Tichys Einblick
Aufs Recht muss Verlass sein

Warum Demokratie?

Friedrich Merz hat Sorge, Teile der Bundeswehr und Bundespolizisten an die AfD zu »verlieren«. Diese Männer riskieren ihre Gesundheit für den Schutz der Demokratie. Was sagt es uns, wenn sie sich nicht mehr von den etablierten Parteien vertreten fühlen?

INA FASSBENDER/AFP/Getty Images

Wer einer Armee beitritt, sei es freiwillig oder verpflichtet, der tut es im Bewusstsein, bei der Ausübung seines Dienstes seine Gesundheit zu riskieren. Wer eine Schusswaffe trägt und Schießtraining erhält, der weiß, dass er es mit Interessensgegnern zu tun haben könnte, die ebenso bewaffnet sind. Die Menschen, die ihr körperliches Wohl im Dienst riskieren, stehen zwischen uns und der Barbarei.

Die Menschen, hinter deren Schulter wir uns verkriechen, wenn uns als Bürger und Gesellschaft mulmig wird, haben ein Recht darauf, zu verstehen und zu fühlen, was es ist, wofür sie kämpfen, wofür sie ihre Knochen hinhalten. Können wir als Bürger es ihnen sagen? Wissen wir es selbst?

Am Hindukusch

Die Bild am Sonntag zitiert aktuell die ewige Nachwuchshoffnung der CDU, Friedrich Merz, mit einer Aussage zur Bundeswehr. (Randnotiz: Diese »ewigen Nachwuchshoffnungen« in der Politik erinnern mich regelmäßig an einen unentschlossenen Liebhaber, der sich die Liebe vieler Damen warmhalten will, der vielen sagt, was diese jeweils hören wollen, aber nur halbherzig, und es klappt irgendwie nie, bis sie am Ende als alte Junggesellen enden.)

Nachwuchshoffnung Merz wird also von via DPA von diversen Zeitungen so zitiert:

Wir verlieren offenbar Teile der Bundeswehr an die AfD. Wir verlieren Teile der Bundespolizei an die AfD (Friedrich Merz via BAMS und DPA, zum Beispiel bei zeit.de, 23.6.2019)

Der Politikbeobachter mit einem Auge für Talking Points erkennt schnell den Zungenschlag dieser Formulierung: »verlieren … an« – es ist eine Wortfolge, die man kennt von Formulierungen wie »sie haben ihre Eltern an die Pest verloren« oder »er hat Kaninchen an die Chinaseuche verloren«. Eine Opposition wie die Pest, es wird wohl nicht beabsichtigt sein, oder? – Haltungsjournalisten übernehmen den Sound und erweitern ihn, ganz automatisch im Geist der Einheitsmeinung; »Friedrich Merz warnt vor einem Abdriften von Polizisten und Soldaten hin zur rechtspopulistischen AfD« formuliert etwa rp-online.de, 23.6.2019. – »Abdriften«, »rechtspopulistischen«, Worte aus dem Stehsatz des Haltungsjournalismus.

Was ist es, wofür Soldaten kämpfen? Wofür halten Polizisten ihre Gesundheit hin, wenn Antifa und Linksextreme sie angreifen? Wenn jeder Einsatz dich fürs Leben verwunden kann, dann solltest du wissen, was es ist, das du verteidigst.

Die öffentliche Erklärung dessen, was Soldaten verteidigen sollen, wechselt. Mal sind es Freiheit und/oder Sicherheit, die »nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt« werden (Struck 2004), mal sind es »freie Handelswege« (Köhler 2010), immer wieder sind es Werte.

Niemand wird widersprechen, wenn man sage, dass Soldaten und Polizisten die Demokratie selbst verteidigen. Deutsche Soldaten bestreiten ja heute meist gemeinsame Missionen mit Soldaten anderer Länder – es ist nicht ein konkretes einzelnes Land, das sie vertedigen, sondern »die Demokratie«, als Prinzip und als Wertekonstellation.

Soldaten und Polizisten kennen die Realität »da draußen« – anders etwa als Haltungsjournalisten und linke/grüne Demo-Touristen. Soldaten und Polizisten erledigen die gefährlichen Jobs, für die niemand ernsthaft eine Frauenquote fordert. Diese Väter und Söhne – und ja, einige Mütter und Töchter – diese Menschen, die ihr Leben riskieren, um die Demokratie zu verteidigen, so stellt man fest, neigen immer häufiger dazu, die AfD zu wählen. – Was bedeutet das?

Augenblick mal!

Es bereitet mir Schmerzen, was Opportunisten und Wohlmeinende im Namen ihrer als »Moral« verkleideten Ideologie der Demokratie antun. Es sind nicht solche Schmerzen, wie wenn jemand meiner Familie etwas antäte, aber überraschend nah dran. – Die Ereignisse, die mir Sorgen um Zustand und Zukunft der Demokratie bereiten, werden immer häufiger.

Da wäre etwa, nach wie vor und mit täglich neuem Furor, der Kampf der Eliten gegen die praktische und emotionale Freiheit der Meinung – ein Kampf mit wechselnder Subtilität. Der Deutschlandfunk erzählt etwa aktuell seinem Publikum, einen Staatsanwalt zitierend, »Hass müsse strafrechtlich verfolgt werden« (@DLFNachrichten, 22.6.2019/ archiviert) – und niemand aus der etablierten Politik protestiert. Und doch gilt weiterhin: Nein, eine negative Emotion ist nicht verboten, egal was Sie im Propagandasound hören – noch nicht. Und doch wird es immer wieder behauptet. Die Angst davor, seine Meinung zu sagen, ist der Meinungsfreiheit nicht zuträglich, um es höflich zu formulieren. Wer Hass verbieten will, weil dieser gelegentlich zu Straftaten motiviert, der muss auch Religionen, Geld und die Liebe verbieten, aus demselben Grund.

Erlebnisorientierte Öko-Aktivisten hinterlassen dieses Wochenende eine Spur von Schäden, Verschmutzung und Müll – nicht nur zertrampeln die Linksextremen bei ihrer »Protestaktion« in Garzweiler die Felder von Bauern, auch Polizisten werden verletzt (siehe etwa tichyseinblick.de, 23.6.2019) – von Grünen hörte man derweil Beschwerden, dass die Linksextremen bei ihren Taten nicht schnell genug von der Polizei mit Essen versorgt wurden – nein, das ist kein Scherz.

Im Text »Der Glaube, es würde einen selbst nicht treffen« erwähnte ich einen prominenten Haltunsgsjournalisten des Staatsfunk, welcher offen der undemokratischen Öko-Diktatur das Word redet; man könne doch keine Rücksicht mehr bezüglich »privatem Eigentum oder persönlichen Lebensplanungen« aufwenden, wenn es einst darum geht, die Welt vorm Klimawandel zu bewahren. Die geschürte Angst und der Wunsch, die Demokratie aufzugeben, Henne und Ei, was kam zuerst?

Der Ex-Generalsekretär Peter Tauber wurde für seinen erstaunlich offenen Ruf nach totalitären Maßnahmen (siehe: »Brodelnde Giftbrühe und Totalitarismus«) nicht aus der CDU ausgeschlossen, ganz und gar nicht. Wie viele anti-demokratische Ideen von Regierungspartei-Politikern verträgt eine Demokratie? Die Demokratie ist die einzige Staatsform, welche unsere Grundrechte und unsere Freiheit sichern kann. Ich hielt Demokratie und Rechtsstaat bislang für »gesetzt« und für einen Konsens, den kein ernstzunehmender Mensch ernsthaft in Frage stellen würde – ich mache mir Sorgen, denn ich sehe, wie die Demokratie in Frage gestellt wird. Die Demokratie wird implizit in Frage gestellt durch antidemokratischen Handlungen, etwa wenn man Andersdenkende aus der Debatte entfernen will, damit der Widerspruch zur linken/grünen Einheitsmeinung gar nicht erst gehört wird. Inzwischen wird Demokratie sogar explizit in Frage gestellt, begründet durch die geschürte Klimahysterie.

Sind Schönwetterdemokraten, die nur dann demokratische Prinzipien hochhalten, wenn es ihrer Macht gilt, noch Demokraten?

Wir lasen jüngst die Schlagzeile: »Soros-Stiftung will Hassverbrechen im Osten angehen« (morgenpost.de, 21.6.2019). – Augenblick mal! Ist das »Angehen« von Hassverbrechen nicht eigentlich eine Sache der Behörden? Es sind wohl die Wahlerfolge der AfD in den östlichen Bundesländern, die den US-Währungsspekulanten bewegen, in die deutschen Meinungsbildung einzugreifen. (Stellen wir uns einmal die Empörung vor, ein russischer Oligarch hätte Ähnliches auch nur angedeutet, und wolle etwa »Verbrechen durch Migranten« »angehen«.) – Ausländische Milliardäre greifen in den deutschen Wahlkampf ein, und die Grünlinke klatscht Applaus – ja, ich mache mir Sorgen um den Zustand der deutschen Demokratie.

Demonstrieren und fordern

Die Demokratie kann Schaden nehmen, wenn Meinungsmacher und Lehrer den Menschen einreden, man müsse nicht denken und Verantwortung übernehmen, man müsse nur fühlen und Haltung zeigen. Die Demokratie kann Schaden nehmen, wenn ausländische Meinungsmacher ihre Millionen ins Land pumpen, um Meinung in ihrem politischen Sinne zu beeinflussen. Die Demokratie kann Schaden nehmen, wenn Kinder zum Irrtum verführt werden, sie sollten nicht erst lernen und dann handeln, sondern einfach nur demonstrieren und fordern – wie sollen das eines Tages kluge, umsichtige Wähler werden und nicht bloß affektgesteuerte Leichtgläubige?

Wenn ein deutscher Soldat heute in den Einsatz geht für die Demokratie, was ist es eigentlich genau, wofür er seine Gesundheit hinhält? – Wir sollten uns selbst bewusst werden, was Demokratie uns bedeutet.

Könnten Sie sagen, außer »Ist halt so« und »Ist doch klar«, warum Demokratie wichtig und wertvoll ist?

Grenzen geistiger Kapazitäten

Am 11. November 1947 sagte Winston Churchill vor dem House of Commons jene berühmten Worte, die bis heute jeder schon mal zitiert hat, der über Demokratie redet:

In dieser Welt der Sünde und des Leids wurden und werden viele Regierungsformen ausprobiert. Niemand tut so, als wäre Demokratie perfekt und allwissend. In der Tat könnte man sagen, dass Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen ist, abgesehen von all den anderen, die ausprobiert wurden. (Winston Churchill, via parliament.uk)

Ich widerspreche Grundstimmung dieses berühmten Zitats, selbst wenn ich es gelegentlich anwende. Die Demokratie ist mehr als nur das geringste Übel. Die Demokratie kann viel mehr sein als bloß die Wahl zwischen unterschiedlich schmerzhaften Zahnbehandlungen.

Demokratie ist das einzige politische System, mit dem Menschen eine Gemeinschaft formen können, deren kollektive Klugheit größer ist als die Klugheit eines Einzelnen oder einer kleinen Elitengruppe.

Im Sozialismus entscheiden Komitees über die Zukunft des Landes, und zwar Komitees von Leuten, deren erste Qualifikation daraus besteht, in diese Komitees gelangen zu können. In Theokratien entscheidet eine Clique aus Geistlichen und Profiteuren über die Zukunft des Landes, ihren blinden Machtanspruch dem Volk gegenüber mit heiliger Moral begründend. In der Anarchie entscheidet der wütende, emotionale Mob über die Zukunft des Landes. In Diktaturen, Monarchien und anderen Formen von Einzelherrschaft, beginnt und endet die Klugheit des Landes mit den geistigen Kapazitäten des Herrschenden.

Unsere einzige Chance

In den meisten Staatsformen außer der Demokratie ist die Debatte und Aushandlung der jeweils nächsten staatlichen Handlung ein eher lästiger und gern unterdrückter Nebenschauplatz. In der Demokratie und nur in der Demokratie sind die offene Debatte und die faire Aushandlung von Interessen das schlagende Herz des Staates. Die Demokratie ermöglicht es der Nation, auf friedliche und menschliche Weise klüger und stärker zu werden als ein Einzelner es jemals sein könnte. Die Demokratie ist auf gewisse Weise eine »künstliche Intelligenz«, die Menschen lange vorm ersten Computer erschaffen haben.

Wer die demokratische Debatte schwächt, schwächt den Staat. Wer die faire und offene Debatte einschränkt, der greift damit das Wesen der Demokratie an. Wer die Beugung oder Missachtung des Rechts zulässt, der beschädigt das Vertrauen des Menschen in die Demokratie – und damit wieder die Demokratie. Wer zulässt, dass ausländisches Akteure propagandistisch in den Wahlkampf eingreifen, um die Wahlen in ihrem Sinne zu beeinflussen, der sollte ganz genau erklären, was er noch unter fairer Demokratie versteht. (Randnotiz: Auffallend viele Politiker der etablierten Parteien sagen »demokratisch«und meinen damit offenbar nur ihre eigene Macht.) – Ich habe Angst um die deutsche Demokratie.

Erschreckend viele Akteure greifen das immaterielle, aber immens wichtige Fundament der Demokratie an: die offene Debatte. Die offene, vernünftige Debatte ist das Herz der Demokratie, und sie muss von denkenden, freien Menschen geführt werden. Demokratie benötigt das Vertrauen der Menschen auf die Geltung des Rechts und die Fähigkeit der Wähler, mit politischer Grundbildung, logisch und vernünftig eine Entscheidung im eigenen Interesse zu treffen. Wie weit kann der Leviathan Demokratie ohne Herz gehen?

Gerechtigkeit in Griffweite

Demokratie ist unsere einzige Chance, als Gesellschaft klüger und besser als der Einzelne zu sein. Demokratie ist ethisch gut, und zwar nicht in dem Sinne gut, wie Gutmenschen das Wort verwenden, also dass es ein flüchtiges moralisch-erregtes Bauchgefühl wecken würde, sondern gut in dem Sinne, dass Leid gemindert wird, dass Glück vermehrt wird und dass echte Gerechtigkeit zumindest in Griffweite gelangt.

Die Soldaten und Polizisten, die ihre Gesundheit für die Demokratie hinhalten, sie kämpfen für unsere Fähigkeit, als Gesellschaft über uns selbst hinauszuwachsen. Das »Problem« ist heute wahrlich nicht, dass jene Soldaten und Polizisten, welche für die Demokratie ihr Leben riskieren, diese oder jene Partei wählen würden – das Problem ist, dass immer mehr Bürger sich Sorgen machen um die Demokratie.

Es ist unsere tägliche Aufgabe als Individuen, besser zu werden, als wir gestern waren, klüger, weiser und stärker. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, besser zu werden, als wir gestern waren – klüger, weiser und stärker.

Werden wir täglich besser, als Menschen und als Bürger, als Demokratie und als Gesellschaft? Werden wir klüger, weiser und stärker, als wir es gestern waren?


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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