Tichys Einblick
Einseitiger geht's kaum

ZDF: „EU-Dialog: Wie geht’s, Europa?“

Es mag Journalisten geben, die, was das ZDF da gestern Abend an Tamtam zur EU-Wahl abgeliefert hat, dankbar annehmen: Ehrlich, man weiß nicht mehr, wie man beschreiben soll, was man gerade gesehen hat und vor allem, wie man dabei noch die Contenance und Netiquette wahren soll.

Screenprint: ZDF/Wie geht's, Europa?

Tatsächlich müssen wir auch hier, wie schon bei der Anne-Will-Besprechung, mit Jörg Meuthen, mit dem Spitzenkandidaten der AfD zur Europawahl, beginnen. Der nämlich hatte noch am Sonntagabend bei Will die Öffentlich-Rechtlichen als „Faul bis ins Mark“ bezeichnet. Aber er hätte sich selbst wohl kaum träumen lassen, dass der Faktencheck dieser Aussage zwei Tage später von den Öffentlich-Rechtlichen höchst selbst abgeliefert wird.

Dann nämlich, als es darum ging, dass sich diese großen Koalition aus Moderation, speziellen Studiozuschauern und den eingeladenen Vertretern der etablierten Parteien, darin zu übertreffen suchten, Meuthen aus der Fassung zu bringen, ihn zu beleidigen („Rassist“), nicht zu Wort kommen zu lassen oder jede einzelne seiner Positionen zu diskreditieren, zu unterbrechen oder zu diffamieren.

Bettina Schausten zur Seite gestellt bei ihrem „EU-Dialog: Wie geht’s, Europa?“ wurde ein kaum minder überforderter Jochen Breyer. Diesen Moderator mit seiner ganz speziellen Umgehensweise im Gespräch mit Menschen hatten wir uns 2017 schon einmal genauer angeschaut und damals befunden: „Ein dickes Fell? Könnte man bekommen, man kann sich aber auch etwas angewidert wegdrehen, wenn die Öffentlich-Rechtlichen ihre Wahlkampfhilfe für die Regierungsparteien so unverblümt präsentieren, wie dieser aufgeweckte Dandy-Moderator Jochen Breyer.“

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Breyer hat nun erneut eine Art Facebook-Präkariats-TV abgeliefert, als er Bürger im Lande per soziale Medien aufforderte, ihre Meinung zu sagen, um sie dann je nach politischer Überzeugung zu streicheln oder kalt ins Messer laufen zu lassen. Damals pöbelte Breyer im TV über eine korpulente regierungskritische Dame, die ihn zu sich nach Hause eingeladen hatte, sie sei eine Dame, „die zusammen mit ihrer Tochter sehr viel Sahnetorte und sehr viel Facebook konsumiert.“ Eben jenes Facebook über das er nun fast zwei Jahre später wiederum die Menschen bittet, mit ihm in Kontakt zu kommen. Wie bigott ist das eigentlich?

Auch 2019 werden also vorab ein paar Hausbesuche gefilmt und dann steht schon die große politische Runde vor Bettina Schausten und vor einem Publikum, das speziell in Stoßrichtung Meuthen ausgewählt wurde, das nicht nur johlend und Buh-rufend agierte, sondern das zudem noch von Kameras auf eine Weise eingefangen wurde, die keine Fragen mehr offen ließ, wer der böse Mann ist und was der AfD-Spitzenkandidat für die EU da gerade Böses von sich gegeben hatte.

Bevor wir ins Detail gehen, noch etwas zu den weiteren politischen Vertretern in der Sendung: Selten noch wurde deutlich, wie duldsam diese Politprofis plötzlich sein können, wenn sie miterleben, wie der politische Gegner mit unsauberen Mitteln diffamiert wird. Und das betrifft sowohl die FDP-Kandidatin Nicola Beer, Manfred Weber (Union), Katarina Barley (SPD), Sven Giegold (Grünen) und Özlem Demirel (Die Linke).

Letztere wird zum Schluss jeden Rest von Anstand fallen lassen, wenn sie Meuthen und seine Partei „neoliberal, rassistisch und käuflich“ nennt, was dann zum Schluss der Sendung dem AfD-Politiker doch noch die Zornesröte ins Gesicht treibt, wenn er erwidert: „Haben Sie einen an der Waffel, uns rassistisch zu nennen?“ und ihr weiter attestiert: „Sie sind doch nicht ganz bei Verstand.“

Nicola Beer fand übrigens, was Demirel da pöbelte, hübsch genug, ihr Dauerlächeln noch breiter zu ziehen. Die Kamera hat es eingefangen, der Zuschauer musste es nur noch selbst einordnen: Schadenfreude ist auch unter Politikern ein guter Zug, und menschlich mehr als nachvollziehbar. Vor allen Dingen, wenn es um die Konkurrenz geht, neben der man im Studio hingestellt wird – auch eine Methode des ZDF, die Welt in Böse, nicht-ganz-so-böse und Gute zu sortieren. Da lächelt man eben gerne die Distanz herbei.

Sondersendung zur EU-Wahl: „Gipfeltreffen Europa“ als Groteske der ARD
Was Schausten und Breyer allerdings nicht schneiden oder sonstwie ungeschehen machen konnten, war, dass die jetzt aus dem Publikum heraus fragenden Protagonisten aus dem Breyer-Film mehr als einmal auf spätere Nachfrage erklärten, dass ihnen die Antworten der Politiker nicht geholfen hätten, dass diese also alles andere als befriedigend waren.

Erstaunlich übrigens auch, für wie debil die Sendung ihre eigenen Zuschauer hält, wenn, was zuvor bei den Hausbesuchen von Breyer schon im Block gezeigt wurde, erneut als Stückwerk abgespielt wird, fast so, als hätte der Zuschauer gerade erst zugeschaltet oder wäre eben so vergesslich, dass er dieser Erinnerungsfetzen bräuchte.

Nehmen wir uns zwei Szenen heraus, die auf besondere Weise dokumentieren, was hier so schief lief oder schlimmer: Was genau so inszeniert und also gewünscht war:

Zum Sendeformat gehörten zweiminütige Streitgespräche für die jeweils zwei der Politiker ausgewählt wurden, gegeneinander im Duell anzutreten. Mit Beer und Demirel zeigten die Etablierten allerdings zunächst – soweit ihre Positionen auch auseinander liegen mögen –  dass sie gar nicht wirklich gewillt sind, zu streiten. Dafür ist die Wahl schon zu nah und das Risiko also zu groß. Warum also miteinander kämpfen, wenn der Feind in Meuthen und seiner AfD längst ausgemacht ist und wenn Moderation und selektierte Publikum ihr Übriges tun, dieses Feindbild auszumalen?

Unfreiwillige Erkenntnis
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Einmal stehen sich Meuthen und der grüne Giegold in so einem Duell von zwei Minuten gegenüber. Sven Giegold denkt aber gar nicht daran, sich inhaltlich auseinander zu setzen, nutzt nicht einmal die Hälfte seiner schon knappen Redezeit für so Floskeln wie diese: „Es wird wirklich Zeit, dass wir ins Handeln kommen. Die eigentliche Frage ist das Handeln, das haben die Schüler gesagt.“

Dann ist Meuthen dran, der meint, den jungen Leuten würde niemand die Zukunft klauen und dafür sofort ein großes Buh-Orchester aus dem jungen Publikum erntet, angeführt von besagtem Giegold.

„Lesen Sie. Bedienen Sie sich ihres Verstandes.“, so Meuthen weiter. „Lesen sie sorgsam. Dann werden Sie sehen, wir brauchen ökologischen Realismus statt Klimahysterie. Man erzählt Ihnen, wenn wir hier nicht binnen zehn bis zwölf Jahren aus der Kohle aussteigen, dann hätten sie keine Zukunft, das ist Narretei, das ist falsch, Was wir brauchen, ist ein sinnvoller Energiemix.“

Auch hier versucht Bettina Schausten zu intervenieren, wo sie doch zuvor verkündet hatte, in diesen Duellen seien die Protagonisten ganz bei sich. Anstatt nun anschließend die verbleibenden Sekunden dazu zu nutzen, sich über das Gesagte auszutauschen, also in den Dialog zu gehen, zieht der Grüne irgendeine Fotokopie zu einem ganz anderen Thema aus der Tasche und will so die Gelegenheit nutzen, den Gegenüber zu diskreditieren: „Sie haben bei den Parteispenden Dreck am Stecken!“, dann wedelt er mit seiner Kopie und Schausten zeigt einmal mehr, wo ihre Sympathien liegen, wo sie keine haben sollte. Furchtbar.

„Haltung zeigen“
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Hier muss man jetzt den großen Bogen spannen dürfen und benennen, wer für diese Unkultur verantwortlich ist, wenn wir seit Jahren diese Augsteins und Stegners erleben, die in Talkshows wie entfesselt agieren durften, wenn nur die Stoßrichtung stimmt und die dafür nicht etwa öffentlich gerügt, sondern sogar explizit eingeladen werden. Ironie der Geschichte, dass dieser Affentanz der etablierten Politik nicht einmal genügte, wenn dann auch noch Kritik eben an diesen Talkshows laut wurde.

„Das Schöne an unserem Format ist, dass die Bürger direkt auf die Politiker treffen“, so die stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten und Moderator Jochen Breyer. Nun sind das weniger die Bürger, sondern diese gescannten und gesiebten Protagonisten aus den Breyer- Kaffeekränzchen.

Aber kommen wir zum nächsten exemplarischen Beispiel von Wahlkampfhilfe der Öffentlich-rechtlichen für die AfD, wenn besagter Breyer einen vermeintlichen Heiligen eingeladen hat, einen jungen Mann, der wohl eine Woche lang einmal auf dem NGO-Schiff Lifeline im Mittelmeer mitgefahren ist und Menschen aus Seenot gerettet hat.

„Danke für den bewegenden Appell“, so Breyer nach dessen Vortrag. Und ausgerechnet in diesen religiösen Moment hinein wagt es dann Meuthen, diese Seenotrettungen zu kritisieren, wo sich Kandidat Weber windet wie ein Aal, aber eigentlich das selbe sagt („Als es keinen Partner in Libyen gab, hatten wir die höchsten Todeszahlen“) und es die weiteren Gäste schlicht vorziehen, dem Lifeliner das Wort zu reden oder besser gar nichts zu sagen und so freiwillig die Zwangsjacke der Gutmeinenden überzustreifen.

Dämpfer für die europäische Rechte?
Bei Anne Will: Gründlich misslungen
Meuthen weiter: „Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir dieses Sterben, dieses Ertrinken im Mittelmeer beenden. Die eine ist, wir lassen die Menschen alle rein, wir machen die Grenzen auf. In diesem Moment muss keiner mehr diese lebensgefährliche Reise antreten, weil er ganz normal auf dem Landweg reinkommen kann. Für den Fall aber wird Europa unwiderruflich sein Gesicht verlieren, weil dann nicht hunderttausende, sondern Millionen Menschen kommen und wir unser Euroopa binnen zehn Jahren nicht wieder erkennen werden. Die andere Möglichkeit ist (…) den Menschen muss klar werden – die migrationswillig sind – sie kommen auf diesem Weg nicht durch. Wir lassen sie so nicht rein. Das heißt, wir fischen sie aus dem Wasser und bringen sie immer wieder an die Gestade zurück, ich weiß, was da los ist, ich weiß, dass das schwierig ist, dennoch bringen wir sie zurück, dann werden sie nicht mehr aufbrechen.“

Der junge Mann von der Lifeline erinnert Meuthen daran, dass es illegal ist, Menschen in ein Bürgerkriegsgebiet zurück zu bringen, Meuthen schlägt deshalb Tunesien vor, was wiederum für große Empörung sorgt.

Die sofort einsetzende Versteinerung von Weber über Barley bis Beer ist symptomatisch. Hier regiert der völlige Unwille, sich jenseits der einstudierten Worthülsen auch unpopulärer Themen anzunehmen, weil man sich daran die Finger verbrennen könnte. So sorgen alle gemeinsam eben dafür, diese Diskussion der AfD zu überlassen. Die besondere Ironie hier, dass die Etablierten anschließend sagen, dass man solche Themen „nicht den Rechten überlassen dürfe“.

So gesehen ist es dann nicht nur das Versagen von Schausten und Breyer als Moderatoren, das so übel aufstößt; es ist dieses Zusammenspiel auf allen Ebenen, das den einzelnen Protagonisten vor allem eines sichert: Seine persönlichen Pfründe. Das allerdings war zu allen Zeiten vor allem eines: besonders abstoßend.

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