Als die Freien Demokraten im Dezember 2013 im ehemaligen Postbahnhof Berlins ihren ersten Parteitag nach dem Wahldesaster bei der Bundestagswahl abhielten, wirkte diese „Location“ ziemlich heruntergekommen. Was besonders auffiel: In der Halle gab es nur ganz wenige Unternehmen, die sich dort präsentierten und somit zur Finanzierung der Veranstaltung beitrugen. Sechs Jahre später strahlt die „Station“, wie der Veranstaltungsort heißt, unverändert den in der Hauptstadt so beliebten Charme des Halbfertigen aus – unverputzte Wände, unter der Decke frei liegende Kabel und Rohre, eine schlechte Akustik, die durch über der Halle verkehrende S-Bahnen nicht verbessert wird. Dennoch ist deutlich zu sehen, dass die FDP jedenfalls in der Wirtschaft wieder ernst genommen wird: Ein Firmenstand reiht sich an den nächsten. Und die Standmieten sprudeln – zur Freude des Schatzmeisters.
Nicht nur äußerlich hat sich bei der FDP einiges verändert. Die Partei wirkt im Jahr zwei nach dem Wiedereinzug in den Bundestag und dem Wiederaufstieg zur Regierungspartei in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gefestigt. Obwohl sie in den Umfragen mit acht oder neun Prozent unter dem Bundestagswahlergebnis von 10.7 Prozent bleibt, macht sich keiner ernsthaft Sorgen, man könnte abermals in eine Existenzkrise geraten. Dass Christian Linder 2018 ziemlich abrupt und mit einer verschwurbelten Begründung die Koalitionsgespräche mit Union und Grünen platzen ließ, hat die Partei längst akzeptiert. Das zeigt sich auch daran, dass Christian Lindner mit 87 Prozent als Vorsitzender wiedergewählt wurde. Das waren nur vier Prozentpunkte weniger als 2017 kurz nach der von ihm maßgeblich bewerkstelligten Wiederauferstehung der FDP als Bundestagspartei.
Wie immer bei Parteitagen der Lindner-FDP wird auf die Inszenierung größten Wert gelegt. An der Wand hinter dem Rednerpult prangen riesige chinesische Schriftzeichen. Sie stehen für ein einziges Wort: Wirtschaftspolitik. Ganz so, wie es sich die Werbeagentur wohl ausgedacht hatte, beginnt Lindner seine Parteitagsrede mit ein paar Sätzen auf Chinesisch. Wobei die Botschaft nicht gerade sensationell ist. Sie handelt von Zeiten der Veränderung, die allen Veränderungen abverlange. Das hätte man auch anders sagen können. Doch dann hätte dieselbe Aussage auf Facebook, Twitter & Co. nicht sofort einen durchaus freundlichen „Storm“ ausgelöst.
Die wichtigste Botschaft dieses Parteitags: Lindner und die FDP setzen in erster Linie auf das Thema Wirtschaft und Arbeitsplätze. Der Zeitgeist und die ihn wohlwollend befördernden Medien mögen zurzeit ganz auf Grün eingestellt sein. Sollte sich jedoch die Konjunktur aufgrund weltwirtschaftlicher Einflüsse stärker abschwächen, als derzeit vor allem die Groko-Parteien hoffen, könnten grüne Blütenträume schnell vorbei sein. Was aus strategischer Sicht noch wichtiger ist: Die FDP versucht bewusst ein Themenfeld zu besetzen, das von den anderen Parteien sträflich vernachlässigt wird, nämlich die Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und des Mittelstands angesichts zweier großer Herausforderungen: der chinesischen und der durch die Digitalisierung. SPD, Grüne und Linke geht es dennoch mehr um Umverteilung als um Wirtschaftspolitik, die AfD hat überhaupt kein wirtschaftspolitisches Konzept und die CDU/CSU hat sich mit der SPD auf eine teilweise Ausweitung der Sozialleistungen verständigt statt auf eine umfassende Digitalstrategie oder eine Energiepolitik, die Verbraucher wie Wirtschaft nicht über die Maßen belastet.
Natürlich ist Wirtschaft nicht alles. Der Klimawandel ist nach der Zuwanderung zum zweitwichtigsten Thema geworden, bereitet nicht wenigen Menschen große Sorgen. Darauf mit umweltpolitischen Zielen zu reagieren, die sich auf staatliche Vorgaben, auf Gebote und Verbote stützen und nicht nach den Kosten – in Euro und Arbeitsplätzen – fragen, ist in bestimmten Kreisen populär. Auch scheint bei vielen die Überzeugung zu überwiegen, die Deutschen könnten durch klimafreundliches Verhalten die mit Abstand größten Umweltsünder USA, China und Indien zu einem Politikwechsel veranlassen. Das mag man naiv oder optimistisch nennen – realistisch ist es jedenfalls nicht. Und die FDP sagt das deutlicher als jede andere Partei.
An den Freien Demokaten gibt es vieles zu kritisieren. Aber sie erfüllen als eine auf die soziale Marktwirtschaft setzende politische Kraft eine ganz wichtige Funktion in unserem Parteiensystem. Natürlich gibt es auch in CDU und CSU überzeugte Marktwirtschaftler. Aber in den Koalitionen mit der SPD (2005 bis 2009 und seit 2018) hat die CDU/CSU sich im politischen Alltag häufig gegen den Geist der sozialen Marktwirtschaft „versündigt“, wie Ludwig Erhard Verstöße gegen seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen zu geißeln pflegte. Genau deshalb ist eine sicher über der Fünf-Prozent-Hürde lebende FDP so wichtig – als Vorkämpfer für die soziale Marktwirtschaft und als Messlatte für jene Unionspolitiker, die bisweilen Beweglichkeit mit Beliebigkeit verwechseln. Man muss die FDP nicht mögen – aber sie wird gebraucht.