Der SPIEGEL schwingt in dieser Woche die große Keule und stürzt sich auf die AfD. Das Titelbild stellt Frauke Petry gleich mit Hitler, und Gauland ist der Stellvertreter – vor der Kulisse des Reichsparteitags. Und dazu das große, alles erschlagende Wort „Hassprediger“. Das ist geschichtsvergessen. Das ist kein Journalismus. Das ist Propaganda.
Im Schützengraben
Was dann unter der Überschrift „Im Schützengraben“ folgt, ist ein braver Routinebeitrag über Innenleben und Außendarstellung der AfD. Die angekündigten Interna beschränken sich auf wenige kurze Passagen, ansonsten geht es neben gar nicht so neuen Fakten um Vermutungen, Suggestion, Szenarien. Besonders auffällig ist, dass der Beitrag komplett ohne Statements vorzeigbarer Gesprächspartner aus und zu dieser Partei oder deren Führungspersonal auskommt.
Politiker, die fordern, als Ultima Ratio auf Flüchtlinge zu schießen, muss man kritisch durchleuchten – ihre Anhänger, ihr Umfeld, ihre Werte, ihr Handeln, ihre Partei. Aber das Schlagzeilen-Hau-drauf des SPIEGEL ist im selben Maß eine journalistische Bankrotterklärung, wie die Weigerung von Politikern der SPD und der Grünen ist, mit der AfD in Fernsehsendungen zu diskutieren eine politische Bankrotterklärung ist. Die Absicht ist zu durchsichtig: Hier soll eine Partei, die der Spiegel nicht mag, madig gemacht werden. Das ist sein gutes Recht, wenn auch Kampagnen-Journalismus von der billigen Sorte. Vor allen Dingen: Er wirkt nicht. Längst ist der Punkt überschritten, bis zu dem der SPIEGEL hier noch Wirkung gezeitigt hätte. Denn die AfD lebt nicht von der Fürsprache, sie lebt vom Protest, von der Gegnerschaft. Und derartig überzogene Stücke und Propagandamachwerke bestätigen nur die, die auf dem AfD-Trip sind und treiben ihre neue Anhänger zu, die sich vom SPIEGEL noch mehr abgestoßen fühlen als von manchen Sprüchen der AfD. Dumm gelaufen, aber wenn die Wut überkocht, bleibt der Verstand stehen.
Sehr informativ ist das Gespräch „Ein Gegenfanal setzen“ der SPIEGEL-Redakteure Dietmar Hipp, Frank Hornig und Fidelius Schmid mit dem erfreulich unaufgeregten Generalbundesanwalt Peter Frank.
„Unendlich müde“ betitelt Britta Stuff ihr liebevolles Portrait über CDU-Rebell und Quotenstar Wolfgang Bosbach.
Das lange Zeit märchenhafte Leben des Thomas Middelhoff endet offenbar wie im Grimm-Märchen vom Fischer un syner Fru. Wie Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch und Jörg Schmitt in dem Beitrag „Arm dran“ beschreiben, genügte ihm ein Vergleich mit seinen Gläubigern auf für seine Begriffe niedrigem, für „Normalos“ immer noch märchenhaftem Niveau nicht. Er ließ sich lieber weiter von seinen Anwälten ausnehmen, um am Ende mit nichts dazustehen.
Sehr anregend ist das Gespräch von Uwe Buse mit den Forschern Howard Gardner und Katie Davis über die alltagsbeherrschenden Apps und den Sinn des Lebens. Also dann: Heute wird nicht mehr geappt. Jedenfalls, sobald diese Geschichte auf App ist.
Die Briten würden sich bei einem Brexit selbst am meisten schaden und bleiben wohl in der EU. Das Fazit legt der mit Fakten gespickte Beitrag „Ein Herz für Europa“ von Peter Müller und Christoph Pauly nahe.
Auf zwei Seiten trommelt Henning Kagermann, Leiter der Nationalen Plattform Elektromobilität, für die staatliche Subventionierung des Kaufs von Elektroautos und stellte sich dazu den naiven Fragen von Spiegel-Redakteur Gerald Traufetter. „Nie mehr zur Tankstelle“. Finanziert werden soll das alles nach Vorstellung des Ex-SAP-Chefs über eine Sonderabgabe auf Benzin und Diesel. Also noch höhere Steuern für Otto Normalverbraucher und sein Gold für fragwürdige Industriepolitik? Für so platte Vorschläge braucht man keine hochdotierten Lobbyisten. Wenn überhaupt Subventionen, dann sollten Topmanager wie Kagermann neue Modelle entwickeln, bei denen der Staat an den dann zu erwartenden Konzerngewinnen partizipiert. Zudem ist die grundsätzliche Frage zu stellen, ob man mit der Elektromobilität auf das richtige Pferd gesetzt hat. Die technische Fragwürdigkeit ist ja riesig und auf Jahrzehnte nicht überwindbar. Ist nicht hier die Politik schon ein Opfer der Lobbyarbeit geworden? Und zwar freiwillig? Auch hier, wie schon bei der AfD-Story, vermisst man die früher kritische SPIEGEL-Position. Er liest sich hier eher wie ein Werbeblatt des Wirtschaftsministers, der ja unbedingt das will, was Kagermann fordert und der dafür sanft befragt wird. Kritischer Journalismus geht anders.
Florian Homm darf für sein neues Buch „Endspiel“ werben. SPIEGEL-Redakteur Martin Hesse nimmt das seichte Geschwätz in „Der Antichrist klagt an“ ohne größeren Widerspruch und ohne jeglichen Tiefgang hin. Der ehemalige Hedgefonds-Manager, der sich heute angeblich mit einer Invalidenrente über Wasser hält, prognostiziert zur Verwunderung des Lesers den Zusammenbruch des westlichen Kapitalismus, weil bei den in den vergangenen Jahrzehnten aufgebauten Überkapazitäten die Profitraten fallen würden. Das klingt irgendwie vertraut. Ähnliches schrieb Karl Marx schon in seinem „Kapital“, also vor fast 130 Jahren.
Ach, es wiederholt sich beim SPIEGEL – eine durchsichtige Machart, die vergangene Spiegeljahrzehnte in einem neuen, hellen Licht erscheinen läßt.
Zum Schluss: Eine völlig neue Welt erschließt Johann Grolle in „Schubser vom Rätselstoff“ über eine sagenhafte Dunkle Materie, die möglicherweise im Universum Verwirrung stiftet. Künftig müssen wir wohl Star Wars, wo die Guten gegen die dunkle Seite der Macht kämpfen, mit ganz anderen Augen sehen.
Das Fazit für diese Woche: Billig. Der SPIEGEL, das einst selbsternannte Sturmgeschütz der Demokratie, liegt da, wo der die AfD vermutet: Im Schützengraben. Er verteidigt sich, aber kommt nicht von der Stelle. Er ballert, schießt auf alles, was er rechts vermutet, und das mit schwerem Geschütz. Das macht Lärm, aber keinen Sieg. Die Stagnation als Redaktionsprogramm.