Im Postenschacher der EU zeichnen sich erste Umrisse einer Lösung ab: Klar, Manfred Weber wird nichts, aber dafür möglicherweise Jens Weidmann Präsident der EZB. Das alles bedeutet nicht unbedingt Gutes für Geld und Zinsen.
Ene mene muh und raus bist du. Es gibt ja Nachrichten, die sind keine. Etwa die, dass der Spitzenkandidat von CDU und CSU, Manfred Weber, praktisch keine Chancen mehr hat, EU-Kommissionspräsident zu werden und damit Jean-Claude Juncker zu beerben. Keine Nachricht ist es, weil der französische Staatspräsident Emmanuel Macron schon sehr früh erklärte, dass er den Automatismus ablehne: Die stärkste Fraktion im EU-Parlament stellt den Kommissionspräsident. Macron weist kühl darauf hin, dass diese Regel nicht in den EU-Verträgen stehe und das Vorschlagsrecht bei den Staats- und Regierungschefs liege. Damit watscht Macron die deutsche Politik gleich mehrfach ab.
Fünf Ohrfeigen für Deutschland
Ohrfeige Nr. 1: Alles nur leeres Gerede, die Nationalstaaten bestimmen den Kurs Europas, nicht das Parlament und nicht irgendwelche EU-Gremien. Der Präsident regelt, wer unter ihm Kommissionspräsident wird.
Ohrfeige Nr. 2: Alles nur leeres Gerede von wegen „Spitzenkandidat“, mit dem deutsche Wähler an die Urnen getrieben werden sollten. Der Spitzenkandidat rangiert ganz hinten in der Schlange derer, die was werden dürfen und war nur ein Wahlkampftrick der Union.
Ohrfeige Nr. 3: Die Niederlage ihres Weges hätten sich die Deutschen selbst zuzuschreiben – schließlich waren es die Abgeordneten von CDU und CSU, die maßgeblich Macrons Idee eine Abfuhr erteilten und keine länderübergreifenden Wahllisten zugelassen hätten.
Und deshalb folgt Ohrfeige Nr. 4: „Es gebe keinen europäischen Demos“ – übersetzt: Es gibt kein europäisches Staatsvolk. Es gibt Nationen, die schustern EU-Europa zusammen, aber keine „Vereinigten Staaten von Europa“, siehe Ohrfeige Nr. 1. Kapiert? Leeres Europa-Gerede; nach der Wahl als solches gnadenlos enttarnt.
Emmanuel Macron schlägt Angela Merkel als Nachfolger von Juncker vor. Nun ja, auch das ist bitterer Hohn. Auf den kranken Jean-Claude Juncker, der sein Torkeln auf eine Ischias-Erkrankung zurückführt, also Merkel, die in Deutschland längst zur politischen Belastung geworden ist und die sichtbar unter den enormen Belastungen des Amts leidet – ist das wirklich eine gute Botschaft für EU-Europa? Ist Brüssel das Endlager für politische Problem-Bären? Nennen wir das: Ohrfeige Nr. 5.
Rettet den Euro, zerstört das Geld
Nun wird spekuliert, Macron wolle gar nicht Merkel, sondern im Tauschgeschäft dafür das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, wie Aloysius Hingerl aus dem Hofbräuhaus berichtet.
Ist aber auch nicht richtig. Macron hat längst die Weichen so gestellt, dass die zukünftige Schmutzarbeit in der EZB ein anderer vollbringen muss – nämlich Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Der gilt als Falke, so nennt man im Jargon geldpolitische Hardliner. Sie treten für weniger Staatsverschuldung, schon gar keine Schuldenmacherei per Notenpresse ein, wollen Zinsen bei guter Konjunktur – wie derzeit in Deutschland – hoch halten und kämpfen gegen Inflation und für eine solide Währung. Das Gegenstück sind die Tauben, die den Stall der Notenbank mit dem genauen Gegenteil verschmutzen und die Währung damit ruinieren.
Dass Macron einen Franzosen, der von ihm abhängig ist, nach Frankfurt befördern will, ist auch so eine Theorie, die gerade zerplatzt wie Webers Traum vom Vorsitz der Kommission der EU.
Denn Frankreich hatte mit Trichet schon einen Präsidenten – und Weidmann hat auf die Spielregel der EU verwiesen: “Sicherlich schlecht wäre der Eindruck, dass bestimmte Nationalitäten von der EZB-Präsidentschaft grundsätzlich ausgeschlossen sind.“ Da applaudierten die Zuhörer beim Tag der offenen Tür seiner Bundesbank, die gerade Schnitzel mit grüner Sauce verzehrten, eine Art Frankfurter Nationalgericht. Ein Deutscher stand noch nie an der Spitze der EZB seit ihrer Gründung vor 20 Jahren. Erster Präsident war der Niederländer Wim Duisenberg, dann folgte der Franzose Jean-Claude Trichet, seit 2011 amtiert der Italiener Draghi. In diese Reihe passt Weidmann – und der frühere Falke hat sich schon das Gefieder taubengrau geputzt.
Denn dieser Falke ist längst zur Taube mutiert, und das muss er auch: Für die straffe geldpolitische Linie der Bundesbank gibt es in der EU keine Mehrheit. Der Süden braucht Kredite, niedrige Zinsen und eine weiche Währung, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Offensichtlich ist Weidmann bereit, genau das zu liefern.
Angriff auf Populisten
Weidmann ließ im Mai völlig überraschend Joachim Wuermeling von der Leine. Der ist Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und war vorher Politiker der CSU und Funktionär der Finanzbranche. Anders als die sonst rhetorisch völlig zurückhaltende und vorsichtige Bundesbank verbellte Wuermeling Kritik an den umstrittenen Target-Salden als „Populismus und Fake News“. Das war ein Angriff nicht nur auf den Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, der 2012 sein Buch „Die Target-Falle“ vorlegte und seither diesen Vorgang heftig kritisiert: Per Target schreiben sich die Notenbanken gegenseitig Forderungen gut. Weil Deutschland mehr exportiert als importiert, häufen sich bei der Bundesbank solche Forderungen auf derzeit 920 Milliarden Euro an, die zumindest bei einem Euro-Ende wertlos wären – und ein riesiges Schuldenloch entstehen ließen. Stark vereinfacht: Verkauft VW ein Auto nach Italien, erhält Wolfsburg den Kaufpreis gutgeschrieben und ausbezahlt – und Italiens Kredit bei der Bundesbank erhöht sich genau um diesen Betrag. Ist das jetzt Exportförderung – oder Anschreiben? Kritiker wie Sinn nennen es „Anschreiben“, wie bei der Kneipe um die Ecke, in der man auf dem Bierdeckel Kredit bis zum nächsten Zahltag erhält. Target-Salden sind danach nur gigantische Bierdeckel – die schon wegen der Summen nie mehr getilgt werden können, so viele Zahltage gibt es nicht zwischen den Volkswirtschaften.
Fake-News oder verborgene Signale?
Befürworter halten das alles für harmlos. Ob darin wirklich ein Risiko steckt, darüber streiten sich die Gelehrten – und immerhin hatte der frühere Bundesbankchef Helmut Schlesinger den Verfasser und Hans-Werner Sinn überhaupt auf das Vorhandenseins dieses Girokontos unter den Notenbanken aufmerksam gemacht.
Über Schlesinger schreibt die Bundesbank: „Kaum eine andere Person hat die Entwicklung der Bundesbank seit ihrer Gründung 1957 so geprägt“. Wuermelings Angriff ist damit auch eine Distanzierung von der Geldpolitik der Bundesbank und hat in seiner Schärfe eine Qualität, als ob der Vatikan wieder verkünden würde: Die Welt keine Kugel, sondern flach wie eine Pizza. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, die nur eines signalisieren soll:
Weidmann als zukünftiger Präsident stünde komplett hinter der Draghi-Linie immer weiter ausgreifender und verschwenderischer Geldpolitik, die ihrerseits Targets weiter in die Höhe treibt und für die auch der derzeitige Saldo von 920 Milliarden kein Limit ist. Bedenken? Neuerdings keine mehr.
Geldpolitische Positionen werden geräumt
Neuerdings hat Jens Weidmann nach eigener Aussage auch nichts mehr gegen die prinzipielle Zusage der Europäischen Zentralbank (EZB) einzuwenden, im Notfall gezielt Staatsanleihen von Ländern zu kaufen, deren Zinsen die EZB für überhöht hält. „Inzwischen hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem OMT befasst und festgestellt, dass es rechtens ist. Im Übrigen ist das OMT geltende Beschlusslage“, erklärte im Juni Weidmann unter Verweis auf Outright Monetary Transactions (OMT). War er bislang Kritiker dieser Dragee-Maßnahmen, so heißt es jetzt: „Eine Notenbank muss im Fall der Fälle entschlossen handeln“ Auch das muss man inhaltlich nicht nachvollziehen, es geht noch mehr um das Signal: Er schwenkt auf Draghis Kurs ein, den Euro zu verteidigen, mit allem was möglich ist.
Und damit folgt der nächste Schlag: Draghi will die lockere Geldpolitik tatsächlich fortsetzen. Erst vor wenigen Tagen erklärte er auf einer Tagung der EZB in Sintra, dass die EZB über weitere Zinssenkungen nachdenken und auch den Kauf von Staatsanleihen zur indirekten Schuldenfinanzierung der Südländer möglicherweise wieder aufnehmen wolle.
Weitere Zinssenkungen treiben Banken ins Aus
Das ist nun wirklich ein Kunststück, das Draghi eingeleitet hat und Weidmann nachspielen will: Die an der Null-Grenze pendelnden Zinsen noch weiter zu senken.
Tatsächlich steht ihm dafür nur ein Instrument zur Verfügung: Banken, die bei der EZB ihre Mittel vorübergehend anlegen wie unsereiner das Gehalt auf dem Girokonto, zahlen 0,4% Zinsen für diese Form der Anlage. Sie zahlen also für die Geldanlage. Zukünftig sollen es vermutlich 0,5 Prozent Strafzinsen sein – wer Geld anlegt, muss zuschauen, wie es dahin schmilzt. Bislang kostet der Strafzins die deutschen Banken rund 7,5 Milliarden € im Jahr; demnächst dann wohl fast eine Milliarde mehr. Es ist Geld, das den klammen Banken fehlt und deren Krise verschärft. Es geht noch auf viele Jahre mit ultraniedrigen Zinsen weiter, lautet die Botschaft. Es dürfte das Todesurteil für einige Banken sein.
Noch niedrigere Zinsen – alles für den Euro?
Damit ist ein geldpolitischer Weg vorgezeichnet, den wohl auch Weidmann zu gehen bereit ist, interpretiert man seine Signale: Noch niedrigere Zinsen, noch höhere Belastung der Sparer und Inhaber von Lebensversicherungen, noch weitere Verschärfung der längst bedrohlichen Schieflage deutscher Banken – alles für den Euro.
Genau damit ist die Frage beantwortet, warum Macron den Deutschen Weidmann als EZB-Präsidenten unterstützen kann: Weidmann ist längst kein hochfliegender Falke mehr. Er hat versprochen, zukünftig als Taube tief zu flattern. Ob das reicht, das Mißtrauen der Südeuropäer zu zerstreuen, die sich vor der strikten Geldpolitik der Bundesbank fürchten? Vielleicht muss er sogar durch besondere Nachgiebigkeit überkompensieren, um eine entsprechende Mehrheit der Staats- und Regierungschefs zu gewinnen. Und dann geht es erst los:
Als EZB-Präsident wird er zudem so stark eingebunden sein in die Vorgaben des Chefvolkswirts Philip Lane und die Mehrheit des EZB-Rats, dass er kaum Spielraum für eigene Politik hat. Am Ende wird dann Weidmann bei der nächsten Konjunkturabschwung sogar eine noch lockerere Geldpolitik verfolgen müssen als Draghi. Der frühere Falke frisst brav das Taubenfutter auf dem Weg in den verschmutzten EZB-Schlag, um im Jargon der Branchen zu bleiben.
Zyniker dürften es sogar reizvoll finden, einen deutschen EZB-Präsidenten zu installieren, der die Linie des von Tauben dominierten Zentralbankrats weiterführen muss; Deutschland und die bislang lästige Bundesbank sind endlich gezähmt und in die Geldpolitik nach italienisch-französischem Muster eingebunden.
Wer dann noch Präsident der Kommission der EU wird, kann Macron egal sein. Geld zählt.