Tichys Einblick

Israel: Neuwahlen nach Neuwahlen

Gerade erst gewählt, schon stehen wieder Neuwahlen im September an, nachdem es dem Ministerpräsidenten nicht gelungen ist eine neue Regierung zu bilden.

AFP/Getty Images

Seine Anhänger feierten ihn am 9. April nach einem fulminanten Wahlsieg als „König Bibi“. In der Nacht zum 30. Mai mußte Benjamin Netanyahu allerdings die Auflösung des Parlaments beantragen:

  1. Weil er keine Mehrheit zustande gebracht hat
  2. Weil er einem Regierungsauftrag für seinen Kontrahenten Benny Gantz durch den Staatspräsidenten zuvorkommen wollte.

Klingt alles sehr einfach, erklärt aber die Lage in der einzigen Demokratie des Nahen Osten mitnichten. Israel, notorisch knapp bei Kasse, muss jetzt über 100 Millionen Euro für Neuwahlen nach Neuwahlen aufwenden: rausgeschmissenes Geld, das wissen nicht nur „die Drei“.

Das Irrationale hat Namen: Benyamin Netanyahu, Avigdor Lieberman, Yacov Litzmann. Alle drei kennen sich vermutlich besser als ihre Ehefrauen, feiern und streiten seit Jahren mit- und gegeneinander und berufen sich bei der Durchsetzung ihrer politischen Ziele auf die absolute Gerechtigkeit, letzterer sogar auf den lieben (jüdischen) Gott. Wie kann es sein, fragen sich nicht nur Israeli, dass ein Land Satelliten zum Mond schießen, sich seit 71 Jahren gegen Millionen angriffslustige Araber verteidigen kann, zu den führenden high-tech-Zentren der Welt gehört und in der Politik low-Kompromissbereitschaft zeigt? Der Mensch und insbesondere der Multi-Kulti-Israeli besteht bekanntlich zu 75 Prozent aus Wasser und zu 25 Prozent aus Ego. Letzteres lebt er im israelischen Parlament, der „Knesseth“, extensiv aus.

Dort steht seit Jahrzehnten die Gerechtigkeit beim obligatorischen Wehrdienst auf der Tagesordnung, die Avigdor Liebermann, bis November 2018 Verteidigungsminister im Kabinett Netanyahu, in Gesetzesform gegossen hat. Damit, so meint er, könne der gordische Knoten für die orthodoxen Juden und das Land Israel im Sinne einer umfassenden Gerechtigkeit durchgeschlagen werden. Yacov Litzmann, überzeugter Schwarzhut- und Bartträger, ist da ganz anderer Meinung und lehnt den obligatorischen Wehrdienst für Orthodoxe ab. Ihre Waffe ist eher das Gebetbuch als die Uzi (israelische Maschinenpistole), obwohl eine Reihe orthodoxer Rabbiner in Eliteeinheiten der Israel Defence Forces (IDF) ihren Wehrdienst leisten.

Gerechtigkeit ist die eine Seite der Medaille. Auf der Kehrseite steht: die IDF benötigt eigentlich nicht mehr in Massen die blassen Buben aus den Religionsschulen, für die Fitness und Körperertüchtigung Fremdworte sind. (Die Mädchen sowieso nicht, weil sie mit 18 verheiratet werden, Kinder bekommen und dann freigestellt sind). Sie zitieren lieber Bibelverse und kümmern sich um „Mitzwoth“ (gute Taten), den gottgewollten Auftrag aller Juden. Außerdem hat der hochmoderne Neun-Millionen-OECD-Mitglieds-Staat inzwischen genügend kampfbereite junge Männer. Hinzu kommt, dass der tatsächliche Alltags-Krieg inzwischen mehr im Cyberspace des worldwideweb als auf grenznahen Schlachtfeldern stattfindet.

Also geht es mal wieder ums Prinzip und damit ums Ego. Liebermann verzeiht Netanyahu nie, dass er ihn im November sang- und klanglos gehen ließ. Der Wahlsieger zeigt wenig Emotionen, braucht aber den „Kosaken“ Liebermann (russisch-stämmiger Jude) und seine fünf Stimmen im Parlament für eine ordentliche 65-55-Mehrheit. Genau die verweigert ihm der Vorsitzende der „Israel-Unser-Haus“-Partei und sägt stattdessen unentwegt am Stuhl des Ministerpräsidenten, auf dem er selbst gerne Platz nehmen würde. Die Zwickmühlen-Lage des Pragmatikers wird vollendet durch Yacov Litzmann, der 16 gottesfürchtige Stimmen in die unvollendete Koalition einbringt. Diskussionen mit Orthodoxen um weltliche Dinge sind müßig, denn sie enden meist mit dem Hinweis auf die von Gott vor 3.000 Jahren gegebene Thora (jüdische Bibel). Politischer Spielraum in Grundsatzfragen ist dort kein erkennbares Wesenszeichen.

Samuel Beckett und die Sinnfreiheit des „Absurden Theaters“ hätten sich vermutlich längst in ihrer Theorie voll bestätigt in Jerusalem niedergelassen. Wer die Knesseth-Bühne die letzten tage live am Bildschirm beobachtet, muss Israel ob seiner augenscheinlichen Probleme zu den glücklichsten Ländern der Welt zählen. Genau das ist fern jeglicher Realität: rund um den Judenstaat lauern Millionen gewaltbereiter und -fähiger Araber, die nichts anderes im Sinn haben, als Israel zu vernichten. Dazu ist in der aktuellen Lage wenig zu hören.

Jetzt hat das Parlament mit 74 zu 45 Stimmen die Auflösung beschlossen und für den 17. September Neuwahlen beschlossen. Und jeder weiß: das „Hornberger Schießen“ war vergleichsweise eine hocheffiziente Veranstaltung. Denn der alte Sieger wird auch neuer Sieger sein, mangels einer Alternative und neue Koalitionäre sind nicht in Sicht.


Godel Rosenberg ist deutscher und israelischer Staatsbürger, war von 1978 -1988 Pressesprecher der CSU und Franz Josef Strauß. Er lebt seit 1999 als Unternehmer und Journalist mit Familie in Herzliya/Israel.

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