Tichys Einblick
Karl Marx statt Ludwig Erhard

Kommt bald das Kevin-Kühnert-Abitur?

Alles über Klima, Rudimentäres über Karl Marx, aber nichts über wirtschaftliche Zusammenhänge, geschweige denn über Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack, Walter Eucken oder die katholische Soziallehre: Juso Kevin Kühnert wird seine Freude daran haben.

imago images / PEMAX

Die 1970er und 1980er Jahre standen vor allem in Hessen und in Nordrhein-Westfalen ganz im Zeichen sozialistischer, marxistischer Pädagogik. In den NRW-Richtlinien des Jahres 1973 wurden etwa als Ziele des Politikunterrichts definiert: „Fähigkeit zur Analyse von politischen und gesellschaftlichen Institutionen, ihrer Macht und der von ihnen ausgehenden Zwänge“; „Fähigkeit zu demokratisch legitimiertem Widerstand gegen nicht akzeptierbare Unterordnung und gesellschaftliche Abhängigkeit“; „Bereitschaft, nicht akzeptierbare Gehorsamsforderungen abzulehnen“; „Fähigkeit, auch unter dem Druck von Sanktionen Entscheidungen zu realisieren“; „Bereitschaft, gegebenenfalls Unsicherheit und Nachteile hinzunehmen, die mit der Nichteinhaltung alter oder mit der Erprobung neuer Regeln verbunden sein können.“

Vergangenheit? Nein! Das mittlerweile nicht mehr SPD- oder rot-grün, sondern schwarz-gelb regierte NRW knüpft offenbar an 1973 an. Bert Losse, Wirtschafts-Woche-Redakteur und Volkswirt, hat dies soeben für die NRW-Abituranforderungen im Fach Sozialwissenschaften/Wirtschaft nachgewiesen. Losses Sohn ist in Köln Abiturient des Jahres 2019; da lag es nahe, dass der Papa mal einen Blick in die Prüfungsvorbereitungen wirft. Losse hat dies getan, und er war entsetzt; sein Entsetzen hat er in einem Brief an NRW-Schulministern Yvonne Gebauer (F.D.P.) festgehalten.

Bei der Betrachtung des vorgegebenen Prüfungsstoffes hatte Losse folgenden Eindruck: „Die Themenauswahl wirkte auf mich streckenweise, als hätten sich der Weltverband der Soziologen mit dem Stuhlkreis Postkeynesianismus und der wirtschaftspolitischen Abteilung des Deutschen Gewerkschaftsbunds zusammengehockt.“ Begründung: Es findet sich dort keine Zeile von den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft, von den Quellen unseres Wohlstands, von der Bedeutung von Eigenverantwortung und Subsidiarität für die Stabilität einer Gesellschaft, von der Bedeutung der Freiheit, vom Versagen der Planwirtschaft. Stattdessen müssen sich die Schüler befassen mit „Strukturen sozialer Ungleichheit, sozialem Wandel und sozialer Sicherung“, „Erscheinungsformen und Auswirkungen sozialer Ungleichheit“, „Modellen und Theorien gesellschaftlicher Ungleichheit“, „Tendenzen der Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen“.

Das Inhaltsfeld „Globale Strukturen und Prozesse“ umfasst „Merkmale, Dimensionen und Auswirkungen der Globalisierung“ und selbstredend „Globalisierungskritik“. In der Musterlösung zu einer Abitur-Beispielklausur („Nur für den Dienstgebrauch“), bei der es darum geht, wie die Bundesregierung einen gefährdeten Aufschwung stabilisieren könne. Die NRW-Kultusbürokratie nennt als möglichen Lösungsvorschlag eine „Lohnerhöhung für staatliche Bedienstete“. Diese Maßnahme „könnte helfen, die Binnennachfrage zu stärken und den Aufschwung zu stabilisieren“. Schüler, die das schreiben, sollen acht Punkte erhalten; sie hätten damit in dieser Aufgabe bereits ein Viertel der Maximalpunktzahl erreicht. Ebenfalls acht Punkte kann einfahren, wer die „Erhöhung der Einkommensteuer für Spitzenverdiener“ vorschlägt.

Man kann nur noch den Kopf schütteln. Und das in einem Land, in dem die Schüler trotz oder wegen Schulschwänzerei zwar angeblich alles über Klima, Rudimentäres über Karl Marx, aber nichts über wirtschaftliche Zusammenhänge, geschwiege denn über Ludwig Ehrhard, Alfred Müller-Armack, Walter Eucken oder die katholische Soziallehre wissen. Juso-Mann Kevin Kühnert wird seine Freude daran haben. Vielleicht besteht das NRW-Abitur im Fachbereich Sozialwissenschaften/Wirtschaft dann 2020 ja aus einer mit Höchstpunktzahl belohnten affirmativen Analyse eines „berühmten“ Kühnert-Interviews, das dieser mit seinen Vorstellungen von der Kollektivierung der Wirtschaftsbetriebe am 1. Mai 2019 der ZEIT, dem Erbauungsblatt der sogenannten Intellektuellen, gegeben hat.

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