Tichys Einblick
Avaaz

Panik als Geschäftsmodell

Europa fällt an die Rechten, das Klima kollabiert, die Bienen sterben: Mit apokalyptischen Massenmails und Falschbehauptungen sammelt die linke US-Plattform Avaaz große Summen ein. In Deutschland zählt sie eine Million Anhänger.

Bild: via Publico

Am 14. Mai 2019 verschickte die in New York ansässige Organisation Avaaz eine Massenmail an ihren Verteiler, der allein in Deutschland zehntausende Adressen enthält. Der Betreff lautet: „Notfall“.

In dem Schreiben heißt es:

„Liebe Freundinnen und Freunde, 

das ist ein Notfall: Die extremen Rechten könnten die Europawahl GEWINNEN!

 Sie werden globale Klimaabkommen in Stücke reißen, Migranten und Flüchtlinge ‚abschieben’ und unsere Umwelt zerstören. Wenn sie erst einmal freie Bahn haben, werden sie alles, wofür wir stehen, zertrümmern!

 Doch wir können den Rechtsruck aufhalten. Falls sie gewinnen, wird es nicht daran liegen, dass viele Menschen sie unterstützen, sondern weil so viele von uns nicht zur Europawahl gehen. Schon eine kleine Steigerung der Wahlbeteiligung kann den Wahlausgang komplett verändern. Und unsere Bewegung — mit Mitgliedern in allen EU-Mitgliedstaaten — kann genau das schaffen!

 Wenn wir mit dieser E-Mail genug Spenden einnehmen, wird Avaaz eine RIESIGE Kampagne starten, die Menschen in mehreren EU-Ländern davon überzeugt, wählen zu gehen. Wir können Millionen WählerInnen mit Videos, Anzeigen, Aktionen und Demos erreichen und eine simple Botschaft vermitteln: Geht zur Wahl – stoppt den Hass!

 Ein Avaaz-Team steht bereits in den Startlöchern und könnte für den Preis einer Tasse Kaffee 1.000 WählerInnen mit unseren Anzeigen erreichen! Doch wir können nur gewinnen, wenn wir schnell handeln: Die EU-Wahl ist in weniger als zwei Wochen! Spenden Sie jetzt, um Europa vor einer rechten Übernahme zu schützen.“

Es folgen Bezahl-Buttons für Überweisungen an Avaaz mit vorgegebenen Beträgen von 5 bis 100 Euro, oder einer höheren frei wählbaren Summe.

Kurz vorher hatte Avaaz in einer Rundmail und in einem ähnlichen Dringlichkeitston dazu aufgerufen, „verdächtige“ WhatsApp-Nachrichten an ihre Organisation zu melden, weil angeblich rechte Kräfte planen, die Europawahl mit Falschnachrichten zu manipulieren.

PDF: Fwd_ Mitmachen_ WhatsApp beobachten

„Wenn Sie eine Nachricht sehen oder gesehen haben, die seltsam oder rassistisch ist, die zu Gewalt aufruft oder wahrscheinlich falsch ist“, sollte sie, so heißt es dort, umgehend an Avaaz weitergeleitet werden, damit die Organisation Druck auf die Nachrichten-Plattform ausüben könne. Auffällig ist, wie großzügig die Organisation definiert, was zu melden ist: „seltsam oder rassistisch“, „wahrscheinlich falsch“.

In diese selbstgeschneiderte Kategorie fällt jedenfalls der Avaaz-Geldsammel-Aufruf, um Europa zum Kaffeepreis vor einer „rechten Übernahme“ zu bewahren, die angeblich mit der Europawahl bevorsteht. Denn erstens gibt es bis jetzt keine einzige Umfrage zur Europawahl, die davon ausgeht, dass die verschiedenen Rechts-Blöcke auch nur annähernd eine Mehrheit im Europaparlament erreichen könnten. Sie erreichen ungefähr ein Drittel der Sitze. Und selbst wenn sie nach dem 26. Mai unwahrscheinlicherweise die stärkste Koalition bilden würden, wären sie nicht in der Lage, „globale Klimaabkommen in Stücke zu reißen“, Migranten abzuschieben (übrigens: Abschiebung ist normaler Rechtsvollzug auf Staatenebene), die Umwelt zu zerstören und alles Mögliche zu zertrümmern – einfach deshalb, weil das EU-Parlament ein weitgehend machtloses Gebilde darstellt. Es wählt keinen Regierungschef – in diesem Fall also: den Kommissionspräsidenten. Den bestimmen die EU-Mitgliedstaaten. Noch besitzt es ein Recht, selbst Gesetzesinitiativen einzubringen. Die Regierung, also die Kommission, ist dem Parlament nicht rechenschaftspflichtig. Es schließt auch keine Klimaabkommen, demzufolge kann es auch keine „zerreißen“. Nach allgemeinpolitischen Maßstäben handelt es sich bei dem Brüsseler beziehungsweise Straßburger Gremium um ein Debattierforum, aber nicht um ein Parlament. Deshalb liegt die Wahlbeteiligung auf europäischer Ebene meist auch niedriger als auf nationaler Ebene: Anders als dort kann der Stimmbürger keine echte Richtungsentscheidung treffen.

Auch das Argument, wenn durch die Avaaz-Kampagne die Wahlbeteiligung steigen würde, hätten „Rechte“ schlechtere Karten, ist unsinnig. In Deutschland etwa stieg die Wahlbeteiligung gerade seit dem Antritt der AfD wieder deutlich an, und zwar von ihrem historischen Tiefpunkt 2009 (70,8 Prozent) auf 71,5 Prozent 2013 und 76,2 Prozent 2017. In Ungarn erhöhte sich die Wahlbeteiligung parallel zum Aufstieg der Fidesz-Partei von Viktor Orbán von 61,7 Prozent im Jahr 2014 auf 70,14 Prozent 2018. Es spricht also alles dafür, dass gerade die Parteien, die Avaaz als „Rechte“ sieht, die Wahlbeteiligung nach oben ziehen.

Nicht nur die Behauptungen von Avaaz in der alarmistischen Massen-Mail sind absurd, bizarr wirkt auch das Versprechen der Organisation, eine Demokratierettungskampagne aus dem Boden zu stampfen, „wenn wir mit dieser E-Mail genug Geld einnehmen“. Das Rundschreiben ging 12 Tage vor der Wahl an die Empfänger. Wenn man für den Spendenfluss noch zwei Tage abzieht, da nicht jeder Zahlungswillige sofort nach Maileingang den Bezahlbutton anklicken dürfte, dann stünden für die europaweite Anzeigenaktion der US-Organisation inklusive Wahltag noch zehn Tage zur Verfügung. Wo sollen diese Last-Minute-Anzeigen, die offenbar noch nicht einmal entworfen sind, dann eigentlich platziert werden? Darüber findet sich in der Avaaz-Botschaft kein Hinweis.

Und was passiert eigentlich mit den zusammengetrommelten Spenden? Wer genau liest, dem fällt die Klausel auf, nach der die „riesige Kampagne“ nur dann zustande kommen soll, wenn „genug Geld“ eintrifft – ohne dass eine konkrete Höhe genannt wird. Die Organisation könnte sich also immer darauf zurückziehen, dass es leider nicht ganz gereicht hat.

Ansprache per Massenmails, Alarmismus, Angstmacherei vor Europas „Rechten“ (beziehungsweise in ähnlichen Avaaz-Spendenaufrufen vor dem Klimakollaps, Trump, vor dem Bienensterben), alternative Fakten, verbunden mit einem sehr professionellen Einwerben von Geld – durch dieses Geschäftsmodell stieg die 2007 gegründete Organisation in wenigen Jahren zu einer international einflussreichen politischen Plattform auf, die mittlerweile über 20 Millionen Dollar pro Jahr umsetzt. Was die Frage umso interessanter macht: Wer steckt dahinter?

Der kanadisch-britische Politikwissenschaftler Ricken Patel führt seit der Gründung von Avaaz im Jahr 2007 die Plattform, deren Name auf persisch so viel wie Stimme oder Lied heißt. Zwei Organisationen standen allerdings als entscheidende Gründungspaten zur Verfügung: die Organisation Res Publica, und MoveOn.org, eine linke Kampagnen- und Spendensammel-Plattform der US-Demokraten, eines der vielen so genannten Political Action Comitees (PAC), die in den Vereinigten Staaten jeweils Politiker ihrer Wahl unterstützen. MoveOn.org wiederum bekam laut Washington Post* größere Spenden von wohlhabenden Unterstützern des linken politischen Spektrums, darunter auch von Georg Soros und dessen Frau Susan Weber Soros.

Darüber, wie hoch die Zuwendungen für Avaaz in der Gründungsphase ausfielen, und von wem genau sie flossen, gibt die Organisation keine Auskunft. Sie teilt nur mit, dass sie sich seit 2009 ausschließlich aus Einzelspenden bis maximal 5.000 Dollar finanziert.

Das erscheint auch glaubwürdig. Finanziers wie Soros braucht die Plattform nicht mehr. Nach eigenen Angaben verfügt Avaaz über ein weltweites Mitgliedernetz von 51 Millionen Menschen mit Schwerpunkten in Nordamerika, Europa und Brasilien. Allein in Deutschland, so Avaaz, gebe es eine Million Mitglieder. Allerdings fasst die Organisation den Begriff „Mitglied“ sehr, sehr weit: Sie zählt jeden darunter, der einmal eine von Avaaz kreierte Online-Petition geklickt hatte oder auf irgendeine andere Weise in ihren Verteiler geraten ist. Die Plattform definiert sich als „Non-Profit-Organisation“; eine direkte Unternehmenszentrale existiert nach eigenen Angaben nicht, sondern nur ein „virtual office“. Die Avaaz-Stiftung sitzt in Manhattan, Union Square 27. Laut US-Steuerbefreiungsantrag von 2017, der so genannten Form 990**, gab Avaaz an, 2016 insgesamt 18,007 Millionen und 2017 20,269 Millionen Dollar eingenommen zu haben. Davon zahlte die Organisation 2017 insgesamt 4,9 Millionen Dollar an Gehältern für seine Mitarbeiter aus, derzeit nach eigenen Angaben 69.

Ricken Patel bezog als CEO von Avaaz demnach 244.014 Dollar. Erstaunlich für eine Organisation, die nach eigenem Bekunden mit den hereinkommenden Spendengeldern ständig neue Kampagnen organisiert, mutet der hohe Bargeldbestand an. Der belief sich Anfang 2017 auf 8,49 und Ende 2017 auf 10,85 Millionen Dollar. Das verwundert auch deshalb, weil Avaaz 2016 nach eigenen Angaben eine Großkampagne organisiert hatte, um die Wahl von Donald Trump zu verhindern („Defeat Trump“). Offenbar blieb trotzdem jede Menge Geld übrig.

Dass Avaaz, siehe oben, mit irreführenden Behauptungen für Geldüberweisungen trommelt, überrascht keinen besonders, der etwas tiefer in die Geschichte der Plattform eindringt. Im Jahr 2012 nahm Avaaz für sich in Anspruch, die Befreiung und Ausschleusung des in Syrien festgehaltenen britischen Journalisten Paul Conroy organisiert zu haben, der aus dem Land heraus über den Krieg berichtet hatte. CNN, BBC, Guardian und Times berichteten über den vermeintlichen Erfolg, und ließen Patel ausführlich zu Wort kommen. Bis das Magazin „The New Republic“ bei Conroy nachfragte, welche Rolle Avaaz tatsächlich bei seiner Rettung spielte. Die Avaaz-Geschichte, so Conroy, könne er „in einem Wort zusammenfassen: Schwachsinn“. Er habe zum ersten Mal von der Organisation gehört, als er sah, wie Patel im Fernsehen aufgetreten sei und das Verdienst für sich reklamiert habe. („A week after his escape, I called Conroy, who was recovering in a London hospital, to ask him about Avaaz’s role. “I can sum it up in one word,’ he said. “Bollocks.” Conroy had never heard of Avaaz, he told me, until he “saw them on television, saying how [they] helped me get out.”) In Wirklichkeit sei er von Mitgliedern der Free Syrian Army aus dem Land gebracht worden.

Avaaz-Chef-Patel, damit konfrontiert, erklärte damals windungsreich, seine Pressemitteilung zu diesem Fall sei wohl ein wenig „hastig“ zusammengeschrieben worden.

Die an der Universität in Porto forschende Soziologin Lanka Horstink gehört zu den wenigen, die sich näher mit dem Geschäftsmodell von Avaaz befassten. In dem Journal „Global Society“ veröffentlichte sie 2017 die Untersuchung „Online Participation and New Global Democracy: Avaaz, A Case Study“. Darin kommt sie zu einem vernichtenden Urteil: Obwohl sich die Organisation rühme, zu 100 Prozent von „Mitgliedern“ finanziert zu sein, und ihnen einrede, sie seien die wahren Chefs von Avaaz, gebe es bestenfalls sehr vage Nachweise über die Verwendung der eingesammelten Gelder. Für eine Kampagne gegen das Chemieunternehmen Monsanto etwa, so Horstink, habe Avaaz 250 000 Dollar eingesammelt, ohne einen Aktionsplan vorzulegen, aus dem hervorgegangen sei, was mit der Viertelmillion geschehen solle. Den versprochenen Aufbau einer „globalen Meinungsforschung“ – ein anderes Avaaz-Projekt, für das 300 000 Dollar zusammengekommen seien, stellt Horstink fest, sei offenbar nie Realität geworden:

„Considering that Avaaz receives considerable donations from its subscribers, and not only claims it is 100% member-funded but also calls its members its ‚bosses’, it follows that as stakeholders in an organisation, members should been titled to know how the money is spent. Instead there are no follow-ups on specific, generally urgent donation requests made by Avaaz and that involve considerable sums of money: rough estimates from the respective petition pages show Avaaz collected approximately €250,000 to “break Monsanto’s grip on our politics and our food” (no action plan was offered). They also may have collected as much as €300,000 to help create a “global opinion poll in dozens of countries that clearly shows this is not a fringe movement”. There is no evidence whatsoever that the afore-mentioned projects ever saw the light of day.“

In dem erwähnten Avaaz-Aufruf vor der Europawahl, „verdächtige“ WhatsApp-Nachrichten zu melden, heißt es, die Plattform stelle zur Analyse dieser Nachrichten ein Team von „über 60 Analysten, Forscherinnen, Journalisten und Aktivistinnen zusammen, um Desinformation und Hassbotschaften in sozialen Netzwerken aufzuspüren und zu bekämpfen“. Wo die Teammitarbeiter sitzen, wer genau zu ihnen gehört – darüber finden sich keine Informationen. (Publico hat Avaaz um Auskunft gebeten, und reicht die Antwort gegebenenfalls gern nach).

Im englischsprachigen Raum gibt es mittlerweile auch Kritik von links an Avaaz. Der amerikanische Aktivist und Autor Micah White etwa nannte die Plattform im „Guardian“ das „Walmart des Aktivismus“.

In Deutschland surft Avaaz perfekt auf der von linkslastigen Medien und den Grünen erzeugten Welle. Mal bleiben laut einer Avaaz-Massenmail „48 Stunden, um die Bienen zu retten“, dann geht es wieder gegen Trump, gefolgt von einem dringlichen Spendenaufruf, um „das Internet“ vor „Faschisten“ zu retten. Oder eben „Europa“ vor „den Rechten“.

Die Verbindung von linken Themen, apokalyptischem Tonfall und gutem Umsatz findet sich auch anderswo, etwa im merkantilen Umfeld der Klimapanik-Figur Greta Thunberg. Der Unterschied besteht darin, dass Patel mit Avaaz wie ein globales Großunternehmen agiert.

Wer an Avaaz spendet, der kauft das Gefühl, unentwegt Weltkatastrophen zu verhüten – zum Preis einer Tasse Kaffee. Und keine Panik: Der nächste Endkampf um das Gute kommt bestimmt.


* Washington Post vom 10. 3. 2004: „The Democratic 527 organizations have drawn support from some wealthy liberals determined to defeat Bush. They include financier George Soros and his wife, Susan Weber Soros, who gave $5 million to America Coming Together (ACT) and $1.46 million to MoveOn.org; Peter B. Lewis chief executive of the Progressive Corp., who gave $3 million to ACT and $500,000 to MoveOn; and Linda Pritzker, of the Hyatt hotel family, and her Sustainable World Corp., who gave $4 million to the joint fundraising committee.”

**https://avaazimages.avaaz.org/AVAAZ_2017_FORM_990_Public_Disclosure_Copy.pdf

PDF: AVAAZ_2017_FORM_990_Public_Disclosure_Copy


Dieser Beitrag von Dirk Schwarzenberg ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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