Aus dieser buttermesserscharfen Logik folgt: Es könnte heute zu schlechter Laune führen, die Liste der Menschenrechte zu lesen und sie mit Politik und Debattenlage abzugleichen – also ist es zu unterlassen.
Wir heißen nicht Hase
Man kann ja mal die allgemein anerkannten Menschenrechte durchgehen (die vollständig neutrale Wikipedia listet sie), doch man könnte dann auch feststellen, dass heute grundlegende Rechte im Namen der »Moral« beschnitten und ausgehebelt werden, und eine solche Feststellung wäre eventuell schlecht für die gute Laune!
Da wäre etwa das Eigentum (gilt nicht wenn Staat bei Wohnungsbaupolitik versagt oder in Fällen akuter Umweltmoral, die natürlich nicht für die Moralisten gilt, die dürfen weiter fliegen und Diesel fahren, und wie!). Da wäre das Recht auf Unversehrtheit (ach ja…), die Unschuldsvermutung (die nicht gilt, wenn Minister und Aktivisten via »Hashtag« den empörten Mob gegen dich aufheizen) – die vollständige Liste der Menschenrechte durchzugehen, könnte Teile der Bevölkerung amüsieren.
Wir heißen nicht Hase, sondern euch hoffen, und in diesem Geiste also: Gerade weil es die Menschenrechte immer schon schwer hatten, will ich hier und heute ein dringend notwendiges neues Menschenrecht formulieren!
Ich will in Ruhe gelassen werden
Ich erkläre, fordere und formuliere heute das Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden:
Alle Menschen sind mit dem unveräußerlichen Recht geboren, in Ruhe gelassen zu werden, wenn sie in Ruhe gelassen werden wollen.
(Notiz: Ein Leser wies mich darauf hin, dass Roland Baader einen Gedanken in sehr ähnlichen Worten formulierte, wenn wohl auch womöglich in weniger sarkastisch-polemischem Geist, und es ist selbstredend möglich, dass ich es irgendwann gehört habe und es dann unbewusst in mein eigenes Denken übernahm, und dass es dann heute morgen, als ich wie üblich nach der Nachrichtenlektüre in mich hineinhorchte, wieder als Stoßseufzer herauskam: »Ach, lasst uns doch einfach in Ruhe!« – Die konkrete Formulierung Baaders ist etwa im Titel eines Buches über ihn enthalten: »Der Freiheit verpflichtet: Das einzig wahre Menschenrecht ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden«, derzeit wohl nicht lieferbar. Menschenrechte sind nicht meine Erfindung, und dieses gewiss auch nicht. Ich erlaube mir also, nachdem dieser Vermerk eingetragen ist, extra ermutigt in dieselbe Kerbe zu hauen!)
Ich will heute zuerst einmal in Ruhe gelassen werden von durchgeknallten Kindern und ihren Weltuntergangsphantasien. Ich will in Ruhe gelassen werden von Behörden, die mein Auto fernsteuern können (siehe auch sun.co.uk, 13.4.2019). Ich will in Ruhe gelassen werden von Heuchlern, welche die Armen, Aggressiven und Abenteurer einladen, aber dann nicht ihr eigenes Viertel, sondern das meinige zum Gästezimmer der Welt erklären. Ich will extra in Ruhe gelassen werden von Gleichschrittmarschierern, die »wir sind mehr« für ein Argument halten.
Ich will in Ruhe gelassen werden von jenen, die in allen blauäugigen Heile-Welt-Multikulti-Vorhersagen tragisch falsch lagen, und die dennoch weiter große Töne posaunen.
Ich will in Ruhe gelassen werden von Konzernen, die mir Abhörgeräte ins Zimmer stellen. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von archaisch veranlagten Mitbürgern, die eines meiner Kinder als weniger wert betrachten, weil es ein Mädchen ist. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von feministisch veranlagten Mitbürgern, die eines meiner Kinder als weniger wert betrachten, weil es ein Junge ist. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von jedem, der mich verachtet, weil ich das »falsche« Geschlecht habe (männlich) oder die »falsche« Hautfarbe (rosa mit Bart).
Ich möchte in Ruhe gelassen werden von Haltungsjournalisten, Journalismuspreisträgern und anderen Gestalten, deren Wort weniger wert ist als Second-Hand-Hygienebedarf. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von frühgescheiterten Millenials, die uns erklären möchten, was Gut sei und was Böse, wie man zu leben und zu fühlen habe – auf dass man so unglücklich und verbittert werde wie sie selbst.
Zuletzt, wissend um die religiösen Leser unter Ihnen, und als jemand, der heilige Bücher liest und zitiert, erkläre ich: Ich will in Ruhe gelassen werden von Religionen – ich studiere ja selbst manche der Lehren, doch das ist privat – es ist mein angeborenes und unveräußerliches Recht, nicht von Religionen gedrängt zu werden, ihrer Bronzezeit-Moral zu folgen (noch lästiger: einer ad-hoc nach politischer Windrichtung erfundenen Moral), oder ich müsste zum gleichen unsichtbaren Freund reden wie jene. – Wenn Religionsvertreter dann auch noch ansetzen, von PR-Leuten designte Weltuntergangs-Prophetinnen mit dem biblischen Jesus zu vergleichen (bild.de, 13.4.2019), dann sollen mich solche Religionen bitte doppelt in Ruhe lassen.
Zweifellos ein Grund
Wie kann es gelingen, das Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden, weltweit bekannt zu machen? Was wäre eine kluge Strategie?
Ich sollte meine Forderung des Menschenrechtes, in Ruhe gelassen zu werden, höheren Autoritäten vorlegen – den Vereinten Nationen etwa?
Ich könnte es einem der Länder im UN-Menschenrechtsrat zur Debatte vorschlagen. Sollte ich mich an Katar oder doch lieber an China wenden? Ich könnte Saudi Arabien bitten, die wissen es ja zu schätzen, auch mal in Ruhe gelassen zu werden, sei es von Hunden (nzz.ch, 10.9.2006) oder von Ungläubigen (Wikipedia: Mecca).
Jedes Menschenrecht braucht einen Mutigen, der es erklärt und einfordert. In diesem Geiste: Ich erkläre es hiermit zum Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden, wenn man in Ruhe gelassen werden will.
Im Privaten setzen es ja bereits einige von uns um! In Ruhe gelassen zu werden, wenn man in Ruhe gelassen werden will, das ist ein Grund für gute Laune, und was für gute Laune sorgt, das ist zweifellos gut.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.