Altbundespräsident Joachim Gauck erntete für ein bemerkenswertes SPIEGEL-Interview vor allem für seine Forderung nach einer „erweiterten Toleranz in Richtung rechts“ teilweise harsche Kritik. „Toleranz“, so Gauck, „sei auch eine Zumutung.“ Denn sie bedeute „auszuhalten, was uns nicht gefällt. Und beispielsweise nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel am liebsten hinauszudrängen.“
Auf die konkrete Frage nach Pegida und der AfD reagiert Gauck wie folgt: „Politisch ist es nicht gut, wenn eine bestimmte Gruppierung der Gesellschaft nicht repräsentiert wird. Es ist notwendig, auch deren Themen in einer Partei zu formulieren, dann sind sie auf der Agenda, und man kann sie auch gerne bekämpfen.“ Auf die SPIEGEL-Nachfrage: „Die AfD ist also notwendig?“ erklärt Gauck: „Ich finde die AfD verzichtbar. Nicht verzichtbar ist es, dass die anderen Parteien alle relevanten Themen und Probleme bearbeiten. Dabei geht es nicht darum, den Populisten hinterherzulaufen, sondern ihnen umgekehrt die Deutungshoheit zu nehmen. Doch wenn die AfD schon existiert, besteht meine Toleranz darin, dass ich mit ihr streite und sie als politischen Gegner betrachte. Aber ich sage nicht: Ihr seid Feinde, ihr müsst zerstört werden.“
Dass die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhardt, die vor Jahren selbst einmal als Kirchentagspräsidentin fungierte, den AfD-Podien-Ausschluss auf dem kommenden ev. Kirchentag in Dortmund verteidigte, liegt nicht nur an fehlender Toleranz, sondern ist politisch dumm. Es liegt auf dem Niveau eines Volker Kauder, der sich einst mit AfD-Politikern nicht in Fernsehrunden setzen wollte. Dafür saß die AfD dann wenige Monate später als drittstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Die AfD steht am 1. September, wenn nicht alles täuscht, vor einem gewaltigen Erfolg bei den Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg. Im sächsischen Görlitz brauchte es die kollektive Unterstützung der Grünen und der Linken, damit der CDU-OB-Kandidat im zweiten Wahlgang gegen den AfD-Kandidaten als Sieger aus dieser Kommunalwahl hervorging. Dass die 44,8 Prozent für den AfD-Mann ein starkes persönliches Ergebnis sind und dessen Chancen erhöhen, bei der Landtagswahl am 1. September das Direktmandat gegen seinen Konkurrenten, den CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, zu gewinnen, ging im überregionalen Jubel der Medien unter. Die CDU-Bundesvorsitzende twitterte im ersten Eifer nach dem Sieg des eigenen Kandidaten noch kühn: „Die CDU ist die bürgerliche Kraft gegen die AfD.“ Dabei war der „CDU-Sieg“ in Görlitz ohne die Unterstützung der Grünen und der Linken überhaupt nicht möglich. AKK korrigierte den Lapsus zwar spät am Wahlabend, aber der Fauxpas war wieder mal passiert.
Auch mir sind zahlreiche Einlassungen aus dem Umfeld der AfD zu rassistisch. Die Hetze gegen Minderheiten, die Aggressivität der Sprache, sie regen mich auf. Wählbar ist diese Partei für mich nicht. Aber sie hat ihre Existenz und ihren Zuspruch bei den Wählern der Tatsache zu verdanken, dass zunächst die Eurokrise und dann die „Willkommenskultur“ von Union, SPD, Grünen und Linken gemeinsam als alternativlos eingestuft und damit einer kritischen Auseinandersetzung in der politischen Debatte entzogen wurden. Doch die Vox populi suchte sich ein Ventil. Der politisch korrekte Allparteien-Sprech machte die AfD groß.
Die „Schmuddelpartei“ AfD wird noch diverse Häutungen erleben, bis sie sich von ihren rechtsextremistischen und undemokratischen Mitstreitern getrennt hat – oder sie wird auf mittlere Sicht wieder untergehen. Dass sich der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland und der Parteivorsitzende Jörg Meuthen erst am 18. Juni per Pressemitteilung zum Mord am CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen mutmaßlichen Rechtsextremisten geäußert haben, finde ich beschämend. Obwohl es schwer fällt, halte ich es auch im Umgang mit der AfD mit der Mahnung von Joachim Gauck: Mehr Toleranz nach rechts! Denn Ausgegrenzte leben länger, weil sie nicht politisch gestellt werden, sondern sich als Opfer gerieren können.