Tichys Einblick
Ansichten aus der Mitte Europas

Wie Sachsen die Welt sehen

Es gibt Bücher, die machen sich kleiner als sie sind. Dieses hier ist so eines. Dabei ist Antje Hermenau ein Buch gelungen, das viel größer ist, als es daherkommt. Es ist ein deutsches, vielleicht sogar ein mitteleuropäisches Buch.

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Es gibt Bücher, die machen sich kleiner als sie sind. Das ist bei Antje Hermenaus „Ansichten aus der Mitte Europas – Wie Sachsen die Welt sehen“ der Fall. Es beginnt so lieb wie „Deutschland deine Bayern“, „ … Westfalen, „ … Berliner“ oder wie auch immer lokalpatriotische Büchlein benannt sind, die durch die Überhöhung der Provinz ihre Menschen zum Deppen machen, liebenswert, aber eben doch zum Deppen.

Aber Hermenaus Ausgangspunkt sind ja die Sachsen, die sie „helle, heeflich und heemdücksch“ nennt. Es beginnt nett und höflich mit einem Abriß über die Schönheit, Klugheit und Leistung der Sachsen, Einwohner eines Landes, das bekanntlich größer ist als Malta und Luxemburg zusammen und ohnehin das beste Sachsen der Welt.

Und dann schleicht sich – unauffällig zunächst – das „Heemdücksch“ ein, das Heimtückische, wenn sie schlußfolgert, dass Sachsen eine „Art kleine Nation“ sei – mit „Staatsvolk, Staatsgrenze, Staatsgewalt, Staatsschatz, Hochkultur in Musik und Malerei und einem Staatsdialekt“. Immer noch heeflich, aber dann wird’s ernst: „Also, die EU hat kein Staatsgebiet, sie hat keinen Staatsschatz, sie hat keine Staatssprache. Vor allem aber hat sie keine richtigen Grenzen. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen“.

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Und plötzlich ist sie Mitten in ihrem Thema und im Fettnapf. Um Europa geht es ihr, und zwar um das vertiefte, das angeblich alle wollen und das so alternativlos ist. Aber wenn es das gar nicht gibt, wenn es uns nur eingeredet wird, aber jeder in den antieuropäischen Fettnapf gestoßen wird, der daran zweifelt? Kann es dieses Europa geben – ohne die Merkmale der Staatlichkeit? Und was wäre der Preis, wenn es übergestülpt würde: Wäre Deutschland dann nur eine Art „angeschlossenes Gewerbegebiet einer latein-europäischen EU“? Das sind gar keine kleinen lokalpatriotischen Überlegungen. Denn Hermenau zeigt ziemlich präzise, und das ist sehr schmerzhaft, wie nach der Wiedervereinigung die Deutschen von Ost und West zusammengewachsen sind und sich jetzt wieder auseinanderleben.

Der deutsche Westen orientiert sich am Westen, das war in den Zeiten des kalten Kriegs gar nicht anders möglich. Und die Ossis waren ein wenig zurückgeblieben. Während die noch damit beschäftigt waren, zum Westen aufzuschließen, war der schon wieder weiter, nämlich global. Nach der Verwestlichung des Ostens machten sich die westdeutschen Eliten daran, „die unaufhaltsame moralische Höherentwicklung des Menschengeschlechts unter deutscher Anleitung“ in Angriff zu nehmen. Zurück blieben die, die zu lange in ihrem Leben der „sozialistischen Internationale huldigen“ mussten und aufwachten, als sie plötzlich die globale Internationale europäischer Lesart feiern sollten. Und dabei immer skeptischer wurden gegenüber diesen ganz großen Zielen.

Mit der Präzision eines sächsischen Uhrwerks zerpflückt Hermenau den alten, im neuen Gewand daherkommenden Größenwahn, dass Deutschland mal wieder erst Europa und dann den Globus nach seinen Vorstellungen retten muss. Dabei stören die Provinzen – aus denen allerdings die Kraft kommt. Und es sind nicht nur die deutschen Provinzen, die von einer Berliner Elite gelenkt werden, die so abgehoben ist, dass sie die „Befeuerung links und rechts an der Landebahn des Heimatflughafens einfach nicht mehr sehen können“ und die „im ostdeutschen Realismus etwas [sehen], das von Gestern ist und das es zu bekämpfen gilt“.

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Hermenau war bei den Demonstrationen in Leipzig dabei, die den Sturz des SED-Regimes bewirkten, hat am Runden Tisch den Übergang organisiert, die Grünen in Sachsen mitbegründet und war 25 Jahre für die Grünen im Landtag und Bundestag, ehe ihr der Laden zu weit nach links abdriftete.

Die wachsende Distanz zum Riesen-Europa mit Weltgestaltungsanspruch sieht sie aber nicht nur bei den bodenständigen Sachsen, sondern auch bei den anderen Völkern Mitteleuropas – den Tschechen, Polen, Ungarn, Slowenen. Das ist aber nicht „Ost-Europa“, wie es die verzerrte Sicht und Sprache des in der Zeit des Kalten Kriegs aufgebauten „West-Europas“ glauben machen will, das sich für das eigentliche Europa hält (mit ein paar östlichen Anlagerungen, neuerdings). Nein, es heißt Mitteleuropa und ist der Kern des alten Europas, das sich nach der Unterdrückung durch Moskau wieder genau dazu entwickelt hat: einer dynamischen, offenen und europäischen Region.

Die zentralisierte, wenig demokratische, alles vereinheitlichende und überteuerte EU ist nicht mehr der europäische Wunschtraum jener Völker, die ihre Freiheit gerade wiedererlangt haben und sie nicht an der Brüsseler Garderobe abgeben wollen.

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Hermenau erzählt das alles in einer wunderbaren Sprache: voller Witz und Pointen, nie trivialisierend und doch klarer auf den Punkt kommend als das verschwurbelte Polit-Deutsch der Gegenwartsregierungskaste und ihrer linksliberalen Redenschreiber. Sie versteht es, große Themen in ein paar Zeilen zu verhandeln, wie etwa die Wut der Ostdeutschen, als die Demonstrationen in Chemnitz nach der Ermordung eines Bürgers von der Politik und den vereinten Medien Westdeutschlands umgedeutet wurden: Die Chemnitzer „wollten nicht, dass einfach die städtische Kehrmaschinen über den Blutfleck fahren und alles ist wieder normal. Die Stimmung war aufgeregt, aber nicht kriminell. Trotzdem wurde am Montagmorgen danach bundesweit durch den Sprecher der Bundeskanzlerin verkündet, es habe Hetzjagden und Lynchjustiz gegeben.“

Das brutale Neusprech des arroganten Westens ist einer der Gründe (Hermenau zählt mehrere auf) für die neue West-Ostspaltung und auch dafür, dass die AfD in den Umfragen die stärkste Partei in Sachsen geworden ist. Hermenau kämpft dort für die Freien Wähler. Ihr ist ein Buch gelungen, das viel größer ist, als es daherkommt. Aber das ist das Sächsische an ihr. Es ist ein deutsches, vielleicht sogar ein mitteleuropäisches Buch.


Antje Hermenau, Ansichten aus der Mitte Europas. Wie Sachsen die Welt sehen. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 180 Seiten, 10,- €.


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