Tichys Einblick
Am Boden bleiben

Seinen Körper lieben, aber.

Unternehmen binden vermehrt XXL-Damen in ihre Werbung ein und deuten damit an, dass Adipositas schön und normal ist. Das ist sie nicht. Vor allem ist sie ungesund. Von Tamara Wernli.

Screenrint: Instagram/Gillette

Viele populäre Bewegungen beginnen im Kern mit etwas Sinnvollem, das war auch bei der Body-Positivity-Bewegung so. Anfangs war sie gestartet als Protest gegen Models, die aussahen, als würden sie sich von einem Salatblatt (ohne Sauce) am Tag ernähren, und gegen den Schönheitswahn im Allgemeinen. Man wollte erreichen, dass Körper, die vom gängigen Schönheitsideal abweichen, normalisiert und eine Vielfalt an Körpertypen in Werbung und Magazinen gezeigt wird.

Das ist sinnvoll und richtig – und Unternehmen wie Dove setzen es grossartig um. Wir haben alle unterschiedliche Figuren und wenn diese in Werbekampagnen einbezogen werden, fühlen sich mehr Leute repräsentiert. Auch halte ich es grundsätzlich für etwas Gutes, seinem Körper mit Akzeptanz zu begegnen und zu sagen: Ich bin mit meinem Aussehen zufrieden. Durch etwas Disziplin und Sport auf sich zu achten ist gesundheitshalber wichtig, aber für Übergewicht oder Orangenhaut sollte man sich nicht schämen. Mit fortschreitendem Alter pflege ich heute eine versöhnliche Beziehung zu meiner Cellulite und investiere mein Geld lieber in eine schöne Handtasche statt in wirkungslose Cremen. Sowieso sollten wir uns alle weniger darum kümmern, was andere über uns denken.

Show ist show
Sexy Frauen reichen nicht
Irgendwo zwischen Feminismus, Selbstbestimmung und Detox-Saftkur ist die Body-Posititivity-Bewegung dann falsch abgebogen. Aktivistinnen erklärten: Egal wie dick, adipös und ungesund – jeder Körper ist schön, jeder Körper gehört gefeiert. „Wir möchten fette Körper sehen, alle Arten von Körpern, auf dem Cover von Mainstream-Medien“, dröhnt die Kampfansage in einem Video. Also begannen Mainstream-Medien, sehr stark übergewichtige Menschen in Lingerie und Badeanzug zu zeigen, mit Fotostrecken, auf denen Hängehaut und absackende Fleischschichten prominente Repräsentation fand. Früher verpönt, wird das Vorführen seiner intimen Makel heute vor allem in „progressiven“ Kreisen beklatscht. Cosmopolitan hievte XXL-Model Tess Holliday in Unterwäsche aufs Cover. Der Rasierer-Hersteller Gillette postete jüngst auf Twitter ein Foto mit XXL-Youtuberin Anna O’Brien im Bikini. Darunter stand: „Venus möchte schöne Frauen mit allen Körperformen, Grössen und Hauttypen repräsentieren, weil es alle Arten von schöner Haut verdienen, gezeigt zu werden.“

Ich mag die 34-jährige Anna. In ihren Videos spricht sie humorvoll, manchmal traurig, über ihre Erfahrungen mit starkem Übergewicht, über Eigenliebe, Diäten. In den vergangenen Jahren hat sie immer wieder ab- und zugenommen, sie habe 25 Jahre lang Mühe gehabt, ein Sportprogramm durchzuziehen. Jetzt ist sie Botschafterin einer Plus Size-Sportmarke. Das Übergewicht sei ihr egal, schreibt sie in einem Blog. Sie führe ein gesundes Leben ohne Krankheit. Sie ist authentisch und sympathisch.

Und doch schreibe ich jetzt etwas Unpopuläres: Annas Körper sieht nicht gesund aus. Und nein, Gillette, ihre Haut ist nicht schön. Nicht auf dem Gillette-Foto im Meer, nicht auf dem Times Square, wo sie vergangenes Jahr im Bikini und unter grossem medialem Applaus posierte. Das ist kein fat Sshaming, sondern Realität.

Natürlich sind nicht alle Plus-Size-Models stark übergewichtig, und gewiss können sie Bademode präsentieren. Aber L/XL und XX(X)L – das ist ein Unterschied, bei letzterem ist die gesunde Grenze überschritten. Leute wie Anna fühlen sich angeblich wohl mit ihrem Körper, stellen ihn in Bikinifotos zur Schau. Die grosse Mehrheit der stark übergewichtigen Menschen aber schämt sich und versteckt sich, und diese Bilder ändern daran nicht viel, wie eine an Adipositas leidende Bekannte mir erklärt. Ist es wirklich eine Errungenschaft, als fettleibige Person im Bikini auf den Times Square zu posieren? Oder im Body auf der Cosmopolitan?

Jeder soll sich so wohlfühlen, wie er ist. Und manche Menschen haben keinen Einfluss auf ihr Gewicht, egal, wieviel Sport sie treiben und Spinat-Smoothie sie trinken. Ohnehin kann man oft nicht wissen, was für eine Geschichte hinter einer Person steckt. Indem Unternehmen und Medien aber stark übergewichtige und ungesunde Menschen in ihren Kampagnen prominent bewerben, suggerieren sie, dass dieses Übergewicht normal und gut ist. Aber Adipositas ist weder gut, noch schön oder bewundernswert. Vor allem ist sie ungesund. Vier Millionen Menschen sterben deswegen jährlich weltweit. Wie das New England Journal of Medicine schreibt, hat sich die Zahl seit 1980 mehr als verdoppelt. Immer mehr Kinder sind betroffen. Übergewicht und Adipositas sind Risikofaktoren für zahlreiche Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes und Krebs.

Ich bin für Diversität bei Körpertypen in der Öffentlichkeit, aber ich bin auch für Ehrlichkeit. Wenn wir an einen Punkt gelangen, wo Menschen mit XXL-Übergewicht eingeredet wird, dass sie ihre Pfunde kritiklos lieben sollten, dann verliert der Aktionismus seine gesunde Balance. Diese Art von Body-Positivity ermuntert Menschen dazu, nichts an sich zu ändern. Das Problem schönzureden kommt niemandem zugute, und ich bezweifle, dass viele Menschen, die wegen ihres Körpers leiden, sich dadurch besser fühlen. Ein Twitter-User hat zum Gillette-Bild geschrieben: „Ich bin selbst übergewichtig. Ich brauche keinen der mich auslacht aber auch keinen der mich dafür bewundert.“


Der Beitrag erschien zuerst bei der Weltwoche.

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