe hämisch zu: „Geht in die FDP und lass uns endlich in Ruhe.“ Und dann folgt auch noch eine Maßregelung des Bundesvorstandes von der thüringischen Bühne herunter: Der müsse die Partei nach innen unter allen Umständen integrierend führen „und vor allem den Gleichbehandlungsgrundsatz wahren.“

Björn Höcke verwendet das Gros seiner Redezeit, interne Auseinandersetzungen zu besprechen – von wie auch immer gearteten inhaltlichen Debatten zur Zukunft des Landes und was man sonst bisher auf diesem Kyffhäusertreffen 2019 meinte besprechen zu müssen, ist er hier weit entfernt. Die Selbstzerfleischung ist an die erste Stelle gerückt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei dem Bundesvorstand nicht durchgängig gelungen, kritisiert Höcke.

Er beschwert sich anschließend energisch, dass er von einem Landesvorsitzenden in „Antifa-Manier mit Antifa-Material drangsaliert“ worden wäre, der seine Arbeitzeit für so etwas missbrauchen würde, anstatt AfD-Botschaften „ins Volk“ zu tragen, der stattdessen „ganze Landesverbände mit der Nazi-Keule traktiert“.

Da wären laut Höcke Parteikollegen offensichtlich „monothematisch fixiert auf den Flügel und mich im Besonderen“. Für Höcke gibt es keine „Bringschuld gegenüber denen, die es nicht gut mit uns meinen“, so sein Hinweis an seine parteiinternen Kritiker zum Umgang mit der „Relotius-Presse“.

Höcke erzählt stolz über sich selbst als von der Sorge ums Land Getriebenen, er hätte in den letzten Monaten alle Energie in die Landtagswahlkämpfe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen investiert.

„Wenn hier am 27.10. in Thüringen Geschichte geschrieben worden ist und der krypto-kommunistische Ministerpräsident Bodo Ramelow in den unverdienten politischen Ruhestand geschickt worden ist, dann, ja dann werde ich mich zum ersten Mal mit großer Hingabe und mit großer Leidenschaft den Neuwahlen des Bundesvorstandes hingeben. Und ich kann Euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand (anhaltender Jubel, Höcke muss immer wieder unterbrechen) in dieser Zusammensatzung nicht wiedergewählt wird.“

Seine Zuhörer springen von den Sitzen und klatschen im Takt zu ihren Rufen „Höcke, Höcke, Höcke“. Die Unzufriedenheit des rechten Flügels bei den Rechten am eigenen AfD-Bundesvorstand erscheint hier bei Höcke in voller Größe.

So also die Marschrichtung von Höcke, mit der wir es hier nach etwas mehr als der Hälfte seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2019 des rechten Flügels innerhalb (oder doch schon außerhalb?) der rechten AfD bewenden lassen wollen:

„Die Gegner sind die Kartellparteien, die Gegner sind das politisch-mediale Establishment. Und mit jedem Parteifreund, das muss doch auch mal der letzten Schlafmütze klar sein, bindet uns in der AfD mehr, als mit irgendeinem Funktionär der Kartellparteien.“

Höcke hat beim Kyffhäusertreffen unmissverständlich sein Gewicht in die Waagschale geworfen und eindrücklich demonstriert. Wie sehr dieser Björn Höcke sein Gewicht in der Partei richtig einschätzt und damit seine Prophezeiung bekräftigt wird, dass sich die Zusammensetzung des Bundesvorstandes in seinem Sinne verändern wird, mag uns Alice Weidel bestätigen, wenn sie via Facebook zur Ordnung ruft und damit übrigens auch prompt bei Kubitscheks Aufarbeitung des Kyffhäusertreffens auf dessen Webauftritt zitiert wird:

„Die AfD steht in diesem Herbst vor drei richtungsweisenden Landtagswahlen. Eine sehr große Zahl an Wählern setzt das Vertrauen in unsere Partei. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst. Dieser Verantwortung müssen wir uns gemeinsam stellen, um erfolgreich zu sein. Gräben aufzureißen ist der falsche Weg. Es steht außer Frage, dass Spannungen innerhalb der Partei aufgetreten sind. Diese sind aber nur intern über die gewählten Gremien und ohne öffentliche Schlammschlacht zu lösen. Wir appellieren an alle Mitglieder: Gemeinsam für den Wahlerfolg in Brandenburg, Sachsen und Thüringen einstehen. Interne Konflikte intern lösen!“

Eine Alice Weidel übrigens, die ihre externen wie dann neuen internen Gegner vollends damit verwirren dürfte, wenn sie, wie jetzt bekannt gegeben wurde, bei Götz Kubitschek auf der 20. Sommerakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS) angekündigt wurde. Sicher ein toller Erfolg für den Verleger – aber was motivierte Weidel zu diesem Schritt?

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