Tichys Einblick
Null-Bock-Einstellung

Egotrip in der Jogginghose

Auch wenn wir über viele persönliche Freiheiten verfügen, heisst das noch lange nicht, dass wir sie immer und überall ausleben müssen. Von Tamara Wernli.

Eine Realschule im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen verbietet seit kurzem Jogginghosen im Unterricht. Dieser „Couch-Potato-Look“ gehöre nicht in die Schule, meinte die Schulleiterin, da diese auf das Berufsleben vorbereiten und Werte vermitteln würde. Die Zeitung „WAZ“ berichtete. Eine öffentliche Diskussion ist seither in Gange: Gegen liberale Werte sei das Verbot, meinen die einen. „Ich würde eher die Lehrer, die es nicht ertragen, Menschen in gemütlichen Klamotten zu sehen, allesamt in eine Burn-out-Klinik schicken […]“, schrieb Margarete Stokowski in ihrer SPON-Kolumne. Es gäbe ja auch viele Berufe, die man problemlos in Jogginghosen ausüben könne. Die anderen finden das bequeme Beinkleid im Unterricht unangemessen, auch, weil es eine Null-Bock-Einstellung fördere.

Da möchte man grundsätzlich erst einmal sagen: Kleidervorschriften sind Quark. Das äussere Erscheinungsbild gehört zur persönlichen Freiheit. Jogginghosen sind ein kulturelles Allgemeingut und wenn sie bei der Jugend im Trend sind, sollte man sich nicht querstellen, zumal Schulen ja auch Umschlagplatz für gesellschaftliche Entwicklungen sind. Als Fürsprecherin von Jogginghosen – ich besitze deren 14 Stück, von stylisch bis trashig, von Camouflage bis Glitzerlook – hier meine Wahrheit: Es gibt kein Kleidungsstück, in dem man sich Zuhause, auf dem Hundespaziergang oder beim Einkaufen wohler fühlt. Zum Argument, dass Jogginghosen in der Schule eine Null-Bock-Einstellung fördern: Auch Jeans oder Hosenanzüge halten uns von dieser Attitüde nicht ab. In Jogginghosen lernt man nicht besser oder schlechter; für gute Leistung braucht es keine kultivierte Kleidung.

Die Welt wäre schön, wenn alles so einfach wäre. Leider muss ich enttäuschen, denn Sache ist die: Kleidung ist nicht nur Funktionalität, sie ist fast immer auch ein Statement. So wie der Farbwechsel beim Chamäleon, der zur Verständigung unter Artgenossen dient, ist auch Kleidung ein Stück weit Kommunikation. Kleidung passiert nicht einfach so.

Das Statement von Jogginghosen? Na ja, es ist halt dieses: Ich mach, worauf ich gerade Bock habe. Jogginghosen stehen für Behaglichkeit, Sofa, Freizeit, Sport, Fläzen, Chillen. Und auch wenn sie manchmal modisch aussehen, Taylor Swift in dem Teil (in Luxusversion) Interviews gibt und Stars ihre eigenen Trainingsanzug-Kollektionen haben, es ändert daran nichts. Jogginghosen sind Ausdruck eines zwanglosen, legeren Lebensgefühls, das das eigene Ego ins Zentrum rückt.

Theoretisch spricht zwar nichts dagegen, der Welt seine momentane Haltung mitzuteilen oder zu demonstrieren, dass man auf Konformität pfeift. Gerade als Teenager kommt das einem grandios vor – in meiner Jugend drückten wir das mit Tattoos aus, heute läuft man eben als Eminem-Verschnitt herum. Da aber Schule ein Ort der Bildung, Ordnung und der Disziplin ist, halte ich es nicht für die schlechteste Idee, wenn man im Klassenzimmer nicht wie ein Penner daherkommt (auch Badelatschen etc. fallen in die Schlabberkategorie). Ordentlich gekleidet zu erscheinen ist auch eine Form von Wertschätzung und Respekt dem Lehrpersonal und Mitschülern gegenüber. Die eigene Behaglichkeit zurückstellen und Rücksicht nehmen auf andere Befindlichkeiten taugt als Vorbereitung auf die Berufsrealität besser als das beharrliche Ausleben seiner persönlichen Freiheiten.

Es gibt genügend Zeitgenossen, die tun, worauf sie gerade Lust haben, obwohl sie damit das Befinden ihrer Mitmenschen beeinträchtigen oder sie mit ihrem Verhalten gar einschränken, und viele Jugendliche schliesst das leider mit ein: Nach ausgiebigem feiern samstagabends im Park ungeniert den Müll liegenlassen (gehen Sie mal an einem Sonntag in gewisse Parks, da bekommen Sie Brechreiz). Im ÖV die Duftnote eines Döners verbreiten. Das komplette Tramabteil mit seinem Telefonat unterhalten. Auf der Strasse Leute mit Musik aus Bluetooth-Boxen zudröhnen. Bei alldem denken sie keine Sekunde lang darüber nach, wie es bei anderen ankommt. Manchmal hat man überhaupt das Gefühl, Gedanken wie „Störe ich mit meinem Verhalten andere?“ kommen vielen Leuten gar nicht mehr in den Sinn. Nennen Sie es von mir aus die antiquierte Einstellung einer Ü40-jährigen, aber diese kollektive Selbstbesessenheit nervt.

Rücksicht nehmen scheint heute uncool. Und für dieses Ich-Theater steht die Trainerhose im Schulzimmer: Mimimi. Die YOLO-Mentalität (You Only Live Once) als Synonym für eine Teenager-Kultur, die sich selbst ins Zentrum des Universums WhatsAppt, klickt und Liked, mit freundlicher Unterstützung der Erziehungsberechtigten, die das entweder als Teil der ach so wertvollen persönlichen Entfaltung sehen – oder aber wegschauen.

Junge Leute wegen ihrer Einstellung zu verteufeln, wäre aber verkehrt, denn Eltern sind die prägende Generation, Kinder kopieren ja oft nur ihr Verhalten. Darum halte ich auch ein Verbot von Jogginghosen an Schulen für falsch. Stattdessen wäre es sinnvoller, wenn Lehrer mit Schülern darüber debattieren und sie in den Entscheid miteinbeziehen. Eltern würde ich empfehlen, dem Nachwuchs einmal die Frage zu stellen, was er oder sie mit der abgeranzten alten Jogginghose denn ausdrücken möchte. Auch würde ich raten, die Jugendlichen auf ihre Rolle in der Gesellschaft aufmerksam zu machen und darauf, dass nicht immer alles nur um sie selbst rotiert, ergo, dass man mit seiner Kleidung Mitmenschen zu sehr ablenken oder irritieren könnte. Es ist wohl grundsätzlich nicht das Dümmste, wenn Eltern ihren Kids statt des „Benimm dich so wie du Bock hast“-Mantras, ein „Benimm dich nicht wie ein egoistisches, egozentrisches kleines *****loch“ mit auf den Weg geben.

Der Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.

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