Die deutschen Aktienkurse sind in den Keller gerauscht, seit ihrem Höchststand vor knapp einem Jahr um fast 30 Prozent, nimmt man den Deutschen Aktienindex Dax als Maßstab. Anlass genug, nach den Ursachen zu forschen. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die vermeintlichen Ursachen, die uns täglich von den Mainstream-Medien und Börsendiensten serviert werden, sind in der Regel wortreicher Unsinn. Mal ist China schuld, mal der wiedererstarkende Euro, mal ein drohender Konjunktureinbruch, mal das Desaster um die Deutsche Bank. Das alles zusammen und noch ein wenig mehr spielt zwar eine Rolle, ist aber nicht ausschlaggebend.
Wie wäre es stattdessen mit „rien ne va plus“? Das bedeutet so viel wie „Schluss mit dem Einsatz“, riecht nach Casino und kommt der Wahrheit viel näher. Das heißt, die Notenbanker diesseits und jenseits des Atlantiks, in China und Japan, haben Spielgeld verteilt, das stante pede in Aktien und Anleihen statt – wie eigentlich vorgesehen – in die Realwirtschaft geflossen ist. Die Anleihen- und Aktienkurse sind dann so lange gestiegen, wie genug Spielgeld nachgekommen ist – mit einer fatalen Begleiterscheinung: de facto Nullzinsen, zum Teil, wie in Deutschland, ja in der ganzen Eurozone, in Dänemark, Schweden, und zuletzt auch in Japan, sogar negative Zinsen.
Im schlimmsten Fall droht ein Bankrun
Nun könnte man meinen, Null- und negative Zinsen würden der Realwirtschaft ja nicht direkt schaden, ihr vielleicht sogar nützen. Und solange nur die Aktienkurse fielen, während die Kurse der Bundesanleihen und vergleichbarer festverzinslicher Papiere wegen ihrer Rolle als sogenannte sichere Häfen sogar zulegten, sei alles in Butter. Doch genau das ist ein Trugschluss. Denn mit jedem Prozentpunkt, um den die Aktienkurse fallen, wird für Unternehmen die Aufnahme von Eigenkapital über die Emission neuer Aktien teurer. Und was den wenigsten Anlegern bewusst sein dürfte: Negative Zinsen sind nicht allein für die Aktienkurse schädlich, sondern auf dem Umweg über die Banken für die ganze Wirtschaft.
Der zuletzt genannte Punkt bedarf der Erklärung, am besten anhand eines aktuellen Beispiels: Die Commerzbank, die sich gern als Mittelstandsbank präsentiert, will Gebühren für Kundenguthaben einführen; das wäre dann im Prinzip nichts anderes als ein negativer Zins durch die Hintertür. Damit wird sie über kurz oder lang wohl kaum allein bleiben. Konsequenterweise müssten schließlich alle deutschen Banken und Sparkassen mit der Commerzbank gleichziehen. Die Folge: Immer mehr Bankkunden, Unternehmer wie private Sparer, würden ihr Geld lieber unter der sprichwörtlichen Matratze verstecken oder – ein naheliegender Gedanke – in zinsloses Gold umwandeln, statt es gegen Gebühren bei Banken und Sparkassen immer weiter an Wert verlieren zu lassen. Im schlimmst Fall käme es zu einem Bankenrun, und der Wirtschaftskreislauf bräche zusammen, das ganze Finanzsystem einschließlich Aktienmarkt ebenfalls.
Einiges spricht für Gold
Alles nur Phantasie? Überhaupt nicht. Zum Beispiel hat sich das unabhängige Forschungsinstitut Capital Economics mit den Lagerkosten für Bargeld und Gold beschäftigt. Ergebnis: jährlich 1,5 bis 2 Prozent. Wobei das Lagern von Bargeld wegen des Volumens teurer ist als das Lagern von Gold. Für das Edelmetall spricht darüber hinaus, dass sein Preis im Gegensatz zum Bargeld steigen kann. In den vergangenen gut vier Jahren ist er allerdings gefallen, bevor sein Preis seit der Jahreswende ordentlich zugelegt hat.
In diesem Kontext drängt sich die Frage auf: Wenn die Lagerkosten so hoch und die Kurse der im Dax enthaltenen Aktien nach fast 30 Prozent Rückgang wieder viel günstiger als vor Jahresfrist zu haben sind, warum dann nicht auf Aktien statt auf Bargeld setzen? Die Frage ist leicht zu beantworten: Weil abgesehen von den genannten schädlichen Effekten negativer Zinsen an der Börse Kräfte wirken, die eine schnelle Kurserholung verhindern. Es handelt sich im Wesentlichen um die auf den Kursen lastenden Verkäufe institutioneller Anleger, die in den vergangenen Jahren viel Reibach gemacht haben und jetzt einen Teil ihrer Kursgewinne realisieren, unter ihnen traditionelle deutsche Aktienfonds und in größerem Umfang – neben Hedgefonds – führende amerikanische Vermögensverwalter. Der größte von ihnen, BlackRock, war zuletzt mit mehr als sechs Prozent am Kapital der folgenden Dax-Unternehmen beteiligt: Adidas, Allianz, BASF, Bayer, Daimler, Eon, Henkel und Vonovia.
Angelsächsische Anleger machen einfach Hau-Ruck
Demgegenüber spielen private Anleger an der deutschen Börse kaum eine Rolle: Auf sie entfallen gerade mal schlappe 14 Prozent des deutschen Aktienvermögens, Aktienfonds inbegriffen. Das hat viel mit den schwankenden Kursen zu tun, aber auch und vor allem mit den Missständen rund um Aktien, beginnend bei Politikern, die sich einen Teufel um die Aktienförderung scheren, über Banken und Sparkassen, die lieber Fonds und Zertifikate verkaufen, als die Aktienberatung zu pflegen, bis hin zum Deutschen Aktieninstitut, in dessen vier Dutzend umfassendem Vorstand man vergeblich nach Vertretern privater Aktionäre sucht.
So bleibt die deutsche Aktienkultur auf der Strecke. Ihren Platz hat längst die anglo-amerikanische Hau-Ruck-Kultur eingenommen, deren Vertreter mit deutschen Aktien nicht lange fackeln, sondern sie zu hohen Beträgen kaufen, um sie nach großem Kursgewinn zu verkaufen. Daran werden sich deutsche Anleger gewöhnen müssen, ob sie wollen oder nicht. Die noch vor wenigen Monaten von deutschen Bankern beschworene Alternativlosigkeit der Aktien – was für ein dummes Zeug – ist mittlerweile dem Slogan von der anstehenden Dividenden-Saison gewichen – ebenfalls dumm, weil man potenziellen Aktionären erst klarmachen müsste, dass Dividenden-Renditen zwar viel höher sind als Tages- oder Festgeldzinsen, aber mit den Aktienkursen schwanken und obendrein am Zahltag vom Kurs abgeschlagen werden. Wenn es in puncto Alternativlosigkeit überhaupt eine wichtige Erkenntnis gibt, dann diese: Wer sich mit Aktien abgibt, muss spekulieren, sei es durch geschicktes Timing von einem Monat zum nächsten, sei es auf Sicht von mehreren Jahren – oder soll die Finger lieber ganz davonlassen.