Tichys Einblick
Schweizerische Nationalbank (SNB)

Seid verschwunden, ihr Milliarden

Schweizerische Nationalbank: Wie versteckt man 150 Milliarden hinter 550 Millionen? Muss vom Kauf ihrer Aktien abgeraten werden? Sind ihre Aktionäre Spekulanten? Gute Fragen.

FABRICE COFFRINI/AFP/Getty Images

Die Aktionäre der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sollten «kein Club einer privilegierten Minderheit» sein, forderte Klaus J. Stöhlker an deren jüngster Generalversammlung. Als Redner gehört der Schweizer PR-Haudegen offensichtlich dazu, aber was will er uns damit sagen?

Dass die Schweizer Bevölkerung eigentlich noch reicher ist, als man eh schon wusste. Wie das? Zum Verständnis hilft ein kurzer Ausflug in die Geschichte. 1897 scheiterte der Versuch, eine reine Staatsbank zur Herausgeberin der einzig legalen Währung der Schweiz zu machen. In einem Referendum wurde das abgelehnt, es schloss sich ein zehnjähriges Ringen um die Art der Beteiligung des Volkes an. Das, wie anders, 1906 in einem Kompromiss endete. 1907 wurde eine Mischbank operativ, die gleichzeitig Staatsbank und Privatbank war und ist.

Es wurden 100.000 Aktien zu 250 Franken ausgegeben, für öffentlich rechtliche Eigentümer und für Private. Die SNB AG ist dabei eine «spezialgesetzliche Aktiengesellschaft». Damit wird geregelt, wer das Sagen hat und gleichzeitig wird die Dividende pro Aktie auf maximal 6 Prozent des Aktienwertes gedeckelt. Somit beträgt das Aktienkapital der SNB nominal 250 Millionen Franken; zu ihren grössten Aktionären gehören die Kantone Bern (6,6 Prozent), Zürich (5,2) und Theo Siegert aus Düsseldorf (5,2), alles per 31. 12. 2018.

Der Gründungsgesetzgeber wollte ausdrücklich eine Volksbeteiligung, was auch den direktdemokratischen Strukturen der Schweiz entspricht. Allerdings: Etwas mehr als 50.000 Aktien reichen natürlich hinten und vorne nicht, um aktuell rund 8 Millionen Schweizer an der SNB zu beteiligen. Das war auch so lange kein Thema, als die SNB die Notenbank eines armen, aber gesunden Völkchens von Hirten und Sennen war. Da gehörte es zum guten Ton einer «privilegierten Minderheit», mindestens eine SNB-Aktie zu halten. Und das Volk hatte ganz andere Probleme.

Das änderte sich, als nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers, nach der Finanzkrise von 2008, nach der Eurokrise und bis heute die SNB die Notenbank einer der stabilsten Währungen der Welt wurde. Einer so nachgefragten Währung, dass sie alleine im ersten Quartal dieses Jahres einen Gewinn von über 30 Milliarden Franken erwirtschaftete. Bei einer solchen Zahl können deutsche Finanzhäuser (und Schweizer) nur vor Neid zu sabbern beginnen. Die Deutsche Bundesbank hält rund 6 Milliarden Euro Eigenmittel vorrätig, auf schlappe 11 Milliarden Euro beläuft sich das Kapital der EZB.

Wem gehört denn nun dieser Gewinn der stinkreichen Schweizer Nationalbank? Ist in den ersten drei Monaten dieses Jahres jeder Schweizer um 3.750 Franken reicher geworden? Sollte es nicht so sein, dass die Aktionäre mit ihrem Engagement in der SNB ihre Verbundenheit mit der Notenbank zum Ausdruck bringen, wie das der Bankratspräsident bei der Generalversammlung der SNB von 2018 so schön ausdrückte?

Allerdings gibt es da ein offenkundiges Problem. 8 Millionen potenziellen Aktionären stehen nur rund 50.000 Aktien gegenüber, obwohl das Regelwerk der Schweizer Börse SIX die Chancengleichheit des Kapitalmarkts unter Schutz stellt. Und dann gibt es noch ein nettes Detail bei der Bewertung der SNB.

Ausweislich ihrer Bilanz verfügt die SNB über ein Eigenkapital von 150 Milliarden Franken. Dem steht ein Börsenwert von aktuell rund 550 Millionen Franken gegenüber. Wobei die Aktie alleine seit Anfang 2019 von 4.000 auf ein Zwischenhoch von 6.000 Franken stieg. Wie ist ein dermassen krasses Missverhältnis zwischen Börsenkapitalisierung und innerem Wert möglich?

Werfen wir dafür kurz einen Blick in den konsolidierten Finanzbericht des Kantons Zürich, einer der grössten Aktionäre der Nationalbank. Der «anteilige Kapitalwert» der 5.200 SNB-Aktien im Besitz des Kantons wird richtig mit 6,3 Milliarden Franken angegeben (das sind 5,2 Prozent des SNB-Eigenkapitals per 31. 12. 2018). Aber dann wird das wegbilanziert, obwohl Zürich nach dem Buchlegungsstandard Swiss GAAP FER bilanziert, wo als oberste Richtschnur ein den tatsächlichen Vermögensverhältnissen widerspiegelndes Buchungsbild gilt. Und am Schluss steht dann der Nominalwert von 5.200 mal 250 Franken in der Bilanz.

Warum ist dann die SNB mit diesem Eigenkapital an der Börse 300 mal weniger wert? Die naheliegende Antwort: Das ist der Preis, den ein Käufer zu zahlen bereit ist. Bedingt durch ein sehr eingeschränktes Mitbestimmungsrecht, eine gedeckelte Dividende, ein sehr kleines Handelsvolumen (kaum 200 gehandelte Aktien pro Tag). Und überhaupt: von einem Kauf wird in der gesamten Wirtschaftspresse abgeraten («risikoreiche Anlage», NZZamSonntag, «Finger weg von der SNB-Aktie», NZZ, «Spekulation: Die Nationalbank ist keine Bank», Handelszeitung, «Die SNB-Aktie ist ein gefährliches Kuriosum», Finanz & Wirtschaft), um nur einige Schlagzeilen zu nennen. Selbst die Gratis-Postille «20 Minuten» warnt ihre Leser: «Die SNB-Aktie ist jetzt ein Papier für Zocker».

Also ist es wirklich so, dass die SNB-Aktie nicht fürs Volk geeignet ist, nur von Zockern für spekulative Zwecke gehandelt wird? Schliesslich sollte doch der Preisregulierungsmechanismus (Wert/Bewertung + geringe Stückzahl) auch hier spielen.

Tut er aber nicht, nicht zuletzt, weil medial den Lesern der Ankauf der Aktien ausgeredet wird. Mit dem Argument, dass es halt nur 50.000 Stück gebe, also viel zu wenig für alle. Aber: Das Schweizer Volk muss sich als gewollter Investor bei der SNB nicht als Spekulant verunglimpfen lassen. Die Schweiz hat sich vom armen Auswanderungsland zu einem reichen, modernen Staat entwickelt. Das spiegelt sich im Eigenkapital der Notenbank wider. Da der hohe Nominalwert von 250 Franken ihrer Aktie nach Aktiengesetz bis auf 0,01 Franken gesplittet werden könnte, wäre so eine Volksbeteiligung problemlos möglich.

Sollen dadurch die Schweizer endgültig dazu motiviert werden, ein Volk von Spekulanten zu werden? Gemach, für Privataktionäre wurde die SNB nicht gegründet. Die meisten Medien erwecken aber den falschen Eindruck, dass sich der Börsenwert nach den Interessen der Privataktionäre, diesen Spekulanten, abstelle, und daher sei es gut, dass er so niedrig ist. Es soll hier keineswegs der Gewinnausschüttung oder Umverteilung des Eigenkapitals das Wort geredet werden. Das wäre auch gar nicht möglich. Aber ein Meinungskartell instrumentalisiert den für die SNB vollkommen unbedeutenden Privataktionär zur künstlichen Niedrigbewertung des öffentlichen Vermögens. Und das müsste die Öffentlichkeit hingegen sehr interessieren.

Denn wie kann es sein, dass ständig die Rede ist von der gewaltig aufgeblähten Bilanz der SNB, den Risiken ihrer Anlagen in fremden Währungen? Von ihren Interventionen am Devisenmarkt, von ihrer Negativzinspolitik? Aber niemals davon, dass sie nach dem Willen ihrer Gründer zur Hälfte dem Schweizer Volk gehören sollte? Und niemals davon, dass man mit ihrem Eigenkapital viel Gescheiteres anstellen könnte, als es wegzubilanzieren. Denn es handelt sich um Volksvermögen, was nicht bedeutet, es zur Hälfte auf das Volk zu verteilen. Aber es in den Dienst der Schweizer Bevölkerung zu stellen.

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