Die Frage muss erlaubt sein: Warum hat gerade Deutschland den in diesem Jahr bislang massivsten Angriff gegen Israel bei den Vereinten Nationen gestartet? Hätte man das nicht Äquatorialguinea oder der Dominikanischen Republik, die derzeit ebenfalls Mitglieder des Sicherheitsrats sind, überlassen können? Oder hat diese Attacke vor dem UN-Sicherheitsrat in der deutsch-jüdischen Geschichtssammlung noch gefehlt? Warum besteht man auf dem Narrativ, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, wenn Berlin keine Gelegenheit auslässt, den Feinden des Judenstaates auf internationalem Parkett Tür und Tor zu öffnen?
Kein Zweifel, die von Deutschland geleistete Wiedergutmachung an Juden und Israel seit 1952 ist beispiellos in der Geschichte. Dafür gebührt Deutschland Dank und Anerkennung. Kein Zweifel auch, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und Deutschland sind gut und verbessern sich sogar noch. Aber warum musste sich UN-Botschafter Christoph Heusgen, einst außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel, am 26. März 2019 in einer frei gehaltenen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat ohne Not einer Vorverurteilung Israels im Nahostkonflikt anschließen?
Heusgen verglich die Raketen der Terrororganisation Hamas, die seit 2007 auf Israels Städte und Zivilisten tausendfach herabregnen, mit den Bulldozern, die Israel gegen Häuser im Westjordanland einsetzt. Diese rechtsstaatlich abgesicherte Strafmaßnahme richtet sich gegen Gebäude überführter Terroristen, die Morde gegen Menschen in Israel geplant und durchgeführt haben. Außerdem griff Heusgen die USA an, weil diese nach Jerusalem als ungeteilter Hauptstadt Israels mittlerweile auch die Golanhöhen als Teil des Judenstaates anerkannt haben. Damit positionierte er die deutsche Außenpolitik plötzlich an der Seite der Israel- Hasser und ihrer Unterstützer. Es war kein verbaler Ausrutscher. Hier hat auch kein „einsamer Wolf“ aus eigener Initiative gehandelt. Dieser Auftritt war das vorläufig letzte Glied in einer Kette deutscher Vorverurteilungen Israels. Der Ort des Geschehens war ebenfalls nicht zufällig gewählt. Denn wenn es gegen Israel geht, eignet sich kein Gremium besser als das Hohe Haus am East River in New York, von dessen 193 Mitgliedsländern mehr als ein Viertel muslimische Staaten sind. Dazu kommen jede Menge ölabhängiger Nationen, die gern die Hand auf- und den Mund zuhalten.
Die Zahlen sind eindrucksvoll: 2018 wurde in den Vereinten Nationen insgesamt 26-mal über Resolutionen gegen Staaten abgestimmt: 21 davon richteten sich gegen Israel. Im gleichen Zeitraum wurden Iran, Nordkorea und Syrien jeweils nur einmal verurteilt. Bei Syrien reden wir immerhin von einem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg unter menschenverachtender Anwendung von Chemie- und Giftgaswaffen mit geschätzt mindestens 500.000 Toten. Elf Millionen Menschen sind immer noch auf der Flucht.
Das Auswärtige Amt in Berlin dokumentiert noch eine weitere Statistik: Während der deutschen Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat der UN (2006 bis 2009, 2013 bis 2015 und 2016 bis 2018) wurden insgesamt 55 Resolutionen zu Israel verabschiedet. Andere Staaten, in denen es im selben Zeitraum zu teils erheblichen und andauernden Menschenrechtsverletzungen kam – darunter Syrien (26), Nordkorea (11), Sudan (9) und Libyen (5) –, waren vergleichsweise wesentlich seltener Gegenstand von Resolutionen.
Bei der Resolutionsorgie des Jahres 2018 stimmte Deutschland im Übrigen 16-mal zu, bei vier Abstimmungen enthielt sich der Vertreter der Bundesregierung, einmal stimmte er dagegen. Die Bundesregierung hat das eigene Abstimmungsverhalten zuletzt mit dem Verweis „auf volle Zustimmung zu den verabschiedeten Texten und die Möglichkeit, bis zuletzt an den jeweiligen Texten mitarbeiten zu können“, gerechtfertigt – nachzulesen in der Bundestagsdrucksache 19/7560, freilich ohne Angabe eines Beispiels.
„Ohne vorherige Beratung“
Der zaghafte Versuch der FDP-Fraktion, das „deutsche und europäische Abstimmungsverhalten in Bezug auf Israel bei den Vereinten Nationen neu auszurichten“, wurde im Bundestag bei einer namentlichen Abstimmung mit 408 zu 155 Stimmen bei 63 Enthaltungen abgeschmettert. Die Drucksache vermerkt lakonisch: „ohne vorherige Beratung“. Hier hat sich erwiesen, was die vollmundigen Reden zum 70. Jahrestag der Wiedergründung Israels im April 2018 wert sind: herzlich wenig.
Dazu passt auch, dass Staatsminister Niels Annen in der ersten Reihe saß, als die iranische Botschaft in Berlin im Februar den 40. Jahrestag der Revolution feierte. Keine Silbe hatte er dafür übrig, dass der Iran als größter Unterstützer des Terrors gilt und die eigene Bevölkerung seit 40 Jahren unterdrückt, Regimegegner verfolgt und regelmäßig Todesurteile aus nichtigsten Gründen vollstreckt.
Deutschland, wie die Mehrheit der EU-Länder, beklagt seit Jahren, Israel unterdrücke Palästinenser und Berlin sei sehr empfindlich, wenn es gegen die Kleinen und Wehrlosen geht. Das wäre eine Position, doch wann hat je ein deutscher UN-Botschafter seine Stimme erhoben, als es um die Rechte von Tibetern, Georgiern, Syrern, Armeniern, Kurden, Zyprioten oder Ukrainern ging? Vernehmbar ist Deutschland immer nur, wenn es um Palästinenser geht – und dann steht Israel am Pranger.
Die Begründung für den diplomatischen Kampf gegen Israel holt sich die Bundesregierung aus den seit Jahrzehnten wiederholten und nie infrage gestellten Behauptungen, Israel sei Besatzer, das Westjordanland sei besetztes Gebiet und Israel verstoße damit gegen internationales Recht.
Wäre die Schlussfolgerung richtig, dürfte es vor 1967 keinen palästinensischen Terror gegeben haben. Denn damals lebte kein einziger Israeli/Jude, weder Militär noch Zivil, im Westjordanland oder im Gazastreifen. Trotzdem schossen und bombten Palästinenser gegen Israels Zivilbevölkerung.
Und wenn die Palästinenser einen eigenen Staat wollten, warum haben sie das zwischen 1948 und 1967 nicht erreicht? Wer immer sie in den 19 Jahren daran gehindert hat, Israel war es sicher nicht. Denn im Westjordanland herrschte einzig und allein das Königreich Jordanien, und in Gaza hatte Ägypten das Sagen.
Bevor man der Frage nachgeht, ob Israel „Besatzer“ ist, sollte man klären, wie Israel dorthin kam. Hat die Regierung in Jerusalem eines Tages beschlossen, willkürlich das Westjordanland zu besetzen? Nein, 1967 haben Fatah und PLO gemeinsam mit Syrien, Ägypten, Jordanien und weiteren arabischen Nachbarländern Israel den Krieg erklärt. Ägypten sperrte die lebenswichtigen Schifffahrtswege im Roten Meer und schickte die UN-Blauhelme nach Hause. Israel verteidigte sich und eroberte OstJerusalem und das Westjordanland.
Spielplatz für Völkerrechtler
Bevor man die Terminologie „Besatzung“ benutzt, sollten man sich fragen, warum der arabische Angriff und seine Hintergründe bis heute weder diplomatisch noch politisch aufgearbeitet wurden. Denn die Benutzung des Begriffs „Besatzung“ setzt voraus, dass das Gebiet vorher im Besitz einer anderen Nation war. Genau das ist aber nicht der Fall.
Über 400 Jahre, bis zum Ersten Weltkrieg, regierten die Osmanen von Konstantinopel die Region. Zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg war sie Mandatsgebiet der Briten auf Beschluss des Völkerbundes. 1947/48 übernahmen die UN den Text des Völkerbundes. Das Wort „Palästinenser“ oder „palästinensischer Staat“ kommt in keinem einzigen Dokument vor. Im arabischen Angriffskrieg 1948/49 gegen das neu gegründete Israel besetzte Jordanien das Westjordanland und OstJerusalem. Ägypten griff sich den Gazastreifen. Von einem eigenständigen Palästina war nie die Rede.
Internationales Recht ist ein akademischer Spielplatz für Völkerrechtsjuristen. Wirkungsvoll angewendet wird es tatsächlich eigentlich nur für Massenmörder aus Afrika und aus dem früheren Jugoslawien. Aber wie soll das gegen einen demokratischen Staat gehen? Erst recht gegen einen, der 2010 in den elitären OECD-Kreis (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aufgenommen wurde?
Internationales Recht ist historisch gesehen stets das Recht des Stärkeren. Es gibt kein Beispiel, dass ein Volk einen Staat durch eine notarielle Beglaubigung erhielt. Das wird auch bei den Palästinensern nicht funktionieren. Auch die Aufteilung der arabischen Welt nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg waren willkürliche Federstriche durch arabische Sandwüsten, vollzogen von Siegermächten, die sich um die Interessen von Stammesfürsten der Sunniten, Schiiten oder Wahabiten keinen Deut kümmerten. Der aussichtsreichste Weg für eine Lösung des Nahostkonflikts wären direkte Verhandlungen zwischen den Kontrahenten ohne Vorbedingungen. Aber genau das lehnt die palästinensische Seite ab.
Spätestens seit Sommer 2018 müsste in Berlin der Inhalt des Buches „Israel vor Gericht – Wie internationales Recht missbraucht wird, um Israel zu entrechten“ bekannt sein. Die Autoren, Matthijs de Blois und Andrew Tucker, zwei international anerkannte Juristen, kommen auf 500 Seiten zu dem Schluss, dass die kontinuierliche Unterstützung der palästinensischen Sache ohne eine Verurteilung des Terrors gegen israelische Bürger – und in vielen Fällen den Terror sogar fördernd – gegen das Prinzip verstößt, dass alle UN-Mitglieder die territoriale Integrität anderer UN-Mitglieder respektieren und schützen müssen.
Instrumentalisierung des Rechts
Internationales Recht für das Erreichen politischer oder militärischer Ziele zu instrumentalisieren verletze die internationale Rechtsordnung, die auf Fairness und Objektivität basiere. Das internationale Recht werde seine Glaubwürdigkeit und seinen Zweck als internationale Friedensnorm nur dann beibehalten, wenn es fair, objektiv, vernünftig und in Verbindung mit der historischen Realität angewendet werde.
Christoph Heusgens Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat wurde von der „Süddeutschen Zeitung“ als „mutig“ bezeichnet. Mutig wäre etwas anderes gewesen – nämlich sich gegen die Anti-Israel-Manie zu wenden oder jenen Palästinensern zur Seite zu springen, die im Libanon unter Verfolgung leiden. Seit Monaten wird die Verantwortung für jede Rauchwolke über Gaza Israel in die Schuhe geschoben, aber das Interesse an der berechtigten Palästinenserkampagne „Hakki“ (Mein Recht) im Libanon für Gleichberechtigung und Beendigung der Diskriminierung ist gleich null.
Dieser Beitrag ist in Ausgabe TE 06-2019 erschienen.