Vor einigen Jahren, Obama war noch Präsident, hat Ralf Schuler Kanzlerin Merkel zu einem Staatsbesuch in die USA begleitet. Das ist sein Beruf, Schuler ist Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“. Im Oval Office hat er sich dann hinter Obama und Merkel geschlichen und fotografieren lassen. Für den Secret Service gibt es eine eiserne Regel, wonach niemand sich im Rücken der Schutzpersonen aufhalten darf. Schuler hat es trotzdem geschafft. Dass muss man erst einmal hinkriegen. Aber um hinter die Fassade zu gucken, geht er halt die Extra-Meile, auch wenn es hinterher noch einigen Ärger mit dem Regierungssprecher und den Sicherheitsbeamten gab.
Irgendwann erkennt man dann, dass man es mit einem nicht nur klugen und nachdenklichen Menschen zu tun hat, sondern mit einem intellektuellen Kaliber. Man hört ihm zu, man denkt über seine Äußerungen nach. Dies ist eine besondere Fähigkeit in einer Zeit, in der die politische Debatte sich nicht mehr als klassischer Austausch von Positionen und Argumenten darstellt, sondern im hysterischen Hyperventilieren unverrückbarer Glaubenssätze gefangen ist.
Schuler verkörpert also selber eine Fähigkeit, deren Fehlen er dem politischen Diskurs und dessen Protagonisten attestiert. Es gelingt ihm in seinem gedankenreichen Buch brillant, die Ursachen für diesen fatalen Verlust an Zivilität zu analysieren. Der Autor führt sie jedenfalls auch auf den für die Merkel-Jahre typischen „demoskopiegeleiteten Opportunismus“ (Jürgen Habermas) zurück, die überzeugungsfreie Bereitschaft, im Sinne des Machterhalts nahezu jede politische Forderung anderer zu akzeptieren.
Die Instrumentalisierung des Begriffs „Populismus“ als Schimpfwort ist dabei in den verschiedenen politischen Lagern unterschiedlich häufig anzutreffen. Anfang April 2019 erhielt man bei Google für den Begriff „linkspopulistisch“ 113.000, für „rechtspopulistisch“ hingegen stolze 7.360.000 Treffer.
Schulers Beruf bringt ihn täglich in die unmittelbare Nähe der wichtigsten Entscheidungsträger dieser Republik. Wenige Journalisten haben einen solch unverstellten, direkten Blick in das Zentrum der Macht. Und noch weniger sind so, wie es dem Autor in seinem Buch gelingt, in der Lage, mit kühler Distanz zu analysieren: Die gesellschaftlichen Verwerfungen dieses Landes, die verzweifelte politische Rhetorik, die das Handeln ersetzt und dies alles zu einem Panorama Deutschlands Anfang 2019 zu verschmelzen. Ein eminent lesenswertes Buch.
Ralf Schuler, Lasst uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur. Herder Verlag, Hardcover, 240 Seiten, Vormals 22,00 €.
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