Früher hätte kein Hahn danach gekräht. Einfach, weil niemand auf die Idee gekommen wäre, einen Fotoapparat mit zum Arzt zu nehmen. Aber in Zeiten, in denen Patienten im Wartezimmer wie Hühner auf der Stange über ihren Smartphones kleben, ist ein Foto schnell gemacht. Verwunderlich hier allenfalls, dass überhaupt jemand hochgeschaut hat und las, was der Herr Doktor da an seine Pinnwand genagelt hatte: Eine Nachricht an seine Patienten, die aber offensichtlich Raum für Interpretationen bot, als einige ein böses „Ausländer raus!“ nachgelesen haben wollen. Stand da aber nie.
Derjenige Patient, der sein Handy im Wartezimmer des Arztes seines Vertrauens zückte, fotografierte ein Info-Blatt in Teuchern/ Sachsen-Anhalt, das darauf hinwies, dass keine Ausländer ohne Sprachkenntnisse mehr angenommen werden, weil die Dolmetscher nicht mehr bezahlt werden würden, weil dem Personal schlicht die Zeit fehle, sich „stundenlang mit einem Patienten unklarer Herkunft und unbekannter Sprache unzureichend bis gar nicht zu verständigen“. Daraus würden sich unzumutbare Wartezeiten für andere Patienten ergeben.
Online bietet besagte Praxis ihren Patienten eine schöne Philosophie an. Da heißt es beispielsweise:
Bei uns „werden Sie durch ein Team von Internisten, Ernährungsberatern, Diplomsportlehrern und Physiotherapeuten persönlich betreut. (…)Wir sehen den Patienten in seiner Ganzheitlichkeit. (…) Mit unseren hellen und freundlichen Räumen schaffen wir darüber hinaus einen Ort, an dem Sie sich wohl fühlen und den Alltag hinter sich lassen können.“
Gilt das jetzt nur noch für einheimische Patienten, die der deutschen Sprache mächtig sind? Nun stellt einer der Ärzte dort gegenüber der Mitteldeutsche Zeitung sofort klar: Kein Patient wurde bisher abgewiesen. Es ging also um einen Warn- oder Weckruf? Explizit heißt es im Aushang: „Unser Auftrag liegt in der Versorgung der Kassenpatienten unseres Landes. Wir können und wollen keine Ungleichbehandlung unserer Patienten hinnehmen.“
Oder ging es möglicherweise auch um Information an die wartenden Patienten, wer schuld daran ist, dass es heute länger dauert als gestern? Beispielsweise ein Landrat des Burgenlandkreises, der in besagtem Aushang erwähnt wurde, weil er der Praxis empfohlen hätte, „Patienten und Ärzte sollten via Internet oder Handbüchern kommunizieren“, wenn es Sprachprobleme gäbe. Das allerdings, so die Praxis, sei „keine geeignete Maßnahme für eine ordentliche medizinische Behandlung.“
Empört über den dank eines Patienten mit Smartphone in den sozialen Medien schnell verbreiteten Aushang, zeigte sich beispielsweise auch die Barmer Ersatzkasse und die Ärztekammer Sachsen-Anhalt. Nun scheint auch die spontane Empörung der Politik und der Institutionen nicht sonderlich geeignet zur Problemlösung beizutragen.
Noch weniger, wenn besagter Landrat zum Gegenschlag ausholt und nun seinerseits behauptet, speziell diese Praxis hätte sich bisher nicht verdient gemacht mit der Behandlung von „Geflüchteten”. Focus Online berichtet über diese Retourkutsche des Landrates: „Viele Arztpraxen in der Region hätten sich seit der Flüchtlingskrise vorbildlich in die Behandlung von Geflüchteten eingebracht. Die Praxis in Teuchern hätte bisher nicht dazu gezählt.“
Auf Deutsch hieße das also, dass nur über fehlende Mittel für Dolmetscher protestieren darf, wer sich in der Flüchtlingsarbeit bewährt hätte? Meint der Politiker der CDU es so? Nun war der Landrat selbst besonders involviert bzw. Betroffener in der Arbeit für Zuwanderer, als er zeitweilig wegen Drohungen gegen seine Person und sein Engagement für beispielsweise den Erhalt einer Flüchtlingsunterbringung unter Polizeischutz gestellt werden musste.
Die Befindlichkeiten sind also vielschichtig, auch Überreaktionen herleitbar. Wir hätten gerne nachgefragt, telefonisch allerdings war der Politiker leider nicht erreichbar. Auf der persönlichen Website des CDU-Politikers heißt es: „Es geht mir darum, dass ich die Erfolge und Misserfolge meines Wirkens selbst erkenne. Sehe, wie sich eine Entscheidung auf die Menschen auswirkt, wie diese reagieren. Ich brauche den direkten Kontakt zu den Menschen.“
Auch in besagter Arztpraxis ist niemand erreichbar, das Telefon ist dauerbesetzt. Wieder zu viel zu tun mit Patienten ohne Dolmetscher? Die Hannoverische Allgemeine berichtet online ebenfalls über den Fall. Dort heißt der Schlusssatz: „Das Papier wurde übrigens inzwischen abgehängt.“ Und anschließend wird man dort weitergeleitet („mehr lesen“) zu einem Artikel mit der Schlagzeile: „Deutsche diskutieren über Flüchtlinge wie über Wölfe.“ Darin geht es um einen Artikel in der New York Times.
Nun sind Dolmetscherkosten tatsächlich keine Kassenleistungen. Das entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in dem gerade veröffentlichten Urteil vom 30.1.2018 – 4 KR 147/14, BeckRS 2018, 4163. Ärzte sind allerdings nicht nur ihrem Eid entsprechend, sondern auch gesetzlich verpflichtet, Patienten umfassend aufzuklären (§ 630e Abs. 1 BGB). Das Gespräch muss für den Patienten verständlich sein (§ 630e Abs. 2 Nr. 3 BGB). Der Arzt muss also darauf achten, dass die medizinische Aufklärung dem Patienten sprachlich korrekt übermittelt wird. Ist er demzufolge sogar selbst verpflichtet, einen Dolmetscher hinzuzuziehen? Bei Zuwanderern richtet sich die Kostenübernahme nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz (AsylbLG). Für eine generelle Übernahme der Dolmetschertätigkeit fehlen aber die gesetzlichen Voraussetzungen.
Damit beschäftigte sich übrigens schon 2014 eine kleine Anfrage der Grünen, die von der Bundesregierung dahingehend beantwortet wurde, dass es Ländersache sei, die medizinische Versorgung und eine rechtzeitige Behandlung auch der Zugewanderten zu gewährleisten. Also auch Dolmetscher zu stellen? Nun sind für Übersetzungshilfen beim Arzt keine vereidigten Dolmetscher erforderlich. Hier sind Verwandte oder Bekannte mit Deutschkenntnissen völlig ausreichend. Geht es hier also letztlich um eine neue Anforderung an die Gesellschaft, an private Organisationen, ein solches Netzwerk von Helfern aufzubauen?
Ist es das, was der Politik vorschwebt, um hier explodierende Kosten zu vermeiden? Denn tatsächlich beantwortete die Bundesregierung die kleine Anfrage auch dahingehend, dass nach §6 Absatz 1 des AsylbLG ein Anspruch auf Dolmetscherkosten besteht, wenn die Hinzuziehung zur Sicherung der Gesundheit erforderlich sei. Die medizinische Versorgung allerdings sei in den ersten 15 Monaten auf das Notwendigste eingeschränkt. So wird hier keineswegs beim jedem Schnupfen ein Dolmetscher bewilligt.
Hinzu kommt die Frage, wie sich Dolmetscher in der entsprechenden Community verhalten, wenn sie bemerken, das ihnen auf einmal vermehrt Laien die Butter vom Brot nehmen. Im Burgenlandkreis soll Asylbewerbern eine zeitlang automatisch bei Arztbesuchen ein Dolmetscher zur Seite gestellt worden sein, seit 2017 allerdings ist das nicht mehr automatisch der Fall.
Das Deutsche Ärzteblatt berichtet in diesem Jahr (116(7)) dass die Übernahme der Sprachmittlungskosten durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) seit vielen Jahren von mit der Flüchtlingsversorgung Beschäftigten gefordert würde. Diese fehlende Finanzierung sei beispielsweise „nach Ansicht von Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer mitverantwortlich für die massive Unterversorgung von psychisch kranken Asylsuchenden und Geflüchteten.“
Das Bundesgesundheitsministerium antwortet mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG): Demnach gehört „die Verständigung aller in der GKV-Versicherten mit an der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten in ihrer jeweiligen Muttersprache nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung“ (Urteil des BSG vom 19. Juli 2006, AZ.: B 6 KA 33/05 B).
Gehen wir zuletzt noch einmal zurück in dieses beschauliche, kaum zehntausend Einwohner zählende Teuchern, dem schriftlich mitgeteilt wurde, dass Dolmetscherkosten nicht mehr übernommen werden sollen und die daraufhin ein Infopapier ins Wartezimmer hängten, dass fotografiert und in den sozialen Medien verbreitet wurde.
Hier muss man nun attestieren, dass es diesem Aushang zu verdanken ist, dass überregional überhaupt über das Problem gesprochen wird, das schon seit Jahren nach einer Lösung verlangt. Dessen sich die Politik aber offensichtlich bisher nicht angenommen hat. Besagte Praxis hat jetzt darauf hingewiesen, dass sie nicht gewillt ist, die Zügigkeit und Qualität der Behandlung einheimischer Patienten darunter leiden zu lassen.