Aufräumen ist modern. Eine aus Japan stammende Aufräum-Göttin geht durch die Wohnung und fragt »Bereitet es dir Freude?« (»Does it spark joy?«), und wenn nicht – wirf es weg! Mutig, fröhlich, fort damit!
Im Geiste eines ewigen Frühjahrsputzes schlage ich vor: Lasst uns die Satiriker-Mütze aufziehen und das Grundgesetz aufräumen – beginnend mit den Grundrechten! Bereitet es Freude? Passt es zur Mode? Wenn nein – mutig, fröhlich, fort damit!
Grundrechte aufräumen?
Schon Artikel 1 stößt uns Lebensabschnitts-Satirikern sauer auf: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – ja, neee – was wenn er ein Nazi oder ein Rechter ist? Kann man dann noch Mensch sagen, gehört das dann nicht zumindest in Anführungszeichen, also »Mensch« quasi? Dann ist er »Pack«, »Abschaum« oder »Ratte« (alles Zitate von »Guten«), dann zeigt man ihn in Badehose oder macht sich über eine Beeinträchtigung lustig, dann nennt man ihn »lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur« (Mely Kiyak über einen Abweichler), dem man wünscht, »der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten« (Deniz Yücel über denselben Abweichler). Artikel 1 sollte aufgeräumt und eingeschränkt werden, damit er wieder in den Zeitgeist passt: »Die Würde des Menschen ist unantastbar, außer das linksgrüne Volksempfinden beschließt anderweitig.«
Oder Artikel 1 kann, im Geist der Zeit, vollständig gestrichen werden, und ersetzt werden durch ein knapperes: »Zeige Haltung oder halt die Fresse!« – das wäre doch zeitgemäßer, das kann dann so bleiben, denn das bereitet Freude!
Artikel 2: »freie Entfaltung«, »körperliche Unversehrtheit« – das bereitet keine Freude mehr. Wird gestrichen und ersetzt durch »Rechten aufs Maul hauen!« und »Danke, liebe Antifa!« – Überhaupt ist das mit der »Unversehrtheit« so ein Sache, seit so manche Nacht eine »Nacht der langen Messer« ist.
Artikel 3: Alle Menschen vor dem Gesetz gleich? Männer und Frauen gleichberechtigt? Niemand darf wegen Geschlechtes, Rasse, seiner politischen Anschauung benachteiligt werden? – Also, zuerst einmal: Da steht »Rasse«! Darf man das denn heute noch überhaupt? Das wird komplett gestrichen, und es wird ersetzt durch: »Alte weiße Männer sind an allem schuld, daraus ergibt sich alles Übrige.«
Artikel 4: Freiheit des Glaubens – nun ja, vielleicht könnten wir das spezifizieren, weil einige Religionen sollten dann extra-frei sein – wir wollen ja keine Rassisten sein! Alle Religionen sind gleich, und einige, so sollte es lauten, sind gleicher als andere.
Artikel 5: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten« – wird ergänzt, so dass es lautet: »Jeder hat das Recht und zugleich die Pflicht, die richtige Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Hass ist keine Meinung, und schon gar nicht die richtige Meinung.«
Artikel 6: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz…« – wird gestrichen und ersetzt durch ein Recht auf Abtreibung bis Minuten vor der Geburt, in Härtefällen (etwa: anstehende Beförderung, Urlaubspläne, zu wenig Schlaf) auch darüber hinaus.
Artikel 7: »Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.« – Ist prinzipiell nicht schlecht, es sollte aber klargestellt werden, dass etwa beim Religionsunterricht auch der türkische Staat und dessen Religionsbehörde gemeint sein können.
(Notiz: Sollte man zwischendurch wiederholen, dass dieser Text von satirischer Natur ist? Nach »Poe’s Law« ist eine extreme Position nicht von ihrer satirischen Übertreibung zu unterscheiden – insofern: Das alles ist ernst, aber definitiv nicht wörtlich gemeint!)
Artikel 8: »Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.« – »Deutschen« wird ersetzt durch »die nun mal da sind«, und es wird hinzugefügt: »sofern das linksgrüne Volksempfinden, neudeutsch ›Haltung‹, nicht dagegen ist, sowie die Schläger der Antifa zustimmen«.
Artikel 9: »Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.« – Das sollte dringend auf den Prüfstand. So ein Verein könnte mit Brauchtum einhergehen und zu Leitkultur führen – gefährlich! So ein Dackelverein könnte sich ja konservativ anfühlen, also rechts, also rechtsextrem; das ist ja alles dasselbe im neuen Zeitgeist – vom »Heimatverein« ganz zu schweigen!!
Artikel 10: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.« – wird durch Zwinker- und Lach-Smileys ergänzt.
Artikel 11: »Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.« – »Deutschen« wird gestrichen, dann stimmt es wieder und könnte zum »Artikel 1 der Herzen« werden.
Artikel 12: »Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.« – Zweiter Satz wird ergänzt: »oder aufgrund von Denunziation wegen mangelnder Haltung.«
Artikel 13: »Die Wohnung ist unverletzlich«, wird ergänzt durch: »außer der Bewohner hat etwas allzu Freches im Internet gepostet«, der Rest wird gestrichen – wer liest heutzutage schon so viele Fußnoten?
Artikel 14 & 15: »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet«, »Eigentum verpflichtet«, »Vergesellschaftung« etc. – wird gestrichen und ersetzt durch Hinweis auf rassistisch-kapitalistische Konnotation von »Eigentum«.
Artikel 16: »Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.« – Wird ergänzt durch »Nazis raus!« – Wer da einen Widerspruch sieht, der ist Nazi, und soll folglich raus!
Artikel 16a: Bei »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« wird »Politisch Verfolgte« ersetzt durch »Alle, außer Deutsche«, und »aus einem anderen Drittstaat einreist« wird der Praxis angepasst und gestrichen, der Artikel wird ergänzt durch: »Wir schaffen das!«
Artikel 17: Wussten Sie, dass es Artikel 17 gibt und was drinsteht? Hier ist der Text: »Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.« – Wir sollten es so stehen lassen und ergänzen mit: »Wenn der Bittsteller eine NGO oder Währungsspekulant mit tiefen Taschen ist, dann hat er besonders gute Chancen, ernstgenommen zu werden.«
Artikel 17a: »Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst …« – lassen wir das mal so stehen.
Artikel 18: »Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.« – »oder das Asylrecht« wird gestrichen, »das Bundesverfassungsgericht« wird ersetzt durch: »eine Ex-Stasi-Mitarbeiterin mit guten Kontakten zur Regierung oder wahlweise ein Talkshowtribunal im Staatsfunk«.
Artikel 19: »Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.« – Wird ergänzt durch: »Jedoch ist bekanntlich der Mensch auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand, und der Letztgenannte scheint in letzter Zeit etwas unaufmerksam zu sein.«
Recht viel Unordnung
Im Grundgesetz jedoch, liebe Freunde der fröhlichen Bitterkeit, gibt es nicht nur die Grundrechte! So mancher Artikel könnte im modernen, linksgrünen Zeitgeist (neu-) gestrichen werden. Nehmen wir etwa die Präambel, noch vor obigen Artikeln, die von »Gott« und »Deutschen« spricht. Könnte man da nicht eventuell einen anderen Gottesnamen nehmen? Muss es da gleich so ausgrenzend um »Deutsche« gehen? Könnte man nicht zumindest statt »Deutsche« lieber »die, die schon länger da sind« einsetzen? Es wäre zu diskutieren. Notfalls streichen.
Artikel 20, Absatz 4 etwa (»Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«) könnten Laien in den falschen Hals bekommen. – »Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.« (Artikel 22, Absatz 2) diskriminiert jene, welche lieber zu Ehren Erdogans etwa die türkische Flagge schwenken, und so weiter, und so fort, ganz weit fort.
Aus Artikel 33 (»Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.«) könnte man der Zeitersparnis halber »Rechte und« streichen, als Teil des gesamtgesellschaftlichen Kampfes gegen Recht.
Bei Artikel 40, Absatz 1 (»Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.«) sollte man anfügen, das diese Geschäftsordnung nach Gusto der Etablierten ausgesetzt werden kann.
Ja, wir könnten das gesamte Grundgesetz durchgehen, und wir könnten Artikel für Artikel an den neuen Zeitgeist von »Haltung« und spontaner Gesinnungsmoral anpassen.
Vor allem aber, und das scheint mir dringlich um weitere Peinlichkeit zu vermeiden, sollten Artikel 56 und Artikel 64 gestrichen werden und der Rest neu durchnummeriert, und dann sollte aus allen Büchern gelöscht werden, dass es diese Artikel jemals gab. Im Artikel 64 wird geregelt, dass der Bundeskanzler den in Artikel 56 festgelegten Eid ablegt – es ist nach dem neuen, linksgrünem Zeitgeist bestimmt »völkisch« und »rassistisch«, sich zuerst dem »Wohle des deutschen Volkes« zu widmen (außer man redefiniert »Wohl« und »Schaden« als eine ätherische, metaphysische Größe). Die andauernde Beliebtheit von Frau Merkel und die Wahlpräferenzen der Bürger zeigen offensichtlich, dass auch die Mehrheit des gemeinen Volks es als überholt oder sogar moralisch fragwürdig empfindet, dass eine Regierung zum Wohl des eigenen Volkes handeln sollte.
Die entsprechenden Passagen
Erscheint auch Ihnen, so wie mir, bereits die obige satirisch gemeinte Forderung, das Grundgesetz zusammenzustreichen, als gruselig? – Das ist auch gut so, denn es ist wahrlich eine gruselige Vorstellung.
Ich frage Sie jedoch: Ist eine Politik, die das Recht ignoriert, die Zensurmaßnahmen erlässt und teils herabwürdigende Propaganda gegen Andersdenkende ermöglicht, ist eine solche Politik nicht ein praktisches Zusammenstreichen des Grundgesetzes? Kann ein Gesetz, das konsequent ignoriert oder als Gegenteil des Wortsinns gedeutet wird, noch in vollem Sinne »gültig« sein? Für Juristen mag das so sein, der Laie jedoch zweifelt.
Was bedeutet der Amtseid denn heute noch und warum ist Merkel noch immer im Amt? Was sind denn Meinungs- und Gewissensfreiheit heute wirklich noch wert?
Man könnte fragen, ob der deutsche Quasi-Staatsfunk, der mit Milliarden Euro abweichende private Meinungen übertönt und via Staats-Comedians herabwürdigt, nicht selbst eine der größten Gefahren für die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland ist. – »Du kannst deine Meinung äußern, aber bei uns sitzen Politiker und – warum auch immer – Kirchenleute in den Räten, und wir sind millionenmal lauter als du, und wir werden dich und deine abweichende Meinungen mit ›Haltung‹ und ›Hurra‹ übertönen – und jetzt fühl dich schön frei!«
Freie Publizisten wie ich mögen ja unsere Meinung sagen dürfen; doch jeder von uns hört von unseren Lesern regelmäßig: »Danke, dass Sie das aussprechen; ich habe Angst, es selbst zu tun, denn es könnte mich den Job oder die Kunden kosten.« – So sehr es mich ehrt, und so sehr ich bereit bin, mit aller Kraft diese Aufgabe zu erfüllen – das darf doch nicht der Dauerzustand bleiben!
Wer heute den Rechtsstaat, die öffentliche Ordnung und die Werte des Grundgesetzes hochhalten möchte, der muss fürchten, Auftraggeber oder Arbeitsstelle zu verlieren – ein untragbarer Zustand! Entweder Deutschland korrigiert sich hier, und zwar schnell – oder man sollte so ehrlich sein und die entsprechenden Passagen im Grundgesetz tilgen.
Entweder-oder
Die Strahlkraft des Grundgesetzes verblasst. In Stadtteilen wie Berlin-Neukölln tut sich selbst der Rechtsstaat schwer, die hehren Werte des Grundgesetzes scheinen da immer weiter fort zu rücken (siehe etwa nzz.ch, 6.5.2019).
Wer heute auf die Durchsetzung von Recht, Ordnung und den Werten des Grundgesetzes pocht, der gilt bald schon als der eigentliche Problembär, und nicht jener, welcher Buchstaben und Geist der Gesetze außer Kraft setzt. Selten war es wahrer, jenes Bonmot von Tucholsky, wonach in Deutschland jener, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher gilt als jener, der den Schmutz verursacht.
Ich bewundere die Zähigkeit und den Mut all jener, die in die Politik gehen und Risiken auf sich nehmen, um das Grundgesetz und seine Werte hochzuhalten. Es ist an uns Wählern, jene Politiker zu unterstützen, denen wir zutrauen, dafür zu kämpfen, dass das Grundgesetz eben nicht zusammengestrichen wird.
»It was nice while it lasted«, sagt man im Amerikanischen melancholisch, »es war schön, solange es andauerte«. Ich fände es schön, wenn unser Vertrauen in die Richtigkeit und Kraft des Grundgesetzes noch etwas andauerte, trotz dieser Regierung, gerade wegen dieser Regierung.
Ja, es gibt dies und das, dessen wir uns entledigen sollten, da es keine Freude bereitet, doch das Grundgesetz und die Grundrechte, die sollten definitiv noch etwas bleiben.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.